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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


„Vorwärts! – Fähnrich, übernehmen Sie den Zug des Lieutenants Mackowski!“

„Zu Befehl –“ Fort ist er. Die erste natürliche Bangigkeit ist überwunden; der junge Löwe ist in ihm erwacht, unaufhaltsam stürmt er an der Spitze seines Zuges voran.

Nun geht’s Auge um Auge, Zahn um Zahn. Der Kolben fluscht – das kostet Schädel. Der Revolver tritt in seine Rechte; das Ding ist Leib an Leib leichter zu hantiren als ein großes Zündnadelgewehr. Essenkehrer – Neger fechten mit einander; Staub, Pulverdampf, Schweiß, Blut und Sonnenbrand geben der Haut eine wunderbare Farbe.

Um mich wird’s dunkel; ich fühle da eben etwas wie einen Flohstich am linken Bein, einen Schmerz über dem rechten Ohr – und – da lieg’ ich. Nun Alles still – dunkel – mein Gedächtniß, mein Gefühl ist verflogen.

*  *  *

Ich schlage die Augen auf. Die Schlacht hat ausgetobt – welche wunderbare Ruhe! Nur hier und da der lange, lange Klageseufzer eines Sterbenden – das schmerzerfüllte Wiehern eines blessirten Pferdes – und ab und zu noch der Schuß aus einem Gewehr, welches entladen werden sollte, der Bequemlichkeit wegen aber abgeschossen wurde.

Um mich Nacht – die Sterne leuchten. – Brennender Durst, schmerzende Glieder. Regungslose Körper mit starren, gläsernen Augen – Todte meiner Kompagnie dicht neben mir zu Wällen geschichtet. Ja, ja, heiß ist’s hergegangen. Mich fröstelt.

Einer regt sich, sieht mich an.

„Ach – Sie leben, Herr Hauptmann – Sie leben –“

„Gott sei’s gedankt! Nun, und wie steht’s um die Unsern?“

„Gewonnen!“ jubelt der leicht verwundete Soldat.

In diesem Augenblicke nahen dunkle, schattenhafte Gestalten. Sie kommen näher.

„Er lebt!“ – „Woher soll er denn leben?“ – „Er ist todt!“ – „Aber er hat keine Wunde!“ – „Ich begrabe ihn nicht.“ – „Laßt ihn ruhig liegen!“ höre ich abwechselnd Stimmen sprechen.

Der Soldat springt auf. „Sie bringen unsern Fähnrich!“ ruft er mir zu.

Es war der Fähnrich – kalt und starr, das Auge gebrochen; von einer Wunde war nichts zu entdecken.

„Legt ihn zu mir!“ befahl ich meinen Leuten.

Sie thun es und so liegen wir während der ganzen Nacht in schweigender Gesellschaft. Niemand kommt, um mich auf den Verbandplatz, geschweige denn unter ein schützendes Dach zu tragen. Wo Tausende Hilfe begehren, können Hunderte nicht helfen.

Der Morgen erglüht und übergießt das lächelnde Gesicht des Junkers gerade so schön wie der gestrige. Doch heute schläft er, um nie mehr zu erwachen.

Ein Arzt erscheint.

„Hm – keine Wunde – hm – ein Herzschlag!“

Zehn Schritte von mir entfernt hat Lieutenant von Mackowski gelegen; er ruht schon mit zwölf anderen Kameraden in einem Grabe. Ein Platz neben ihm ist noch frei – und dahin betten sie den Fähnrich.

„Bruder meiniges –“. Fieberfrost schüttelt mich – der Blutverlust, die Erregung – ich werde ohnmächtig. Zwölf Stunden später erwache ich auf einem Strohlager am Kamin in Château Montagnard.

Nanette kniet neben mir. „Der Fähnrich ist unverwundet gestorben,“ flüstere ich ihr zu. Sie spricht nicht, sieht mich nur tief traurig an.

„Ich wußte es,“ kann ich aus ihren Augen lesen, „gerade so wie mein – – –.“ Sie schluchzt laut auf. – – –




Nicht zu heiß!

Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird,“ sagt ein altes Sprichwort; es enthält gewiß eine unbestreitbare Wahrheit; es verschweigt aber eine andere ebenso unbestreitbare Thatsache, daß Vieles von Vielen zu heiß gegessen wird.

Die Köchin oder die Hausfrau bestimmt die Temperatur der Speisen; die Hausgenossen und Gäste beugen sich vor ihrem sachverständigen Urtheil. Wir essen dieses kalt, jenes warm, und das andere heiß, weil die allgemeinüblichen Küchenregeln es uns so vorschreiben.

Bis vor nicht langer Zeit kümmerte man sich wenig um die Bedeutung des Genusses kalter oder heißer Speisen. Der gesunde Magen verträgt viel und man muthet ihm nach beiden Richtungen hin alles Mögliche zu. Gefrorenes ißt man überall, und heißer Kaffee wird auch von Vielen für gesund gehalten. In Rußland trinkt man oft den Thee, wenn er noch beinahe siedend heiß ist und seine Temperatur gegen 80° Celsius beträgt. Bei uns ist auch ähnliche Unsitte im Schwang. Hat sich Jemand erkältet und soll er schwitzen, so muß er nach der alten Hausregel irgend einen Theeaufguß möglichst heiß trinken, und das Getränk wird auch hinuntergeschluckt, wenn es beinahe den Mund verbrennt. Auch der Glühwein wird möglichst heiß getrunken; die Sitte befiehlt es so.

Und was sagt der Magen dazu? Noch vor wenigen Jahren erging man sich in allerlei Vermuthungen über die Einwirkung heißer Nahrung auf diesen Tyrannen der Menschheit. Jetzt hat die Wissenschaft durch Versuche, zu welchen der hochverdiente Professor M. Pettenkofer Anregung gegeben hat, festzustellen vermocht, daß der Genuß überhitzter Speisen Blutüberfülluug der Magenschleimhaut zur Folge hat, welche zum Magenkatarrh führt und sogar Magengeschwüre erzeugen kann! Auch für die Zähne ist das Uebermaß der Wärme nicht zuträglich; das Email springt unter dem Einfluß zu heißer Speisen und Getränke. Hohlwerden und Verlust der Zähne sind die letzten Folgen eines solchen gesundheitswidrigen Genusses.

Was verstehen wir aber unter „zu heiß“? Es unterliegt keinem Zweifel, daß Speisen, welche die Temperatur des Blutes haben, am besten vertragen werden. Diese Temperatur beträgt nun bekanntermaßen 28° Reaumur oder 37,5° Celsius. Ein mäßiges Uebersteigen dieser Grenze um etwa 10° dürfte dem Magen keinen Schaden zufügen. Temperaturen von etwa 38° bis 40° Reaumur sind also als erlaubt anzusehen.

Und wie heiß speisen wir gewöhnlich? Wie heiß ist der Kaffee, den wir trinken, wie heiß die Suppe, der Braten?

Ich möchte wetten, daß von tausend meiner Leserinnen kaum eine auf diese Frage wird antworten können, und doch ist sie wichtig genug. Sie ist auch leicht zu beantworten; man braucht nur das Thermometer zur Hilfe zu nehmen. Viele werden alsdann zu ihrer Beruhigung sehen, daß sie die erlaubten Grenzen einhalten, viele aber auch die unangenehme Erfahrung machen müssen, daß sie ihren Magen jahrelang hindurch schwer geschädigt haben. Die Abhilfe kann hier leicht bewerkstelligt werden, und wenn Jemand nicht zu heiß speist, so verdirbt er sich dadurch den Genuß keineswegs, im Gegentheil, er erhöht ihn. Die Wärme hebt nämlich die Geschmacksempfindung auf; wenn wir die Zunge nur ½ bis 1 Minute in Wasser von 50° C. halten, so sind wir nicht mehr im Stande, mit ihr den süßen Geschmack des Zuckers wahrzunehmen. Bei höheren Wärmegraden tritt natürlich dieser Zustand sicherer und rascher ein. Diese Thatsache sollte namentlich von allen Köchinnen gewürdigt werden; denn in ihr ist eine heimliche Quelle des Versalzens der Speisen enthalten. Wer zu heiß die Suppe kostet, der kann ihren Geschmack nicht sicher prüfen und versalzt sie nur zu leicht.

Kein Wunder, daß in Anbetracht derartiger Thatsachen erfahrene Aerzte den Ausspruch nicht scheuten, daß auf den Eßtisch ein Thermometer gehöre und daß es an diesem Platze wichtiger sei als Salzfaß und Pfefferbüchse. Es gehört aber auch in die Küche; denn auch dort kann es beim Kochen und Backen treffliche Dienste leisten. Man hat sogar für die Küche besondere Thermometer konstruirt, welche die Temperaturen für verschiedene Speisen und Getränke angeben. Das Thermometer von Sophie Heuer, der Vorsteherin der Kieler Kochschule, welches, anstatt mit Quecksilber, mit unschädlich gefärbtem Alkohol gefüllt ist, hat die folgende interessante Skala: „Trichinentod. – Suppen, Fleisch und Gemüse. – Milch, Kaffee, Thee, Eierbier, Glühwein, Punsch. – Warmes Bad. – Hefeteig zum Aufgehen. – Mehl. – Zimmertemperatur. – Kaltes Bad. – Rothwein! – Trinkwasser, Bier. – Bier auf Eis, Weißwein. – Champagner.“

Das Thermometer in der Küche! Es klingt fast lächerlich, und in der That wäre es lächerlich, pedantisch und unnütz, wenn die Frau die Wärme aller Speisen mit dem Thermometer nachmessen wollte. Aber eine Zeit lang sollte jede Hausfrau auch in der Küche ein wenig mit dem Thermometer hantiren, um die Unterschiede zwischen heiß und zu heiß, kalt und zu kalt kennen zu lernen. Nach kurzer Uebung wird sie das Thermometer entbehren können und nach eigenem Gefühl die richtige Temperatur treffen. Die vorsichtige junge Mutter mißt ja auch zunächst die Wärme der Milch, welche sie in der Flasche ihrem Kinde reichen muß. Dabei kostet der Versuch nichts; denn Thermometer sind in jedem Haushalt vorhanden, und er ist auch interessant. – Ueber die erlaubte Grenze für heiße Speisen haben wir bereits Angaben gemacht; aber auch für kalte Getränke giebt es Grenzen, welche nicht überschritten werden sollten. Dr. J. Wiel giebt folgende Tabelle an:

Trinkwasser + 8° R.
Bier nicht unter + 9° R.
leichte Weine nicht unter + 10° R.
starke Weißweine + 6° R.
Rothweine + 12° R.

Selbstverständlich gilt das hier Gesagte nur für den gesunden Magen. Magenkranke müssen im Genuß zu kalter und zu heißer Speisen noch vorsichtiger sein. Für sie geben wir keine Vorschriften; denn es ist die Sache des Arztes für jeden einzelnen Krankheitsfall das Richtige zu treffen. C. Falkenhorst. 



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