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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Unterhaltung der Schweißbildung, eine dem Klima und der Jahreszeit angemessene Erleichterung der Kleidung das wichtigste und sicherste Mittel ist, um das Auftreten von Hitzschlag und überhaupt das Zustandekommen einer das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit schädigenden Steigerung der Eigenwärme zu verhüten. Welche Art der Erleichterung sich für die Soldaten, mit gleichzeitiger Rücksicht auf das Kriegsverhältniß, am besten eignet, muß der Einsicht der leitenden militärischen Behörden überlassen bleiben. Hiller selbst empfiehlt einen leichten waschbaren Sommer-Waffenrock (Drillich) an Stelle der bisherigen Drillichjacke, ferner das Tragen wollener Hemden darunter, zur Vermeidung von Erkältung bei starkem Schweiße, und einen ausgiebigen Gebrauch des Mantels im Sommer, welcher außerdem wasserdicht gemacht werden soll. Die deutsche Heeresleitung, welche noch kürzlich ihre Fürsorge für die Armee durch zweckmäßige Abänderung der Ausrüstung derselben bethätigt hat, wird sicherlich auch diesen für die Gesundheitspflege und die Leistungsfähigkeit unseres Heeres wichtigen Fragen ihre volle Aufmerksamkeit zuwenden. So schließen wir mit der Hoffnung, daß der Sommer nicht mehr fern sein wird, in welchem die bisher alljährlich und mit großer Regelmäßigkeit von unserer Armee geforderten Opfer an Menschenleben durch Hitzschlag aufhören oder doch zu den Seltenheiten gehören werden.




Moltke in den Sommerferien.

Wenn der Frühling kommt, der Schnee aus den Gängen des Thiergartens hinweg schmilzt und das erste junge Grün Bäume und Sträucher deckt, hält es den Feldmarschall nicht länger in Berlin. Den langen Winter hindurch hat er tagtäglich von Morgens sieben Uhr am Schreibtische gesessen, Berichte und Eingaben studirend, denkend und arbeitend. Mit seiner charakteristischen festen Handschrift, die dadurch, daß er sich immer nur einer Gänsefeder bedient, ein fast alterthümliches Gepräge erhält, hat er seine Bemerkungen niedergeschrieben, die, in der strengen Logik ihrer Gedankenentwicklung, in der überzeugenden Richtigkeit ihrer Schlüsse, in ihrer knappen, alles Ueberflüssige vermeidenden Fassung noch immer unerreicht dastehen und Zeugniß geben von der ungeschwächten Schärfe dieses wunderbar klaren Geistes, an dem die Jahre spurlos vorüber zu gehen scheinen. Fast keine Sitzung des Reichstages hat er versäumt; eines der pflichttreuesten Mitglieder, hat er den Saal nur selten vor dem Schluß der Verhandlungen verlassen, oft erst gegen sechs Uhr zurückkehrend, um abgespannt und erschöpft sein einfaches Mittagsmahl einzunehmen. In seinem Arbeitszimmer warten neue Stöße von Briefen, neue Arbeiten auf ihn; nur selten gönnt er sich eine halbe Stunde der Ruhe, und oft sieht man bis tief in die Nacht hinein hinter den Fenstern über dem großen Portal des Generalstabsgebäudes die stille Lampe brennen, bei deren Schein der Siebenundachtzigjährige für die Sicherheit des Vaterlandes arbeitend sitzt, während gegenüber bei Kroll das lustige Berlin sich amüsirt.

Schloß Creisau.
Originalzeichnung von R. Püttner.

Nun aber scheint die Sonne so verlockend; die Staare sind angekommen; aus der starren Ruhe des Winters erwachend, beginnt die Natur sich zu regen; der Frühling lockt mit seiner jungen Schönheit hinaus aufs Land. Nach der arbeitsvollen Winterszeit sehnt sich der Feldmarschall nach der Ruhe des Sommers. Schwerfälligkeit in den Vorbereitungen der Abreise, langes Vorherbestimmen des Reisetages kennt er nicht. Ein mäßiger Koffer genügt, um die Bedürfnisse für den Sommer aufzunehmen; in einer halben Stunde ist er gepackt; ein sonniger Morgen bestimmt den Entschluß zur Abfahrt. Nie sieht man den Feldmarschall heiterer, als wenn er im schlichten Civilanzug Berlin verläßt, um sich auf sein schlesisches Gut Creisau zu begeben. Ungeduldig die Ankunft des Zuges erwartend, wandelt er, die Hände auf den Rücken gelegt, den Perron des Bahnhofs Friedrichsstraße auf und ab. Wenn er das Interesse bemerkt, das seine Erscheinung erregt, zieht er sich möglichst zurück; er möchte am liebsten ganz unbemerkt bleiben, was ihm freilich nie gelingt; denn Jedermann kennt ihn und Alle grüßen ihn achtungsvoll. Regelmäßig wählt der Feldmarschall den Morgens nach Breslau abgehenden Schnellzug zur Reise. Er liebt es, am Tage zu reisen und vom Fenster des Koupés aus die Gegend zu betrachten. Bei der ihm eigenen scharfen Beobachtungsgabe entgeht Nichts seinem Blick. Er beobachtet den Stand der Saaten, die Verschiedenartigkeit des Anbaus, die Veränderungen der Vegetation, je mehr der Zug nach Osten vorrückt; er kennt jeden Höhenzug, jeden Flußlauf im Gelände; er weiß die Namen aller sichtbar werdenden Ortschaften zu nennen, ja selbst die Besitzer der meisten Güter, an denen die Eisenstraße vorbei führt. Immer wählt er seinen Platz so, daß er das Gesicht der Fahrtrichtung zuwendet; unbekümmert um Zug und Staub steht er am offenen Fenster, wenn in blauer Ferne die Kontouren des Riesengebirges sich abheben, und verfolgt mit den scharfen grauen Augen die Thäler und Höhenzüge. In weitester Entfernung erkennt er die feinen Linien der Chausseen; er weiß, von wo sie kommen, über welchen Gebirgsrücken sie führen, welche Ortschaften sie verbinden. Nie benutzt er ein Glas, um in die Ferne zu blicken; nur beim Lesen kleiner Schrift bedient er sich eines Binocles. Sein Blick hat ein eigenthümlichss Wahrnehmungsvermögen für jede geringste Abweichung von dem Horizontalen oder Senkrechten; die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 524. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_524.jpg&oldid=- (Version vom 13.8.2023)