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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

ihm die Haare und begann ein Lamentiren, daß es schließlich dem Burschen selbst zu viel wurde.

„Jetzt hör’ amal auf, Vater! Dein Jammern kann Ein’ ja ganz verzagt machen!“ brummte er und rückte vom Stuhl auf die Bank. „Thust ja g’rad, als ob’s bei mir schon ans Köpfen ging’. In vier Wochen habt’s mich wieder daheim, und bis ich erst amal drinsteck’ in der blauen Montur, da hab’ ich nachher auch wieder mein’ Freud’ dran!“

„No ja, no ja,“ begütigte der Alte, „aber sag’, han, wann mußt denn schon fort?“

„Morgen auf Mittag.“

„Was? So g’schwind’ schon? Net amal an ganzen Tag soll ich Dich haben?“

„Mußt ihm halt den heutigen Abend noch recht schön machen!“ meinte Kuni, während sie an den Tisch herantrat. „Sonst könnt’ er bei seine lustigen Kameradschaften in der Stadt drin’ leicht auf’n Pointnerhof und seine Leut’ vergessen!“

„Da hast Recht, Kuni,“ fiel der Pointner ein. „Ich sag’s halt, Du bist allweil die G’scheitere. Und jetzt tummel’ Dich – her mit a paar a drei Glasln – und weiter – hol’ eine ’rauf aus’m Keller, a Flaschen Süßen!“

Er hatte kaum ausgesprochen, da standen die drei Gläser schon auf dem Tische. Karli zog die Lippen auf, drehte an seinem Schnurrbärtchen und schaute mit zerstreuten Blicken in das Gesicht der Dirne, die ihm zublinzelte, als hätte sie ihm mit ihrem Vorschlag eine ganz besondere Wohlthat erwiesen. Während dann Kuni hastig aus der Stube eilte, begann der Pointner aufs Neue sein Jammern, welches der Bursche mit einer Frage nach Götz unterbrach.

„Was? Jetzt is schön! Is Dir ’leicht Dein Vater net G’sellschaft g’nug?“ schmollte der Bauer, um gleich wieder lachend fortzufahren: „Aber hast schon Recht. Wenn’s Dein’ Abschied gilt, da därf der Götz net fehlen!“

Karli erhob sich und trat in den finsteren Hof hinaus. Da hörte er ein leises, klapperndes Pochen. Das klang, wie wenn eine Pfeife ausgeklopft würde, und als er der Richtung zu schaute, aus welcher das Geräusch kam, sah er einzelne mattglimmende Funken zur Erde sinken.

„Götz?“

„Ja?“

Hastigen Schrittes näherte sich Karli dem Knechte, der auf dem Brunnentroge saß.

„Geh weiter, Götz, komm’ a Bißl mit ’rein in d’ Stuben. Heut’ mußt mir noch trinken helfen – auf mein Wohl und mein’ Abschied. Morgen muß ich fort – einrucken zu die Manöver.“

„So? Haben s’ Dich erwischt? Nachher is recht!“ lachte Götz, während er sich langsam erhob.

„Mir scheint ja gar, Du hast a Freud’ dran, daß ich fort muß?“

Götz hatte mit seiner Pfeife zu schaffen, und so verstrich eine Weile, bevor er dem Burschen leichthin zur Antwort gab: „No – weißt! Plagst Dich ja viel – und Bauernarbeit macht steif! Da kannst Dich jetzt bei die Soldaten g’rad wieder a Bißl ausgliedern und bist recht schlingig[1] beinander, ’bald heimkommst und d’ Holzarbeit angeht.“

„Ah was, deßwegen wär’s g’rad net nöthig, daß ich fort müßt’,“ brummte Karli und reckte die kräftigen Arme.

„Gehst’ ’leicht net gerne“. frug Götz mit zögernden Worten.

„Wie nur so fragen magst!“ lautete die unwillige Antwort. „Wenn’s keiner weiß, was mich net fortlassen will aus’m Ort, Du, hätt’ ich mir ’denkt, Du könntst es dengerst wissen. Du bist ja der Einzige, dem ich’s zug’standen hab’, daß mir d’ Sanni g’fallt. Und da soll ich jetzt fort – jetzt g’rad – wo ich gar nimmer weiß, wie ich eigentlich dran bin. B’sinnst Dich noch d’rauf – selbigsmal auf’m Kapellenbergl droben, wie g’sagt hast zu mir: ‚Karli, Karli, ich mein’ allweil, Dein’ Liebssach’ wird a harbe Seiten kriegend‘? Ja, Götz, ja, a recht a harbe Seiten hat’s kriegt!“

Aufathmend schwieg der Bursche’ dann wieder sprudelte es in flüsternden Worten von seinem Munde, und Götz erhielt genauen Bericht von Karli’s eben so unermüdlichen, wie nutzlosen Spaziergängen nach dem Binderholze.

„Schau, Götz, g’wiß wahr, jetzt erst, seit ich d’ Sanni nimmer anders sieh, als wie in meine Gedanken und im Traum, jetzt erst g’spür’ ich’s in mir drin richtig und völlig, wie mir das Deandl so lieb is – so arg lieb. Und wer weiß, wie’s jetzt mit uns schon b’schaffen wär’, wenn net a unguter Zufall den weißbartigen Unfried’ ’neing’schneit hätt’ zwischen uns! Und jetzt, wo mein’ Liebshoffen daliegt wie ’s Winter’treid unterm Schnee, jetzt soll ich fort – und gern auch noch?“

Da fühlte Karli die Hand des Knechtes schwer auf seiner Schulter und hörte ihn mit freudig erregter Stimme sagen: „Recht, Karli, recht! Schau, so hör’ ich Dich amal gern reden! Nimmst mir a ganze Sorg’ von der Seel’. Wär’ mir schier leid g’wesen um Dich! Jetzt aber freut’s mich heilig, weil ich merk’, daß dengerst g’räder g’wachsen bist im G’müth, als wie ich mir selber ’denkt hab’. Und da kannst auch ’leicht fortgehn – ohne Sorg’ und Angst. Bleib’ nur Du fest bei der Stang’ – um d’ Sanni brauchst Dich net z’ kümmern, die is eine von dieselbigen Krisperln[2], wo ’s Ducken und ’s Biegen leicht vertragen, bis wieder a Zeit zum Aufschnaufen kommt. Schon mancher Feichtbaum is z’samm’brochen unterm Schnee – aber nie noch hab’ ich g’hört, daß a Veigerlstöckl d’raufgangen wär’, und wenn er auch haushoch g’legen is, der Schnee, so schwer wie kalt. Ah no, mußt Dich net kümmern, Karli! Schau, jetzt kann ich Dir lang wieder ’s Beste hoffen und wünschen, seit ich weiß, daß um Dich selber kein’ Sorg’ net z’ haben is.“

„A Sorg’ – und um mich? Hätt’ ich am End’ gar auf d’ Sanni schon vergessen sollen, weil ich s’ a paar Wochen lang net g’sehen hab’?“

„No, schau, Dein’ Frag’ überzeugt mich am besten, daß ich mich net sorgen hätt’ brauchen! Und dengerst sag’ ich Dir’s noch amal: net auslassen, Karli, net auslassen!“

„Auslassen? Was Dir net einfallt! Aber weißt – Du mußt mir halt auch a Bißl helfen. Wenn ich jetzt fort bin, könnt’s ja leicht möglich sein, daß Dir d’ Sanni amal in Weg kommt. Und weißt, wann ihr da sagen thätst, daß ich einrucken hab’ müssen –“

„Gern, Karli, gern. Aber besser wär’s, wann Du’s ihr selber sagen thätst – morgen in der Fruh. So viel Kurasch wirst dengerst haben, daß Dich ’neintraust ins Bygotterhäusl. Und wie sich nachher auch der Alte gegen Dich führen mag, a paar Wörtln wirst ja doch anbringen können, daß d’ Sanni weiß, wie s’ dran is.“

„Ja, Götz, ja, und so mach’ ich’s auch! Fressen wird er mich wohl net gleich, der Alte!“

„No also, und nachher schau Dir d’ Sanni nur recht g’nau noch an, damit a nachhaltige Wegzehrung hast für Deine vier Manöverwochen. Da wirst es nachher auch leichter machen können, daß g’rad so wieder heimkommst, wie jetzt fortgehst. Schau, laß Dir’s g’sagt sein, Bua – wann Dir in der Stadt drin so a Pflanzerl, so a g’schmachigs, g’rad vor die Füß’ in d’ Höh’ wachst auf’m Weg – laß d’ Händ’ davon – und denk’ ans Bleamerl, das draußt im Binderholz für Dich im Sprossen is. Was hältst auch viel davon? D’ Lustbarkeit is wie der Wein – aber wie ’s Quellwasser is d’ Lieb’. Schau, so a Krügerl Wein, das leert sich woltern g’schwind, und hinterm Rausch her kommt nachher der schwere Kopf. Aber ’s klare, lautere Wasser, das is der richtige Trunk, der halt’ Ein’ g’sund und frisch, der macht Ein’ hell im G’müth und in die Augen! Und jetzt komm – jetzt macht’s mir selber a Freud’, daß ich auf Dein’ Abschied hin noch a Glasl mit Dir trinken kann!“

Karli schmunzelte, halb vergnügt und halb verlegen. Er schien nicht recht zu wissen, wie er es aufnehmen sollte, als ihn Götz beim letzten Worte mit rauher Zärtlichkeit an sich drückte und ihn dann vor sich her nach dem Hause schob.

Schweigend betraten sie den Flur, und da hörten sie aus der Stube ein helles, klingendes Lachen.

Als Karli die Thür öffnete, sah er den Vater vor dem Tisch im Lehnstuhl sitzen, in Hemdärmeln, mit offener Weste, die Füße mit den großen Filzpantoffeln behaglich ausgestreckt. Die linke Hand hatte der Pointner auf dem Bäuchlein liegen, mit der rechten hielt er unter schlürfendem Zuge das Weinglas an den Lippen. Kuni stand vor ihm, stellte soeben ein geleertes Glas


  1. Schlingig = geschmeidig, gelenkig.
  2. Krisperl = ein zartes, schmiegsames Geschöpf.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 614. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_614.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)