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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Friedens schösse, wie wucherndes Unkraut zwischen die Halme des blühenden Weizenfeldes. Er verallgemeinerte das Thema nach allen Richtungen hin – und beschloß es nach einer Stunde mit dem schon öfters wiedergekehrten Refrain:

„Hütet Euch, meine geliebten Kinder, hütet Euch vor den falschen Propheten!“

Als der Hochwürdige die Kanzel verließ, huschte ein leises Summen durch die ganze Kirche. Jeder und Jede fühlte sich verpflichtet, an den Nachbar oder die Nachbarin die schmunzelnde Frage zu richten: „Weißt, wen er g’meint hat?“

Und diese Frage, die durch die ganze Kirche huschte, flüsterte im „Pointnerischen Weiberstuhl“ auch die Zenz der Kathl zu.

„Dumm müßt’ ich sein, wann ich’s net g’merkt hätt’!“ lautete hier die leise, spitz kichernde Antwort. „Aber g’rad so gut, wie von die falschen Propheten, hätt’ er auch von die falschen Prophetinnen predigen können – von dieselbigen, wo die sanften G’sichter machen und dabei ihre Kluperln[1] einziehen hinter’m Buckel, daß man die lieben Nagerln net sehen sollt’, ehvor’s ans Kratzen geht. So Eine is erst der wahre Unfried’.“

So leise diese Worte gesprochen waren, Kuni hatte sie gehört. Aber in ihrem hübschen Gesichte rührte sich keine Miene; nur über ihre Lider flog ein kaum merkliches Zucken, und es war kein guter Blick, den sie auf ihr offenes Gebetbuch senkte.

Als dann der Gottesdienst zu Ende war, trat sie als eine der Ersten aus den Betstühlen und schritt mit trotzig erhobenem Kopfe an den wispernden Leuten vorüber.

Der Pointner und Karli verließen wenig später mit einander die Kirche. Erst wohnten sie der Gemeindeversammlung bei und machten dann einen Rundgang durch die Gassen des Dorfes. Mit dem Glockenschlage zwölf betraten sie ihren Hof und fanden in der Stube schon die dampfende Suppenschüssel auf dem gedeckten Tische, der mit einem duftenden Resedenstrauße geschmückt war.

„Ich sag’s halt!“ schmunzelte der Pointner. „G’rad freuen kann Ein’ ’s Heimkommen, seit die Kuni im Haus is! Soll mir nur Einer ’was sagen gegen ’s Deandl!“

„Sagt ja kein Mensch ’was!“ lachte Karli, während er die Joppe auszog und an den Thürnagel hängte.

„N … no –“ erwiederte der Pointner zögernd, „Du hörst halt net überall hin. Aber ich weiß schon – aus die Einen red’t der Gift, aus die Andern der Neid.“

Mit verdrießlicher Miene schob er sich hinter den Tisch; aber sein ganzes, rundes Gesicht kam wieder ins helle Lachen, als die Thür sich öffnete und Kuni die Stube betrat, in dem kurzen, braunen, schwankenden Röckchen mit der frischen Leinenschürze, in dem niederen, knapp sitzenden schwarzen Mieder, über welchem sich das schneeweiße Hemd, dessen Aermel die vollen Arme fast bis zu den Schultern nackt ließen, in straffen Falten um die Büste spannte, während es mit einer lose umgelegten Krause den Hals umschloß. Der hübsche Kopf war ein wenig zur Seite geneigt, als trüge er nur schwer das Gewicht der üppigen, röthlich schimmernden Haare, die nach bäurischer Sitte mit zwei dicken Flechten um die Stirn gelegt waren.

Schon am zweiten Tage nach der Ankunft hatte Kuni ihr halb städtisches Gewand gegen die im Dorfe übliche Tracht vertauscht, als hätte sie dadurch schon äußerlich zeigen wollen, wie sie sich Allem und Jedem zu fügen gedenke, was im Pointnerhof bislange Brauch und Ordnung gewesen. Mit flinken Händen griff sie die Arbeit auf und wirthschaftete mit emsigem Eifer in Haus und Küche – und obwohl sie dabei Alles that, wie es bisher gethan worden war, wußte sie doch Allem eine bessere Art und ein gefälligeres Ansehen zu geben.

Dieses Schaffen, Sorgen und Bessern schien ihr selbst Vergnügen und Freude zu bereiten. Für den Götz aber, der sie unausgesetzt beobachtete, gewann es den Anschein, als ob ihr ganzer Eifer nur eine Laune wäre, so eine Art von „G’spaß“, den sie an all dem Neuen und Ungewohnten fände – und vielleicht noch etwas Anderes. So sehr auch Kuni den Pointner verhätschelte, so sehr sie in ihm die Hauptperson des Hauses zu sehen schien und Alles that, was seinem Hange zur Behaglichkeit willkommen war, so daß der Pointner alltäglich mit Schmunzeln betheuerte: „Ja g’rad wie im Himmel is ’s jetzt in mei’m Hof!“ – dennoch meinte Götz zu gewahren, daß es nicht der Pointner, sondern Karli sei, dem das beste Theil dieser geschäftigen Fürsorge zu Gute käme, und daß dieselbe überhaupt der Absicht entspringe, mehr dem Sohne als dem Vater das Leben im Hause so angenehm wie möglich zu machen. Wohin solche Absicht zielen möchte, das meinte sich Götz ohne besonderes Kopfzerbrechen sagen zu können. Sah er es doch mit an, wie Kuni in wenigen Tagen die bescheidene Haltung, welche sie anfangs dem Burschen gegenüber eingenommen, zu einem fast vertraulichen Verkehr umzuwandeln wußte. Karli war eine viel zu gutmüthige Natur, als daß die etwas mißtrauische Zurückhaltung, die er während der ersten Tage gegen Kuni beobachtete, lange bei ihm vorgehalten hätte. Schon am dritten Tage erwiederte er den Gruß, den Kuni ihm bot, mit freundlichen Worten. Bald hörte er gern auf ihr lustiges Geplauder – und das um so lieber, als es ihm selbst bei den sorgenden Gedanken, die er sich um Sanni’s willen machte, im innersten Herzen gar wenig lustig zu Muthe war. So fand er in Kuni’s Art und Weise eine willkommene Aufheiterung und nahm dabei die kleinen Vertraulichkeiten, die sie sich ihm gegenüber mehr und mehr erlaubte, so harmlos hin, wie er sie harmlos gemeint wähnte – er sah in ihnen nichts Anderes als den ländlich sittlichen Beweis der Thatsache, daß sich Kuni im Pointnerhofe aufs Beste eingewohnt hätte. Ueberdies machte es ihm Freude, daß der Vater so vortrefflich versorgt schien – und daneben hatte er gerade genug von des Vaters Natur geerbt, um die geschäftige Fürsorge, welche Kuni in Allem und Jedem bethätigte, mit Behagen zu gewahren und zu genießen. Wenn er nun auch hierin nichts Anderes sah, als die Leistung einer bezahlten Magd, die eben ein wenig mehr als ihre Pflicht that, so war er doch ein zu offener und ehrlicher Bursche, um diesem Mehr die Anerkennung zu versagen. Er nickte zustimmend zu den sprudelnden Lobhymnen des Vaters, und es war bei ihm ein beliebtes Wort, von dem „guten Zuge“ zu sprechen, der mit Kuni in das Haus gekommen wäre.

Als er einmal nach solch einem Worte die Stube hatte verlassen wollen, hatte plötzlich Kuni vor ihm gestanden. Eine Weile hatte sie ihn schweigend angeschaut und ihm darauf mit einem leisen Lächeln die Hand hingestreckt:

„Schau, Karli, das is lieb von Dir, daß Du das Bißl, wo ich Euch zum G’fallen thun kann, was gelten laßt!“

„No ja – was wahr is, muß wahr sein!“ hatte er ruhig erwiedert, hatte ihre Hand gedrückt und war zur Stube hinausgestolpert.

Seit diesem Tage hatte Kuni ihren sorgenden Eifer noch verdoppelt. Daneben hatte sie auch Alles versucht, um sich mit den Dienstboten in gutes Einvernehmen zu setzen. Wenn sie dabei auch genau zu wissen schien, wie sie sich gegen die zwei Dirnen und die beiden Knechte verhalten sollte, so schien sie dem Götz gegenüber die richtige Art des Verkehrs nicht finden zu können. Einmal versuchte sie es mit ruhiger Freundlichkeit, ein andermal mit Lachen und Plaudern; dann wieder zeigte sie ihm gegenüber ohne jegliche äußere Ursache eine seltsame, fast scheue Zurückhaltung, die einen merkwürdigen Widerspruch zu ihrem sonstigen, so sicheren Wesen bildete. Vielleicht fühlte sie, daß sie von ihm schärfer und anhaltender beobachtet wurde, als von all den Andern. Bei Tische wie an den Abenden, wenn Alle beisammen in der Stube saßen, begegneten ihre Blicke immer und immer wieder diesen dunklen, ernst schauenden Augen; und wenn sie einmal zu seinem Gesichte aufsah, ohne seinen Blicken zu begegnen, schien sie ihre Augen von ihm nicht losbringen zu können; dabei zeigten ihre hübschen Züge einen so eigenartig zerstreuten, verlorenen Ausdruck, als wüßte sie selbst nicht, was sie bei all diesem Anstarren dächte oder denken sollte. Wurde sie dann unerwartet angesprochen, so fuhr sie auf, seufzend, wie aus einem Traume – doch verstand sie es, mit klingendem Lachen und lustigen Worten ihr seltsames Gebahren rasch wieder vergessen zu machen. Gewöhnlich waren es Martl und Stoffel, welche bei solchen Gelegenheiten für Kuni’s Scherze und Späße die Zielscheibe abgeben mußten. Die Beiden ließen sich das lachend gefallen, zum ganz besonderen Aerger der Zenz und der Kathl, denen gegenüber Kuni seit dem Sonntage, an welchem der Pfarrer über das Kapitel der falschen Propheten gesprochen, ihr früheres Verhalten in ziemlich schroffer Weise geändert hatte.


  1. Kluperln, eigentlich jene kleinen Holzgabeln, mit welchen die zum Trocknen kommende Wäsche am Seil befestigt wird, in bildlichem Sinne: krallenartige Finger.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 599. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_599.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)