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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Als ich die erste Portion gegessen habe, fragt er wieder:

„Lisa – eine zweite, doppelt hält besser.“

„Wie Du denkst, Onkel.“

Und nach der zweiten: „Aller guten Dinge sind drei – noch eine, mir zu Liebe!“

„Wie Du denkst, Onkel.“ (Melange ist nämlich meine Passion!)

Aber Tante steht schnell auf.

„Willst Du sie mit drei Portionen Eis in die ‚Nachrichten‘ bringen, Karl? Ein paar alte Damen am nächsten Tisch verwenden kein Auge von ihr. Wer für ein Kirchenbild gemalt wird, Lisa, sollte etwas Rücksicht nehmen!“

(Sie hält mir das Kirchenbild so oft vor – ich stehe doch für keine Heilige?)

Ich sehe gar nicht auf, als wir am nächsten Tisch vorübergehen. Da ruft plötzlich eine Stimme: „Fräulein – Fräulein!“

Meine beiden alten Damen von der Reise! Ich hätte unter die Erde sinken können! Nun werden sie ihm erzählen, daß ich naschhaft bin! Aber sie ließen sich nichts merken und machten Onkel sehr viel Komplimente über sein Bild. Ein lieber Verwandter, den er „in seinem Gemälde verewigt“ habe, hätte ihnen viel davon erzählt. Ob sie das Bild im Atelier sehen dürften?

Onkel war so lieb und gut. Er sagte: „Verwandte von meinem theuren jungen Freunde sind mir immer besonders willkommen!“

Und doch weiß ich, wie er Besuche haßt. Nicht alle, versteht sich.

Den 22.  
Mein erster Ball, heut Abend! Früh das weiße Kleid noch einmal Probe angezogen. Tante rief Onkel dazu.

„Findest Du nicht, daß die Garnirung auf der linken Seite etwas mager ist? Ich will mit Rosenzweigen raffen – was meinst Du?“

Er sah mich mit seinen sonderbaren Maleraugen an, ohne zu reden.

„So sprich doch, Karl – soll ich raffen oder nicht?“

„Das ist ja gleichgültig,“ sagt er endlich, „wenn das Bild gut ist, frägt keiner nach dem Rahmen.“

Da schob ihn Tante zur Thür hinaus. Ich dachte: eitel macht mich das nicht – aber daß Herr Heinrich mich so sehen wird, das gefällt mir wohl!

Den 23. früh 3 Uhr Sonntag. 
Ich bin wieder aufgestanden; schlafen kann ich doch nicht. Als ich vor vierzehn Tagen ans Land stieg, fühlte ich die Bewegung des Schiffs noch eine Zeit lang nach. So lag ich vorhin im Bett, hörte Ballmusik und drehte mich. Aber ich dachte nicht viel ans Tanzen. Ein frischer, kühler Morgen, er thut den Augen wohl. Venus, Mars und Merkur stehen noch am Himmel, ein Bischen verblaßt schon. Die drei Sterne sind jetzt früh zu beobachten. Ja – ich verstehe etwas Astronomie, Herr Heinrich hat mich belehrt!

Also mein erster Ball ist vorbei. Da liegt der Ballstaat. Röth würde sich ärgern, wenn sie die linke Garnirung sähe – Herr von Trauermantel hat darauf getreten. Weil er’s war, wird Tante nicht zanken. Vor dem Fenster stehen fünfzehn niedliche Kotillonbouquetts mit Schleifen voll eingedruckter Devisen. Ein Sträußchen davon werde ich pressen, aber nicht das von Herrn von Trauermantel. Doch ich will von Anfang anfangen, nicht vom Ende.

Wir waren für fünf Uhr eingeladen, aber wir kamen viel später. Ein Prälat, der durch Dresden reist, wollte die Kanahochzeit sehen. Er fuhr vor, als wir eben fertig mit Anziehen waren. Onkel sagte: „Geht doch voraus.“ Tante wollte nicht. Sie setzte sich auf den Balkon und sah nach der Atelierthür, ob der Prälat nicht bald wieder herauskäme. Das war gerade, wie wenn man sich ans Feuer stellt und wartet, bis das Wasser kocht. Sie wurde ganz verstimmt und gelb vom Warten.

„Tante,“ fing ich an, „das schwarze Sammetkleid steht Dir doch sehr gut. Der Ausschnitt zeigt Deine hübschen Schultern.“

Sie zog an der Taille, da kamen sie noch etwas mehr zum Vorschein.

„Ich finde auch, wenn Du Dein Haar steckst wie Mama, siehst Du ihr ähnlich.“ (Es war immer Tantens Ehrgeiz, meiner schönen Mama ähnlich gefunden zu werden.)

„So – meinst Du?“

„O – bitte, halt’ einmal Deinen Kopf still, so wie Du ihn eben hältst …“

„Weßhalb?“

„Weil der blaue Himmel jetzt gerade hinter Deinem Profil steht. Onkel würde sprechen: wie gut stimmt der warme Ton des Fleisches zu dem kalten Hintergrunde …“

„Alter Affe!“ (aber sie lachte dabei).

„Ach Tante – ich habe es so gern, wenn Du freundlich aussiehst! Jetzt hast Du gewiß eben an Cäciliens Brief gedacht. Morgen ist Sonntag, das ist ihr Tag und sie ist immer pünktlich. Eine Andere würde auf so einer Reise vielleicht vergessen, an ihre Mama zu schreiben.“

„Das ist wahr. Cäcilie hat ein edles Herz; wer weiß, ob Natti …“

Da ging die Atelierthür. Der dicke Priester, gefolgt von Onkel, schritt voraus – Tante hatte es gar nicht bemerkt, sie war guter Laune geworden.

Gebsattel’s wohnen halbwegs zwischen Weißem Hirsch und Loschwitz. Ihr Park reicht fast bis an die Elbe. Die Villa ist ein wahres Paradies, am besten gefällt mir der viereckige Thurm mit dem Observatorium. Da sitzt jetzt Rachts gewiß die Coeurdame mit Herrn Heinrich und beobachtet die Sterne. Ach – können diese Gebsattel’s glücklich sein! Dem alten Oberforstmeister merkt man’s freilich nicht an. Mit seiner schmalen, sehr hohen Stirn (sie nimmt gar kein Ende!) geht er verdrossen einher, als ob seine Chokoladenaugen das Licht scheuten.

Fast Alles war schon versammelt. Als wir ins Vestibül treten, fangen sie gerad die „Blaue Donau“ zu spielen an. „Das ist mein erster Walzer!“ sag’ ich zu Tante, und es zuckt mir schon in den Füßen.

An der Salonthür schaut der junge Herr von Gebsattel bereits mit dem Kneifer nach uns aus.

„Ach, Gnädige – wie spät, wie spät! Wenn ich diesen Walzer verloren hätte – untröstlich, wahrhaftig!“

Dabei legte er gleich den Arm um meine Taille. Ich hatte nur Zeit, Tante meinen Fächer zuzuwerfen, da tanzte ich auch schon in meinen ersten Ball hinein.

„Gnädiges Fräulein – man ruht ja aus, wenn man mit Ihnen walzt,“ ruft er mir während des Tanzens zu, „Sie schweben wie eine Elfe – auf Ehre!“

Ich aber sah mich über seine Schulter dabei im Ballsaal um, es war noch lichter Tag. Die erste Person, die ich erblickte, war Herr Heinrich. Er war Tante entgegengegangen und unterhielt sich mit ihr. Dabei sah er sich nach mir um – ich merkte es wohl. Und als ich seinen Augen begegnete, da war mir plötzlich so froh zu Muth, daß ich vor mich hinlachen mußte, während ich zwischen den Spitzentoiletten und Uniformen unter Wohlgerüchen und Musik dahinflog. Die drei großen Flügelthüren, die vom Saal nach dem Garten führen, standen offen und die frische Luft von der Elbe strömte herein.

„Wo darf ich Sie absetzen, Gnädige?“

„Neben Tante, bitte, sie steht an der Mittelthür.“

„Wie Sie befehlen.“

Und immer langsamer walzend brachte er mich durch ganze Wolken von Seidentüll und Spitzen bis in ihre Nähe. Ich bewunderte seine Geschicklichkeit.

Tante hielt sich sehr gerade und steif und sah etwas gelangweilt neben Herrn Heinrich aus. Er fährt ja nicht zweispännig! Aber sie machte mir mit den Augen ein gewisses Zeichen; daran merkte ich, daß sie mit mir zufrieden sei.

„Sie haben Ihr Entrée in die Welt gleich tanzend gemacht,“ sagte Herr Heinrich. „Ich bin ein ungeschickter Tänzer, aber wenn Sie eine Quadrille mit mir riskiren wollen …“

„Natürlich tanzen wir zusammen, die erste, wenn Sie wollen?“

Ich hatte es ja erwartet, daß er mich auffordern würde. Er wollte weiter mit mir reden, aber da kam Herr von Gebsattel und stellte mir einen Herrn nach dem andern vor. Ich wurde ganz verwirrt von den vielen fremden Namen, meine Tanzkarte aber war auf einmal voll.

„Vergiß nicht, Frau von Gebsattel Dein Kompliment zu machen,“ flüsterte Tante mir zu.

„Wo ist sie?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 690. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_690.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2023)