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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


Das Milchmädchen von Trianon.

Eine Lieder-Erzählung von Ernst Pasqué. 0Mit Illustrationen von A. Brunner.

Die prachtvolle ehemalige Residenz des Sonnenkönigs Ludwig’s XIV. mit ihren Gärten, Wasserkünsten und den beiden Trianon, übt stets einen geheimnißvollen, mächtigen Reiz auf den Fremden aus, denn Versailles ist der Schauplatz, auf dem sich während eines Jahrhunderts nicht allein Ereignisse von weltgeschichtlicher Bedeutung vollzogen, sondern auch ein buntes, interessantes Leben, reich an phantastischen, blendenden Festen, heimlichen Intriguen und pikanten Scenen entwickelte. Besonders sind es die beiden Trianon, welche die Phantasie des Neulings in Paris vorzugsweise beschäftigen: findet er doch heute noch in „Petit Trianon“ einen ganzen Sagenkreis um die Person der unglücklichen Königin Marie Antoinette gewoben, von dem die Wissenden sich nur flüsternd zu erzählen wagen.

Das letzte Mal, als ich Paris besuchte – nur wenige Jahre sind es her – da verbrachte ich mehrere Tage in „Petit Trianon“, das damals in liberalster Weise dem Besucher täglich offen stand – und doch so wenig besucht wurde! Der geheimnißvolle Zauber des Orts hielt mich gebannt und wirkte um so mächtiger auf mich ein, als ich mich ganz allein in dem weiten Parkbereich sah. Kein Besucher störte mich in meinem Wandeln und Träumen, kaum daß ich in der Ferne einen Gartenarbeiter bemerkte. Nur am Eingange des Dörfchens, in dem Häuschen des „Feldhüters“, fand ich einen rothhosigen Infanteristen, der, mit seinem Seitengewehr bewaffnet, die historisch interessanten ländlichen Bauten, deren Inneres zu betreten verboten war, bewachte.

Mit Hilfe freundlicher Worte und besonders einiger Regiecigarren gelang es mir, den harmlosen Troupier zu gewinnen, und an seiner Seite durchwanderte ich die sämmtlichen Häuschen des Dörfchens. In der Mühle ließ mein Gefährte das Rad sich drehen, und es sang heute noch dasselbe melancholische „Klipp-Klapp“ wie zur Zeit, als Ludwig XVI. dort als „Müller“ hantirte. In der „Laiterie“, der Milchkammer, sah ich die weiße Marmortafel, wo Marie Antoinette als Bäuerin die von ihr oft selbstgemolkene Milch in einfachen Gefäßen ihrem intimen Hofstaat, den zeitweiligen Bewohnern des Dörfchens, auftischte; wo man vermittelst Leitern von Mahagoni auf die niedlichen Futterspeicher stieg, mit Waschbläuel von Ebenholz die Wäsche reinigend schlug – mit „goldenen Scheren“ die Schäfchen schor! Ich sah das Schulhaus, in welchem der junge, doch ernste und gelehrte Graf von Provence, später Ludwig XVIII., als Dorfschullehrer fungirte, während sein Bruder, der Graf von Artois, später Karl X., das Amt eines Flurschützen versah und in dem Häuschen wohnte, das heute meinem republikanischen Führer als Aufenthalt diente. Ich sah die Wohnung des „Bailly“ (Landvogt), ein wichtiges Amt in dieser arkadischen Maskerade, das meistens in den Händen des gewandten Grafen d'Adhémar ruhte, den „Marlborough-Thurm“, das Pfarrhaus und endlich das „Boudoir“ und den Pachthof, das größte und schönste Gebäude des Dörfchens, den Wohnort der königlichen Pächterin, mit seinen Lauben und Laubgängen, mit den Vasen, in denen einstens die von der Herrin des Orts gepflegten Blumen blühten.

Dann verabschiedete ich dankend meinen Führer, warf mich am Ufer des kleinen Sees auf den Rasen nieder, und, das Dörfchen vor mir, versenkte ich mich in Erinnerungen längst vergangener Zeiten und überließ mich meinen Träumereien, und was ich damals in der Idylle des „Petit Trianon“ träumend geschaut, bereits wußte und sonst noch erfahren habe, will ich jetzt der Reihe nach erzählen.




Das Dörfchen der Königin und dessen Bewohner.

Im Jahre 1774 starb Ludwig XV. und sein Enkel bestieg als Ludwig XVI. den Thron Frankreichs. Als Angebinde schenkte der König seiner jungen, damals neunzehnjährigen Gemahlin das Schlößchen „Petit Trianon“ mit seinen Gärten, und dankbar nahm die lebensfrohe Königin die Gabe an, jedoch mit der halb ernstlich, halb schelmisch gestellten Bedingung, daß der König nur dann dort erscheinen dürfte, wenn man ihn dazu einladen würde. Nun begann sie Schlößchen und Garten, die ihr von Anfang an ein Lieblingsaufenthalt waren, nach ihrem Geschmack, ihren Neigungen zu verschönern und umzuwandeln. Jedem Zwange abhold, war sie auch eine Gegnerin der steifen altfranzösischen Gartenkunst Le Nôtre’s, und während der Architekt Micque das Schlößchen, das kleine Theater und die verschiedenen Pavillons umbaute und errichtete, zeichneten der Architekt Leroy und der Maler Hubert Robert, nach Anordnung der Königin, den neuen landschaftlichen Garten im englischen Geschmack, mit seinen Wiesen und Wäldchen, seinen natürlichen Felspartien, Grotten und Wasserfällen, seinem Bächlein, dem See und dem kleinen koketten Dörfchen, welche Arbeiten dann auch unter Leitung der beiden Künstler ausgeführt wurden. Es dauerte dies indessen mehrere Jahre, und erst 1781, beim Besuche Josef’s II. in Versailles, fand die eigentliche Einweihung des kleinen selbstgeschaffenen Paradieses der Königin Marie Antoinette statt.

Nun begannen auch die ländlichen Maskeraden der Königin und der Intimen ihres Hofstaats, welche, außer dem König und dessen Geschwistern, den Grafen von Provence und von Artois und Madame Elisabeth, nur noch aus wenigen Personen, mehreren Damen und älteren Herren bestand, unter denen Baron von Besenval, die Grafen d'Adhémar und Vaudreuil die bevorzugtesten waren. Der einzige jüngere Kavalier dieses intimen Hofstaats war der etwa zwanzigjährige Graf Artois – sein nur um zwei Jahre älterer Bruder, der Graf von Provence, zählte, weil er zu ernst war, nicht mit.

Das Dörfchen erhielt erst gegen 1783 die volle Ausdehnung. Die ersten der ländlichen Bauwerke waren die Meierei und die Milchkammer mit ihrem marmorgepflasterten Stalle. Marie Antoinette verlangte aus Gesundheitsrücksichten und weil es zugleich ihrem Geschmack entsprach, nach frischer süßer Milch, die unter ihren Augen gemolken werden sollte – bis sie später solche ländliche Arbeit selber besorgte. Als die beiden Bauten fertig waren, als ihr hübsches malerisches Aeußere, die kokette und einladende innere Einrichtung und Ausstattung der jungen Königin größte Freude machten, ließ sie durch ihren Agenten in der Schweiz und im Kanton Freiburg zwei prächtige Schweizerkühe aufkaufen und nach Versailles senden. Da die kostbaren Thiere auch gute und besonders richtige Pflege haben mußten, so wurde dem französischen Agenten bald der weitere Auftrag, auch eine junge hübsche Schweizerin, in solchen ländlichen Arbeiten wohlerfahren, zu suchen, zu engagiren und ebenfalls nach Versailles zu schicken. Rasch wurde der Befehl der Königin erfüllt, und noch waren die beiden Schweizerkühe in ihrem Marmorstalle zu Trianon nicht heimisch geworden, da langte auch schon eine Landsmännin von ihnen an, eine junge frische und sehr hübsche Dirne aus dem Kanton „Fribourg“ mit Namen Emmi. Das Mädchen sah in seiner volksthümlich ländlichen Tracht, mit dem blendend weißen bauschigen Linnenhemde, dem schwarzen, mit silbernen Kettlein verzierten Mieder ganz allerliebst aus. Der flache Strohhut, den sie stets mit Blumen verzierte, hob das rothwangige Gesichtchen mit den großen braunen Augen äußerst vortheilhaft hervor. Eine besondere, auffallend schöne und überraschende Zierde bildeten die beiden braunen, bis weit unter die Taille niederhängenden Haarzöpfe, die den hochauftoupirten und gepuderten Hofdamen erst ein Gegenstand des Lächelns, sehr bald aber der Bewunderung und sogar des stillen Neides wurden. Daß die hübsche frische Schweizerin auf die Herren des kleinen Kreises einen noch lebhafteren Eindruck machen mußte, konnte nicht ausbleiben, doch war hierbei wohl nichts für Emmi zu fürchten, denn Marie Antoinette hatte, wie schon angedeutet, nur ältere Kavaliere zu ihrer „Société intime“ zugezogen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 637. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_637.jpg&oldid=- (Version vom 26.6.2023)