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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


obgleich sie vor Erregung innerlich zitterte, bewahrte äußerlich die Ruhe und sagte nur verächtlich, im kältesten Tone:

„Ich verstehe Ihren Scherz nicht, Baronin Breda.“

„Scherz?“ fragte diese im höchsten Triumphgenuß. „Aber wie können Sie denken, ich scherze, Gräfin? Oder – mein Himmel, sollten Sie am Ende noch gar nicht wissen, daß der Konsul Eckartshausen gekauft hat?“

Eine peinliche Stille folgte diesen Worten. Die Gräfin zuckte zusammen; der Stich hatte gut getroffen, aber es war nur ein Augenblick, schon im nächsten beherrschte sie ihre Züge wieder vollkommen. Sie wandte einen fragenden Blick nach ihrem Gemahl, der schnell herzutrat.

„Ach ja,“ begann er gegen die Gräfin gewendet, indem er seinem Tone etwas Gleichgültiges zu geben suchte, „ich fand noch nicht einmal Gelegenheit, Dir davon zu sprechen, daß ich heute die Nachricht von dem Verkaufe erhielt, und wußte selbst nicht, daß Herr Konsul Felsing der neue Besitzer ist, was mich außerordentlich freut. Ich entschloß mich, Eckartshausen zu verkaufen,“ setzte er, gegen Karkow gewandt, hinzu, „weil meiner Frau die neugebauten Fabriken in der Nachbarschaft unangenehm wurden.“

„In der That,“ fiel die Gräfin rasch ein, und dabei vermochte sie es über sich, wieder vollständig unbefangen auszusehen, „diese Fabriken mit ihrem Rauch und den vielen Fabrikarbeitern wurden sehr lästig. Der Aufenthalt verlor viel dadurch. Nun, Gabriele, Du freust Dich wohl am meisten über den Verkauf, da jetzt Dein Lieblingswunsch einer Reise nach Schweden und Norwegen in Erfüllung gehen wird?“

Der Ausdruck trotzigen Erstaunens, welchen das hübsche Gesicht der kleinen Gräfin während der letzten Minuten gezeigt hatte, wich einem sonnigen Lächeln. „Wirklich, Papa? Wir reisen nach Norwegen?“

Der Graf nickte freundlich zustimmend.

„Alle mit einander? O, wie ich mich freue!“

In diesem Augenblick meldete der Haushofmeister, daß das Souper servirt sei. Rasch ordneten sich die Paare, um unter Voraustritt des Konsuls, welcher die Gräfin führte, nach dem Speisesaal zu gehen, dessen glänzende Pracht selbst den verwöhntesten Gästen einen Ausruf der Bewunderung entlockte.

Breda und Karkow waren die Letzten, welche, da sie keine Damen mehr gefunden, den Salon verließen.

„Was war das für eine seltsame Geschichte mit dem Verkauf von Eckartshausen?“ fragte Karkow den Baron. „Ich habe da, wie es scheint, in Gemeinschaft mit Ihrer Gemahlin einen gehörigen faux-pas gemacht!“

„Wie so?“ erwiederte Breda.

„Sahen Sie denn nicht, wie der Graf erröthete und die Gräfin erblaßte? Ich dachte anfangs, der Konsul habe es für seinen Sohn auf die kleine Gräfin abgesehen – seine Geldsäcke und ihr alter Adel würden gut zusammenpassen, aber nun scheint es ja fast, als ob er mit dem Kauf irgend einen Koup gegen den Grafen ausführen wollte?“

„Pah, es wird nicht so schlimm sein,“ entgegnete Breda achselzuckend.

„Nun, ich muß sagen,“ fuhr Karkow fort, „daß ich dem Konsul nicht zwischen die Finger kommen möchte. Sehen Sie nur diese Augen an, diesen Stiernacken und – diese Fäuste!“

„Ja,“ lachte Breda, „noch immer die Fäuste des ehemaligen Messerschmieds!“

Damit traten sie in den Speisesaal.


*  *  *


Das Souper und der darauf folgende kleine Ball waren glänzend verlaufen. In später Nachtstunde fuhr die gräfliche Familie nach Hause, und Komtesse Gabriele erzählte lebhaft alle die kleinen Ereignisse des Abends und wie himmlisch sie sich amüsirt hatte.

„Und ich versichere Dich, Mama, dieser junge Felsing ist ein ganz allerliebster Mensch, so gelehrt und klug und dabei gar nicht eingebildet. Er hat schon große Reisen gemacht nach Amerika und Gott weiß wo sonst noch hin und hat Waffen und Pelze und eine ganze Menge solches Zeug mitgebracht, das er mir nächstens einmal zeigen will. Aber an den Nordpol oder weit nach Afrika hinein darf er nicht, weil sein Papa nicht will, daß er dort auch umkommt, wie die vielen Andern, und das ist ihm nun schrecklich, denn er ginge so gern. Und unsern Doktor Reiter kennt er auch, denkt Euch nur; ja, er war mit ihm zusammen auf der Universität und erzählte mir heute während des Soupers, daß es der Herr Doktor dort recht bunt getrieben habe und der beste Reiter und Tänzer und Schläger gewesen sei. Sollte man ihm das heute ansehen! Ich fragte ihn, ob er denn das gewiß wisse. ,Natürlich,‘ sagte er, ,man nannte ihn nur den Brückenreiter, weil er einmal Nachts, als wir etwas – nun, etwas erheitert heimgingen, den Weg über das schmale steinerne Brückengeländer nahm, hoch über dem unten rauschenden Fluß. Er kam glücklich hinüber, wir Anderen waren bei dem Anblick ganz nüchtern geworden. Aber den Spitznamen behielt er.‘ Ist das nun nicht merkwürdig, Papa?“

„Merkwürdig? Was?“ fragte der Graf, aus den Gedanken auffahrend, die seine Stirn furchten und seine sonst so heiteren Augen starr vor sich hin blicken ließen.

„Aber ich glaube, Du hast gar nicht gehört, was ich sagte!“ schmollte das Töchterchen.

„Aufrichtig, nein, meine kleine Gabi,“ erwiederte der Papa nun wieder sehr freundlich. „Wenn Du sprichst, ist es mir oft, als höre ich ein kleines Vögelchen zwitschern; der Ton thut meinem Herzen wohl, wenn ich auch der Worte nicht achte. Aber Du bist nun eine junge Dame, und ich verspreche Dir, daß dies anders werden soll. Nur heute geht mir nach all’ dem Schwirren und Lärm der Gesellschaft noch allerhand Anderes im Kopfe herum.“

Er wandte jetzt zum ersten Male und mit einer gewissen Anstrengung die Augen nach der Seite der Gräfin und suchte, sich vorbeugend, im tiefen Zwielicht den Ausdruck ihrer Züge zu lesen. Da fiel ein kurzer Laternenblitz herein und zeigte naßschimmernde Spuren auf ihrer Wange. Daraufhin drückte er sich unmuthig von Neuem in seine Wagenecke: Thränen waren ihm unter allen Umständen fatal. Als der Wagen hielt, verabschiedete er sich mit einem kurzen „Gute Nacht!“ von Frau und Tochter, um sein Zimmer aufzusuchen und sich schlafen zu legen. Die widerwärtigen Eindrücke des Abends gingen ihm wohl noch eine Zeit lang im Kopfe herum, aber es dauerte nicht lange, so hatte die Müdigkeit den Sieg davon getragen; ein friedlich Schlafender ruhte er in den Kissen und seine Brust hob und senkte sich in tiefen Athemzügen.

Im Hause des Konsuls dagegen war im Hinterzimmer die ganze Nacht hindurch Licht. Ruhelos, wie ein unstäter Geist, ging der finstere Mann darin auf und ab oder saß mit aufgestütztem Kopfe vor dem alten Schreibtisch, über alte, vergilbte Papiere gebeugt, in tiefe Gedanken verloren. Das Zimmer lag im Schatten des großen Schirms, der die Gasflammen deckte; nur ein scharfer Lichtkreis fiel auf den Schreibtisch und das offen stehende geheime Fach, aus dessen hinterstem Grunde endlich Felsing zögernd eine kleine verstaubte Schachtel nahm. Er öffnete sie behutsam und legte ihren Inhalt vor sich hin: auf einem Flöckchen vergilbter Watte ein paar vertrocknete Blumen, eine blonde Haarlocke und ein kleines Granatkreuzchen an einer abgerissenen Schnur. Lange starrte er darauf nieder, und sein sonst so hartes Gesicht nahm einen Ausdruck tiefer Wehmuth an. Endlich ergriff er das Kreuzchen und sagte leise mit einem unendlich bittern Ausdruck: „Das erhält sich und bleibt unverändert, wenn rings umher Alles stürzt und zerfällt, wenn Liebe und Treue im Schmutz versinken und die Brutalität triumphirt!“ … Seine Augen hafteten unverwandt auf dem ärmlichen kleinen Schmuckstück, dessen rothe Steinchen im Lichte glänzten, während er es langsam und mechanisch hin und her drehte, und allmählich gruben sich wieder die gewohnten scharfen Furchen in sein dunkles Gesicht.

„Ungestraft wenigstens nicht!“ brach es endlich rachsüchtig von seinen Lippen. „Ich bin auch unverändert und –“ setzte er plötzlich leise hinzu, während seine sprühenden Blicke, in die Dunkelheit zurückgewandt, einen unsichtbaren Gegner zu durchbohren schienen – „diese Steine haben einen theuren Preis, Herr Graf!“

Er versank wieder in sein stummes Brüten und achtete nicht auf den Gang der Viertelstunden, welche die alte Schwarzwälderuhr mit leisen Schlägen anzeigte. Endlich fuhr er auf – die erste Tageshelle drang zwischen den Fenstervorhängen herein. Hastig legte er die Gegenstände wieder in die Schachtel und verschloß dieselbe mit den Papieren; dann löschte er das Licht und warf sich angekleidet auf seinen alten Divan.

Als eine Stunde später der Diener nach gewohnter Weise bei ihm eintrat, erschrak er über das blasse, verstörte Aussehen seines Herrn.

(Fortsetzung folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_431.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)