Seite:Die Gartenlaube (1887) 691.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

„Dort, nicht weit vom Eingang …“

Wahrhaftig – ich hatte sie zuerst nicht erkannt. Sie trug ein krêmefarbenes Atlaskleid, das vorn sehr kurz war und ihre kleinen Füße sehen ließ, die in Atlasschuhen mit hohen Absätzen steckten. Nach rückwärts war es so stark gezogen, daß man die Kniee – ja die ganze Figur! durchsah, wie bei einer von den Marmorfiguren im japanischen Palais. Ich würde roth, müßte ich mich so sehen lassen, aber es schien sie gar nicht zu geniren. Sie stand in einem Kreis von jungen Herren und lachte, daß die rothen Federn auf ihrem Kopfe tanzten.

„Ach – da ist ja unsere kleine Russin!“ rief sie, als sie mich erblickte, aber sie sprach nicht mit mir, und ich war recht froh, als ich meinen Lanciertänzer auf mich zukommen sah.

Während der Quadrille haben wir nicht viel mit einander geredet, Herr Heinrich und ich. Ich mußte auf die Touren Acht geben, sonst hätte er Konfusion gemacht, denn er griff manchmal nach meiner Hand und wollte Chaine machen, wenn er gar nicht daran war.

Dann führte er mich in den Garten, viele Paare promenirten schon, denn es fing an, im Saal sehr heiß zu werden. Was soll ich mit ihm reden? dachte ich, gewiß werde ich wieder keine Antwort in Bereitschaft haben! Aber ich merkte bald, daß er sich gar nicht ungern mit mir unterhielt, und da wurde ich auch dreister. Er hat etwas – wie soll ich sagen? – etwas Liebkosendes in den Augen, so daß man ihn gern ansieht. Ich möchte wissen, ob es Andern auch so geht …

„Ich habe Sie heute früh schon gesehen,“ fing er an.

„Mich? – Und davon weiß ich nichts!“

„Als ich von einem sehr zeitigen Spaziergang zurück kam, standen Sie am Fenster. Sie waren sicher noch nicht lange auf und hatten die Hände hinter dem Kopf gefaltet … Sie schienen in tiefes Nachdenken versunken – an was mögen Sie wohl gedacht haben?“

„Ich weiß nicht – vielleicht an den Ball …“

Aber in dem Augenblick fiel mir ein, daß ich an meine alten Damen gedacht hatte und ob sie ihm wohl erzählt, daß ich drei Portionen Eis essen wollte. Da wurde ich wieder einmal sehr roth.

„Wissen Sie, warum Onkel Frau von Gebsattel die Coeurdame nennt?“ fragte ich, um das Gespräch abzulenken.

„Vielleicht, weil sie ein besonders gütiges Herz hat.“

Aber an seinem Gesicht merkte ich gleich, daß das nicht das Richtige war. Da steckt gewiss eine Liebesgeschichte dahinter, dachte ich, wie kann ich die nur herausbekommen, denn so etwas interessirt mich immer am meisten. Direkt fragen wollte ich doch nicht. Wie ich mir das noch überlegte, hörten wir auf einmal Stimmen hinter uns rufen: Fräulein! – Lisa!

„Es scheint, wir werden steckbrieflich verfolgt,“ sagte Herr Heinrich und kehrte ärgerlich um.

„Schade,“ rief ich, „es ist viel schöner hier im Freien als drin, in der Gluthhitze.“

Tante und eine alte Dame kamen uns entgegen.

„Du kannst Dich erkälten, Lisa!“ (als ob man sich in einer warmen Mainacht je erkältete!) rief Tante, „geben Sie Lisa’s Launen nur nicht nach, Herr Doktor!“

„Warum versteckt sich denn unsere kleine Russin?“ redete mich die alte Dame an. Sie hatte ganz weißes Haar, sehr lebhafte Augen und war in ihren großen Cachemire eingewickelt, als ob sie fröre.

„Erlauben Sie, Gräfin, daß ich Ihnen meine Nichte Lisa vorstelle,“ schrie Tante. „Sprich laut, Lisa, die Gräfin Nolimé ist etwas taub, sei sehr verbindlich, hörst Du?“ flüsterte sie mir dann zu.

Gewiß fährt die alte Gräfin in einer Equipage! dachte ich, und es quälte mich sehr, daß Tante Alles hören würde, wenn ich laut spräche, sie ging mit Herrn Heinrich dicht hinter uns.

Ich mußte meinen Arm unter den Cachemire der Gräfin stecken

„Wissen Sie denn, was Sie angerichtet haben, Sie allerliebster Unheilstifter?“ wendete sie sich an mich. „Wenn das so fort geht, werden alle jungen Damen petitioniren, daß man Sie nach Rußland zurückschickt.“

„Weßhalb denn?“ fragte ich so laut, als meine Verlegenheit zuließ.

„Ach – Sie spielen die Unschuldige! Soll ich Ihnen wiederholen, liebes Kind, was man soeben von Ihnen gesagt hat?“

„Etwas Schlimmes?“ frage ich erschreckt.

„Wie?“

„Etwas Schlimmes?“ schrie ich und hätte dabei unter die Erde sinken mögen.

„Aha – unsere kleine Lisa wird neugierig! Nun, man hat mir gesagt … Nein, ich will Sie nicht roth machen, mein Neffe soll es Ihnen selbst wiederholen. Ja, ja – ich habe Jemand eben in Verzweiflung gesehen, weil Sie ihn kalt und abstoßend behandelt haben.“

„Mit Absicht habe ich Niemand gekränkt.“

„Wie?“

„Mit Absicht habe ich Niemand gekränkt,“ schrie ich in meiner Verzweiflung. Was mußte Herr Heinrich denken, daß ich Jemand beleidigt hatte! Der ganze Ball war mir auf einmal verleidet.

„Wie naiv Sie noch ist!“ rief Gräfin Nolimé Tante zu.

Ein nicht mehr junger Herr, der uns an der Thür erwartet hatte, kam uns ein paar Schritte entgegen.

„O – da ist er schon, mein Neffe! Ich glaube, er ist Ihnen bereits vorgestellt. Baron von Trauermantel-Papier.“

Er verbeugte sich, ich machte ein Kompliment.

„Gnädiges Fräulein scheinen vergessen zu haben, daß diese Polka mir zugesagt war …“

„Ich wußte nicht, daß der Tanz schon angefangen hatte.“

„Es ist durchaus meine Schuld – ich habe dem Fräulein die Volière zeigen wollen, und man hört die Musik in der Entfernung nicht,“ rief Herr Heinrich, als ob er nicht leiden wolle, daß mich ein Vorwurf träfe.

,O – bitte, Herr Professor – bitte,“ entgegnete Herr von Trauermantel mit einer höflichen Verbeugung und führte mich in den Saal. „Gelehrten darf man solche Dinge nicht übelnehmen, wir holen das nach!“ sagte er dabei, und gleich darauf tanzten wir ein paar Mal im Saal herum. Er kam aber viel schneller außer Athem als Herr von Gebsattel. Beleidigt schien er nicht, im Gegentheil, nur zu freundlich. Mit seinem breiten rothen Gesicht lächelte er mich fortwährend an, sein Mund verzog sich dabei schief. Das kam mir mit einem Male komisch vor. Himmel – dachte ich – wenn ich nur nicht ins Lachen gerathe, ich weiß, da giebt’s nicht gleich ein Aufhören! Und Herr Heinrich, der mich beobachtet!

Ich biß mir auf die Lippen und versuchte an den Abschied von Natti zu denken.

Glücklicherweise fing er da zu reden an:

„Gnädiges Fräulein, Sie haben eine Toilette, die Ihnen vorzüglich steht. Auf Ehre – ich finde Ihren Anzug reizend.“

„Sehr gütig.“

„Gnädiges Fräuleim finden es indiskret, daß ich Ihren Anzug lobe – nicht?“

„Ich – nein … ich …“ ich wußte nicht recht, was ich hier erwiedern sollte.

„Ich spreche vom Anzug, weil ich mir doch nicht erlauben darf zu sagen: Gnädiges Fräulein, ich finde Sie …“

Jetzt nahm ich eine beleidigte Miene an, aber es brachte ihn nicht außer Fassung.

„Wir sind an der Reihe,“ sagte ich sehr steif. Und als wir zweimal herumgetanzt und er schon keuchte und mich absetzen wollte, rief ich doch:

„Bitte, noch eine Tour – es tanzt sich so gut nach dieser Polka.“

Wenn er außer Athem ist, kann er wenigstens nicht reden! dachte ich.

Nach dem Tanze wollte er mich ebenfalls in den Garten führen. Da rief ich schnell:

„Ich darf nicht, meine Tante hat’s verboten. Da ist sie!“ und so machte ich mich von ihm los.

„A bientôt – à bientôt!“ rief er mir noch zu.

Tante schien sehr aufgeregt.

„Warum läufst Du ihm denn fort?“

„Er wollte mich in den Garten führen – aber Du hast es ja verboten.“ Ich sagte das mit einem kleinen Triumph.

„Hier war das etwas Anderes. Herr von Trauermantel ist sehr gewählt; es ist eine große Ehre, daß er sich mit Dir

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 691. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_691.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2023)