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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

„Wie – was sagen Sie?“ rief sie überrascht und richtete sich hastig empor. „Sie können doch nicht daran denken, uns verlassen zu wollen?“

„Was ist dabei so Merkwürdiges?“ sagte er scheinbar gelassen. „Mein eigentlicher Beruf ist es ja nicht, Lehrer zu sein. Außerdem werden Sie selbst nicht mehr lange im elterlichen Hause bleiben –“

Sie sah ihn erstaunt an. „Meinen Sie am Ende, ich soll mich verheirathen?“

„Sie werden das ohne Zweifel bald thun –“ Aber weiter kam er nicht, denn Gabriele warf den Kopf zurück, daß die blonden Haare über ihre Schultern fielen, und brach in ein langes, stets neu beginnendes Gelächter aus. „O, das ist köstlich,“ rief sie dazwischen, „solch eine Idee! Ha ha ha!“

Die Gelegenheit war zu günstig und Richard konnte nicht widerstehen, sich über den zweifelnden Gedanken, der ihn seit gestern unablässig verfolgte und peinigte, Gewißheit zu verschaffen.

„Die Sache ist gar nicht lächerlich, Komtesse Gabriele,“ sagte er trocken, „Sie wissen doch sicher, daß mehr als Einer in Ihrer Umgebung solche Gedanken hegt –“

„Nein, das weiß ich nicht,“ rief sie mit dem Ton eines belustigten Schulmädchens. „O bitte, erzählen Sie mir mehr darüber, kennen Sie Einen davon?“

„Nun ja, ich kenne Einen,“ versetzte er halb geärgert, „Einen, der sich gestern noch in sehr enthusiastischen Ausdrücken über gewisse blonde Eigenthümlichkeiten erging und, wie es mir scheint, auch seinerseits sehr gut gefallen hat.“

Sie hörte mit dem Instinkt, den auch das jüngste Mädchen besitzt, den Ton der Eifersucht in seinen Worten und freute sich innig darüber. „O ja,“ sagte sie dann mit dem Kopfe nickend; „das ist in der That ein sehr hübscher, sehr netter und liebenswürdiger Mann. Und was für reizende japanische Schnupftabaksdosen und Reisschüsseln er hat! Ich glaube wirklich, ich könnte mich entschließen ihn zu nehmen, wenn er mir ein Dutzend davon gäbe – und die große goldene Schabracke – und das Götzenbild mit den fürchterlichen Schielaugen – und einen kleinen Schwarzen, aber nicht ausgestopft, sondern lebendig, in einem Brokatröckchen und einer kleinen rothseidenen Mütze mit einem Schellchen oben darauf – dem könnte ich nicht widerstehen!“

Und wieder fing sie an, so herzlich zu lachen, daß Richard, wie schon oft, sich unwiderstehlich fortgerissen fühlte und für ein paar Augenblicke nichts sah und dachte, als die frische, sonnenhelle Heiterkeit dieses rosigen Gesichtchens. Indessen kam er bald wieder zu seinen ersten Gedanken zurück, wenn ihm auch jetzt die Aussichten seines Freundes nicht so zweifellos schienen, als er sie in den düstern Gedanken der vergangenen Nacht sich vorgemalt hatte. Aber was half das? Seine eigene Stellung wurde dadurch nicht geändert und der Entschluß, bald zu gehen, blieb eine Nothwendigkeit. Die Heiterkeit verschwand bald völlig von seinem Gesichte und er blickte wieder ernsthaft vor sich nieder.

„Nun“ sagte Gabriele ungeduldig und tippte ihm mit dem Kätzchenzweig auf den Arm, „ich glaube, Sie versinken schon wieder in düstere Zukunftsbilder! An einem so schönen Morgen!“

„Sie stehen mir nahe genug,“ erwiederte Richard entschlossen; „denn was ich Ihnen vorhin andeutete, ist, in deutlichen Worten ausgedrückt: ich muß bald schon aus Ihrem Hause scheiden.“

Gabrielens eben noch lachende Züge nahmen plötzlich den Ausdruck des höchsten Schreckens an.

„Ich sage Ihnen hiermit nur,“ fuhr Richard mit schwerer Ueberwindung fort, „was ich gestern schon dem Herrn Grafen zu eröffnen gedachte. Plötzliche Gründe zwingen mich, die Stadt zu verlassen Ich bin ja auch, strenge genommen, in Ihrem Hause nicht nothwendig, jeder Andere kann meine Stelle versehen …“

„O,“ rief Gabriele mit zitternder Stimme, „Sie sind beleidigt durch Hans und ärgern sich über seine vielen Unarten! Wie ist das nur möglich, wie kann ein solcher Junge Ihnen wehthun? Sie stehen ja so hoch über ihm, über uns Allen, was soll denn aus uns – aus mir werden, wenn Sie fortgehen?“ Ihre Augen füllten sich mit großen Thränen, die an den Lidern schwankten und zitterten.

„Komtesse, um Gotteswillen,“ rief der nun ebenfalls aufs Höchste erregte junge Mann, „fahren Sie nicht so fort! … Sie täuschen sich,“ setzte er nach einer Pause mühsam hinzu, „äußere Gründe, von denen ich nicht unabhängig bin …“

Sie hörte nicht mehr, was er in seiner Herzensangst noch zusammensprach, sie legte den blonden Kopf auf ihre über den Felsen vorgestreckten Arme und schluchzte so leidenschaftlich und unverhohlen, daß im Nu Richard’s Vorsätze schmolzen wie Wachs in der Gluth. Ohne zu wissen wie, kniete er an ihrer Seite, faßte ihre Hand und hob sachte das tiefgeneigte Köpfchen in die Höhe, indem er flüsterte: „Gabriele, liebste Gabriele, weinen Sie nicht, ich kann es nicht ansehen!“

Im nächsten Augenblick fühlte er zwei Arme um seinen Hals geschlungen, als suchten sie Hilfe und Rettung in höchster Noth. Aber auch über ihm schlugen die Wellen zusammen, er widerstand nicht länger, faßte die süße Gestalt fest in seine Arme und drückte stürmisch heiße Küsse auf die Lippen, die den seinigen entgegenkamen. Es war Seligkeit und Qual zugleich – aber der Rausch des Entzückens dauerte nur kurze Sekunden, dann kam das Bewußtsein wieder, Richard fuhr aus seinem Rausch empor und sagte, indem er das glühende Kind aus seinen Armen löste:

„Helfen Sie mir, Gabriele, daß ich nicht ein Ehrloser werde. Es war zu viel … Sie wissen nicht, wie ich mit mir gekämpft habe und was mich die Selbstbeherrschung kostete! Ich habe sie einen Moment verloren, verzeihen Sie mir!“ Noch einmal streiften seine Lippen die weichen Haare, die sich durchaus von seiner Brust nicht trennen wollten, dann ließ er Gabriete sanft auf ihren früheren Sitz niedergleiten und trat entschlossen zurück. „Und nun werden Sie selbst einsehen, daß ich gehen muß, so bald als möglich, da Sie den wahren Grund kennen!“

Der Felsblock war wieder zwischen ihnen, nur die Hand streckte Richard darüber hin und hielt die Gabrielens in der seinigen. Wortlos und tieferröthend in Scham und Verlegenheit sah sie vor sich nieder, sie wußte nicht, wie sie den nächsten Moment überstehen solle. Aber die Angst um den geliebten Mann war mächtiger als jede andere Empfindung, sie hob nach einer kurzen Stille die Augen flehend zu ihm empor und sagte leise:

„Versprechen Sie mir das Eine, nicht heute mit Papa zu reden, wir finden vielleicht ein Mittel – und warum sollte es denn unmöglich sein, daß …“ sie hielt plötzlich inne; es fiel ihr ein, daß er ja noch keine Silbe von Dem gesprochen, was sie meinte.

„Es ist unmöglich, daß Graf Hochberg einwilligt, die Hand seiner Tochter einem bürgerlichen Manne ohne Stellung und Vermögen zu geben,“ sagte Richard ernst, „und es käme mir wie ein Verbrechen vor, Sie in die schweren Kämpfe zu stürzen, die der ersten Erklärung folgen müßten. Und heimlich – hinter dem Rücken Ihrer Eltern … nein, ich könnte Ihrem Vater nicht mehr in die Augen sehen – wenn ich auch freilich nicht weiß, wie ich ferne von Ihnen leben soll.“

Er sprach mit gepreßter Stimme, aber fest und ruhig, und Gabriele fand diese Ruhe empörend. Wie konnte er nur so kalt und verständig reden? Nein, er liebte sie nicht, wie sie ihn, sonst könnte er jetzt nicht an Trennung denken, wie zärtlich hatte er sie eben noch geküßt, und nun blickte er so streng und kühl, daß sie kein Wort mehr hervorbrachte … Und wo war der entzückende Frühlingstag hingekommen? Gabriele hob die Augen: Alles erloschen, ein dürres Thal und öde Felsen! Ihr junges Herz war plötzlich so schwer geworden, daß es ihr schien, unglücklicher habe sich noch nie Jemand auf der Welt gefühlt. So saßen Beide schweigend ein paar Augenblicke. Plötzlich hörte man in einiger Entfernung Aeste knacken, Steine poltern und laute Rufe: „Herr Doktor, Herr Doktor, eine Otter!“ Schnell stürzte Richard den Abhang empor und wurde sofort seines Zöglings ansichtig, der, erhitzt, mit verwirrten Haaren und schmutzigen Knieen durchs Gebüsch herunterbrach. Aus dem Taschentuch, welches er hielt, schlängelte sich Etwas hervor, Richard entriß es ihm und warf es zu Boden.

„Zum Glück nur eine Blindschleiche, Hans,“ sagte er erleichtert, während das Thierchen sich ins Gebüsch ringelte, „sie hat, wie wir, den schönen Sonnenschein zu ihrem ersten Spaziergang benutzt. Aber nun ist es hohe Zeit, daß wir nach Hause zurückkehren!“

Er richtete einen bittenden Blick auf Gabriele, die, ohne denselben zu erwiedern, aufstand und mit gesenktem Kopfe den Beiden voranging. Die schönen Blumen blieben auf den Steinen liegen.




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