Verschiedene: Die Gartenlaube (1887) | |
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Man weist auch hin auf frühere Zeiten, wo einzelne Lehrer
gewissenlos genug waren, ihre Schüler zur Prüfung monatelang
zu drillen, damit ja Alles Schlag auf Schlag gehe. Da leben
alte Anekdoten wieder auf, wie die, wo der Lehrer die Antworten
der Reihe nach vertheilt hat und nun, weil durch Krankheit eines
Schülers diese Reihe zerstört worden ist, die lächerlichsten
Antworten erhält, oder es wird erzählt, daß bei einer Prüfung die
Schüler bereits antworteten, als der Lehrer eben zu fragen
angefangen, etc. In Folge aller dieser Umstände sei das Ansehen
der öffentlichen Schulprüfungen derartig gesunken, daß
einsichtsvolle Eltern dieselben längst nicht mehr besuchten, da sie
namentlich auch durch die Hausarbeiten der Kinder, durch Aufsätze,
Rechenaufgaben etc. einen viel besseren und richtigeren Einblick in
die Thätigkeit der Schule gewännen.
Alle diese Vorwürfe und Einwendungen, die man gegen die öffentlichen Schulprüfungen erhoben hat, mögen hier und da begründet sein. Was beweisen sie aber? Nicht, daß diese Prüfungen an und für sich verwerflich sind, sondern daß dieselben an manchen Orten in verfehlter Weise abgehalten werden. Die öffentlichen Schulprüfungen sind ernste Schulfeierlichkeiten, werden sie zur Posse erniedrigt, so tragen in der Hauptsache die Leiter und Veranstalter die Schuld. Werden dieselben aber in würdiger Weise abgehalten, so wird sie auch das Publikum beachten und besuchen. In Leipzig ist dies wenigstens der Fall. Hier nehmen die Eltern und Behörden an den öffentlichen Schulprüfungen lebhaften Antheil, und es werden nicht nur die der unteren, sondern auch die der oberen Klassen stark besucht.
Hier kann aber auch kein Schwindel getrieben werden. Die
Lehrer erhalten die Aufgaben, die sie zu behandeln haben, nach
Entlassung der Schüler. Sie kommen vor der Prüfung mit
denselben nicht wieder zusammen, es ist hier also ein Drillen und
Einpauken nicht möglich. Werden nun diese Aufgaben nicht zu eng
begrenzt, so kann in der Prüfung recht wohl gezeigt werden, was
die Schule leistet. Wie es in Leipzig gehalten wird, so ist es
auch in anderen Städten, z. B. in Dresden und Chemnitz, der
Fall. Auch dort werden die Prüfungen von den Eltern gern
besucht. Es ist ferner nicht richtig, daß der Ausfall der
Prüfungen ohne Wirkung auf die Censuren sei. Im sächsischen
Schulgesetz – bekanntlich einem der besten – ist ausdrücklich
gesagt, daß die Censuren erst nach der Prüfung und mit Beziehung
auf den Ausfall derselben gegeben werden sollen.
Wenn man weiter angeführt hat, daß manche Eltern durch die Prüfungen ein falsches Urtheil über die Schule erhalten, so kann man mit mehr Recht das Gegentheil behaupten und nachweisen, daß dadurch viele Väter und Mütter ein regeres Interesse für die Schule erlangt haben. Hier ist ihnen Gelegenheit geboten, ihr Kind mit anderen zu vergleichen. Hier liegen die Aufsatzhefte, die Rechenhefte, die Schreibhefte aus, hier sind die Zeichnungen der Schüler ausgestellt, die Handarbeiten der Mädchen laden zur Besichtigung ein – vergleicht und prüfet nun selbst, was euer Kind leistet! Es ist richtig, daß manche eitle Mutter ihr Kind etwas herausputzt. Wird aber nicht gerade bei dieser Gelegenheit oft gezeigt, daß das Kleid nicht den Mann macht? Die Schule ist eine demokratische Einrichtung, der Tüchtigste gilt am meisten und von dem Besten wird der oberste Platz eingenommen, wenn er auch der Aermste ist. Bei der Prüfung tritt dies offen zu Tage. Da wird nicht selten das schlichte Kleid zu Ehren gebracht, da sitzt gar oft der Sohn armer Leute hoch über dem Sohne des reichen Mannes.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 677. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_677.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2023)