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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


Da saßest Du nun, armer Dicks, wie angeschraubt an den unausstehlichen Wachstuchtisch, einen Topf voll Tinte vor Dir, groß genug, um die Unwissenheit eines ganzen Goldgräberlagers darin zu ersäufen, die widerspenstigste aller Federn in der Hand, und beschworst mit den geheimnißvoll klingenden Silben Ba, Be, Bi, Bo, Bu, die zu Hunderten der Feder entflossen, die Bildung herauf. Das gardinenlose, von grauem Staub angehauchte Fenster schaute auf die schwarze Wand einer Fabrik. Wie öde – wie traurig das Alles – ein wahres Gefängniß! Da gedachtest Du wohl Deiner kalifornischen Berge und Deiner unbeschränkten Freiheit, die so weit reichte, als die Landstraßen laufen wollten – Nachtlager, so viel Büsche es gab in den Vereinigten Staaten, und zu essen und zu trinken, so lange noch die Faust heil war! Und keine Lehren und Nörgeleien! Wehe Dem, der einem Dicks Trutz aus Nirgendwo etwas zu sagen wagte!

Oft fiel ihn eine Wuth an, als müsse er aufspringen, Feder und Bildung in die Ecke werfen und sich davon machen. Aber er bezwang sich immer wieder, es war eine Art von Neugier in ihm, zu sehen, wohin das Alles führe, und außerdem – die reizenden Tanten hatten es ihm doch sehr angethan. Besonders das Lachen von einem gewissen Lippenpaar – armer Dicks, sollte Dein naives Herz wirklich in Gefahr sein, dem Banne einer Leidenschaft zu verfallen, die Lolo heißt?

Nun, und der Baron? Nun, und der Name?

Dicks begann die Ohren zu spitzen und ganz fein hinzuhorchen nach dem Klingeln der Schellenkappe. Es war der gerühmte Professor, der ihn zuerst auf das Geklingel aufmerksam machte. Dieser schien es darauf angelegt zu haben, ihm den Geschmack an seinem eigenen Namen mehr und mehr beizubringen. Ein höflicher, geschmeidiger, umgänglicher Mensch, der Alles kannte und wußte, dessen Lektionen man gar nicht als solche empfand, so amusant waren sie. Jedenfalls das Gegentheil von dem entsetzlichen Pedanten in Uniform, den er immer mehr zu hassen begann.

Man fragte ihn bei den Belzigs, wo er den Professor so herausstrich, wie dieser Wundermann denn heiße.

„Blitz nochmal!“ fluchte Dicks, „ein famoser Junge! Er kennt Euch genau; Perkisch mit Namen.“

„Ah – ah!“

Ein Erstaunen, ein Unwillen – und dann eine Berathung, ob man Dicks in Perkisch’ Händen belassen dürfte, nach dem, was er mit diesem Grafen verschollenen Angedenkens schon angerichtet. Wer hatte denn das Institut empfohlen? Natürlich Adolf. Walther stellte diesen zur Rede.

„Nun, es ist mir gerade speciell von Perkisch empfohlen worden,“ wehrte dieser. „Wen soll ich sonst fragen? Mögt Ihr es halten wie Ihr wollt, ich kann den Mann nicht entbehren. Seit ich zahlen kann, läßt er seine Tinte strömen für meine Patente. Uebrigens thut Ihr gut, Alles zu lassen wie es ist – der Professor läßt sich nicht gern sein Schäfchen halb geschoren aus den Händen reißen.“

Gut, auch das! Walther erklärte grimmig, daß ihm Alles gleichgültig zu werden beginne.

Perkisch hatte sofort, als ihm der originelle Zögling vorgestellt wurde, seiner Spekulation freien Lauf gelassen. Welch ein köstlicher Zufall! Man muß den Bengel mit der Nase auf seinen Baron stoßen; man muß ihm einen Begriff beibringen, was so ein Ding in unserem aufgeklärten Europa bedeutet und was es auszurichten vermag!

„In Amerika mag man ohne Namen herumlaufen, hier thut man es schon nicht aus Rücksicht auf Polizei und Steuerbehörde; es ist der Henkel, bei dem sie Euch anfassen, mein lieber Baron.“

Natürlich nicht anders als „Baron – lieber Baron“. Perkisch ließ fort und fort diese Note vor Dicks klingen. „Nun, es kommt ihm doch zu! Der Titel gehört ihm so gut wie dem Anderen!“ grinste der Cyniker in sich hinein.

Dicks stutzte anfangs, dann vermochte er ein wohliges Schmunzeln nicht zu unterdrücken als ein Zeichen, daß ihm der Baron zu schmecken begann; zuletzt strich er den Titel einfach als einen selbstverständlichen Tribut ein.

Also es giebt gute Namen und Namen, die von vornherein keinen Pfifferling werth sind, solche, die unter allen Umständen Karrière machen, und solche, die zum Atiachambriren bestimmt sind. Oft kommt es auf den Klang an und wie ein solches Ding sich ausspricht.

„Sie heißen Baron Soundso – nun, Sie brauchen den Namen nur zu nennen, es ist so gut als sprächen Sie ‚Tischlein deck’ dich!‘ – schrumm, sitzen Sie beim feinsten Diner. Sie brauchen nur die Angel mit dem Köder auszuwerfen – flugs hangen Ihnen die Goldfische zu Dutzenden daran. So ein Name läuft ganz allein; Sie brauchen sich nur die Mühe zu geben, ihn zu besitzen, er springt mit Ihnen über alle Hindernisse. Und nichts Unverwüstlicheres – er ist nicht klein zu machen! Sie arbeiten auf ihn los, Sie verhauen, Sie verschleißen, Sie maltraitiren ihn, Sie lassen ihn Spießruthen laufen durch den Leumund der Leute, Sie zerren ihn durch die Gerichtssäle: ein anderer hielte die Behandlung nicht aus, er läßt sich nichts anhaben. Sie können wahrhaftig froh sein, so etwas zu besitzen, Baron!“

Dicks wurde es fast schwindlig von solcher Suade. Die Theorie war ihm wohl zu nebelhaft, Perkisch kam also mit Beispielen.

Ganz zufällig, indem er mit dem gewohnten Blinzeln der farblosen Augen die Beschwörungsformeln in Dicks’ Schreibheft überflog, blieb er an einem Buchstaben haften – „Sie müssen diese F’s, besonders die Schleife, noch eleganter herausarbeiten –“ sagte er und zog dabei eine Schleife durch die Luft. Apropos, Baron, der Buchstabe erinnert mich daran. Ihr Onkel Gamlingen – so, sehen Sie, was hätte der wohl mit seinem Namen angefangen? Freilich, es war aber auch ein Name, der schon überhaupt kein Name mehr, sondern nur ein Buchstabe war, Frau Belzig hatte Recht …“

Dicks horchte auf. Perkisch nahm eine kleine Rache. Sie hatten ihn aus dem Belzig’schen Hause wegen der Grafenaffaire ausgeschlossen. Er war sehr empfindlich, das machte der Umgang mit der Poesie, die er in seinen Toasten betrieb. Er wollte sich schon eine kleine Genugthuung verschaffen – sie sollten sich Alle bis aufs Blut ängstigen! Zum Mindesten würde er, Perkisch, sich köstlich dabei amüsiren!

„Wieso?“ fragte Dicks nach einer Pause, in der Perkisch an den Hühnerkratzeln des Heftes herumkorrigirte.

„Nun, Sie wissen doch – oder sollten Sie das noch nicht wissen, in welchem Verhältniß Ihr sogenannter Onkel zu Ihrem Namen steht? Adoptirt, mein Lieber – o Pardon – adoptirt, Baron! Sie wissen wohl nicht, was das ist, wie? Ich will es Ihnen erklären.“

Dicks hatte es bisher wirklich noch nicht der Mühe werth gehalten, seinen Onkel auf seine Echtheit zu prüfen. Er wußte nur, daß er, Walther und Olga die einzig Uebrigbleibenden des Namens waren. Das Wort Adoption hatte er zwar aus den Unterweisungen, die ihm Tante Olga in Betreff der Familie gab, herausgehört, ohne darauf zu achten, was das sei.

Perkisch erklärte es ihm nun, und er war erstaunt über die Wirkung seiner Mittheilung.

„Kommt schon vor, mein lieber Baron. Freilich muß man vorsichtiger sein, und wenn Sie nicht ein so famoser Kerl wären, pardon, nun, Sie nehmen es nicht so! – so könnte man es, von denen dort aus betrachtet, als ein Pech ansehen, daß Sie überhaupt auf der Bildfläche erschienen. In Lyon fand gerade dieser Tage ein Proceß statt. Es handelte sich um einen Marquistitel, der feil ist, Marquis Bourdon-Chérisy. Jemand, der Sohn eines bekannten Industriellen, findet Gefallen daran und möchte sich das Ding wohl zulegen. Gut. Der betreffende Adoptivvater hat den vom Gesetz geforderten Nachweis des Mangels direkter leiblicher Nachkommen auch richtig eingebracht. Plötzlich taucht, ich glaube auch aus Amerika, wo alle Ueberraschungen herkommen, ein Zipfel von einem Marquis gleichen Namens auf. Und wie in einem Roman, ganz wie bei Ihnen, Baron – ist es natürlich ein Enkel, von dem man gar keine Ahnung hatte. Platzt plötzlich herein – was ist zu thun? Er wird natürlich dem Adoptivbruder den Namen nicht streitig machen, fällt ihm auch nicht ein! Da entzweien sich die Brüder – natürlich wegen eines Frauenzimmers – der Amerikaner wird rabiat. ,Du hast mir meinen Namen gestohlen!‘ droht er, ,Du wirst mir ihn herausrücken!‘ Und Proceß und Skandal. Und zum großen Gaudium des Publikums zieht der entthronte Marquis mit seinem simplen – Mayer wieder ab – ich glaube, er hieß Mayer oder so ähnlich. Man erwartet jeden Augenblick in der Zeitung zu lesen, daß er sich aus Verzweiflung ins Wasser stürzen wird. So, nun wollen wir unsere Lese-Uebung beginnen, wenn es Ihnen recht ist, Baron?“

(Schluß folgt.)


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