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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


Es war heute ihr Geburtstag, und sie hatte sich den Tag über krampfhaft Mühe gegeben, die Sache von der komischen Seite zu fassen.

„Was ist da weiter? Dergleichen kann doch passiren,“ tröstete sie ihr stets trostbereiter Gatte, „das Ding ist superb, und wenn der Kerl (der Arbeiter, der an dem Aspirator gearbeitet) keinen Unsinn gemacht hätte, so genössen wir die reine Paradiesluft. Nun, ich dächte doch, man könnte es ertragen!“

Sie wies mit Thränen in den Augen auf das flatternde und wie ein Luftballon sich blähende Tischtuch. „Es heult so wie ein Novembersturm!“ rief sie in weinender Verzweiflung mit einem Blick auf den von der Sonne beschienenen Garten, wo kein Blättchen sich regte.

Frau Belzig beruhigte die kleine Frau, mit zwei ihrer rundlichen Finger über deren mit nervösen blauen Adern bedeckte Hand streichelnd. „Meine liebe Beste, nehmen Sie die Sache nicht tragisch. Es hat Jeder von uns das Seinige.“ Sie dachte an den Puppenverlag ihres Mannes, über den sie anfangs so gespottet, der aber schließlich das Geld herbeiströmen machte. „Ja diese Herren vom Geschäft!“ seufzte sie.

Unterdeß erklärte Adolf einigen der Gäste die Erfindung. Er mußte seine Stimme laut erheben, damit die Worte von dem Geheul der Maschine nicht verschlungen würden.

Herr Belzig nickte und nickte. „Famos! Sehr gut! ganz famos!“ mit jenen übertrieben aufmerksam scheinenden Augen, die anderweitig umherflatternde Gedanken verbergen sollen.

Die Damen fanden die Erfindung natürlich „reizend“! Wie lustig es in dem Röhrenwerk rumorte! Die Frau des Kompagnons, ein hageres Gesicht, das offenbar zu Zahnschmerzen geboren schien, hielt ängstlich den Fächer gegen die Wange, um sich vor dem wirklich unausstehlichen Zug, den das wahnsinnige Ding so ohne jeden Grund vollführte, zu schützen.

Der Kompagnon, eine kräftige bärtige Erscheinung von tüchtigem Ausdruck, lachte hinler Adolf’s Rücken über dessen Steckenpferd. Wenn dieser Eff nicht sonst so Brauchbares auf dem praktischen Felde der Fabrikation leistete, wenn er sonst nicht so ein famoser Kerl wäre, so müßte man diese Verrücktheiten mit offenem Spott überschütten. So aber meinte er in seiner ruhigen verständigen Art, man müßte den Erfinder erst ein wenig austoben lassen, ehe man zur Heilung schritte. Freilich, amerikanische Arbeiter – das ginge doch zu weit!

Da klirrten Gamlingen’s Sporen und rauschte Melitta’s Robe. „Aha! Nun bin ich doch neugierig!“ rief Jener seinem Bruder freundlich entgegen. Melitta traute sich nicht in die zugige Luft – „Puh!“ und sie schreckte in der Thür zurück.

Gamlingen konnte es sich nicht versagen, laut mit seiner sonoren Stimme über das originelle Debut der berühmten Erfindung loszulachen. „Höre,“ sagte er, „ich habe gestern zufällig in einem wissenschaftlichen Journal, ich glaube, es waren die ‚Fliegenden Blätter‘, ein Seitenstück dargestellt gesehen. Ein Riesenaspirator, der mit orkanartiger Gewalt die Passanten von der Straße in ein Vergnügungslokal hereinschlürft. Oberländer, glaub’ ich, heißt der Kollege.“

Aber Adolf reckte sich trotz Spott und Allem in die Brust. „Superb! – Es ist trotzdem ausgezeichnet!“ murmelte er.

Bei Tisch war man in bester Laune. Selbst Frau Eff hatte den großen Kummer des Tages vergessen. Eben hatte Adolf seine kleine Rache spielen lassen und einen galant scherzhaften Toast auf „seinen Bruder, den Baron, und seine Schwägerin, die Baronin“ ausgebracht. Walther nahm ihn mit unbefangener Miene hin, Melitta erröthete, aber ihre Augen strahlten. Frau Belzig blickte mit blinzelnder Verschämtheit, als gälte ihr die Baronin, auf ihren Teller. Die Champagnergläser trafen sich mit jenem gedämpften Ton, der nicht recht zu dem übermüthigen Getränk passen will. Da entstand auf der anderen Seite des Hofes, hoch droben auf dem Baugerüste, ein Tumult. Ein paar laut schimpfende Worte hallten durch das geöffnete Fenster herüber.

Es ist nichts, – nicht werth, daß man sich hier bei Tische in der Fröhlichkeit stören läßt!

Dort oben hielten die verschiedenen Arbeiter mit der Verrichtung inne. Zwischen zweien der Männer hatte sich ein Streit erhoben. Mit drohend heftigen Gebärden auf einander losfahrend, standen die beiden Streiter sich auf dem schmalen Gerüste gegenüber.

Es ist nichts, dergleichen Spähne pflegen bei der Arbeit zu fallen. Aber der scharfe Herr Pansow, der Kompagnon, knurrte voll Unmuth in sich hinein: „Die Halunken könnten wohl heute den Spektakel unterlassen!“ Er will unter der Hand hinaus und Ruhe befehlen.

Doch die Aufmerksamkeit des Tisches will sich nicht von dem Gerüst ablenken lassen. Auf ebener Erde, hier auf festem Kampfplatz, da mögen sie selbst Körper gegen Körper und mit Fäusten gegen einander losfahren! Aber da droben klingen selbst Worte schon gefährlich!

Die beruhigende Stimme des Poliers scheint den Streit beizulegen, einzelne Arbeiter nehmen ihre Arbeit wieder auf. Plötzlich erschüttert das ganze Gerüst von einem gewaltigen Prall. Ein Kalkkübel ist umgestoßen und der Kalk leckt mit klatschendem Geräusch an dem Gerüst herab.

Sie sind an einander! – Unterdrückte Schreie entschlüpfen den Lippen der Damen. Und von droben das dumpfe Gegröle der sich drängenden Kämpfer.

Abermals erschüttert das Gerüst. Sie sind zu Boden gestürzt. Wälzend und balgend kämpfen sie; „ho – ho! – ho!“ und die wüthende Donnerstimme des Kompagnons, die vom Hofe aus nach oben hallt und die Streitenden aus einander reißen will. Die Damen halten sich die Augen zu vor Angst: jeden Augenblick können die Beiden herabstürzen!

Das Gerüst schwankt, Stangen ächzen, Bretter krachen unter der Wucht des Kampfes.

„Das Gerüst ist sicher,“ beruhigt Adolf, in dessen Augen stets Alles ausgezeichnet ist.

Jetzt leuchtet ein blitzartig schneller Schein. Nur ein Nu! – Doch wohl kein Messer, das gezückt wurde?

„Teufel, die Kerle!“ entfährt es Gamlingen. „Sie werden doch nicht …“

Die Damen starren ihn angstvoll an! Was meint er? Sie haben den Blitz nicht verstanden, „nichts, nichts …“ Aber seine Augen verfolgen mit fiebernder Spannung den Kampf da droben.

Noch ein paar Sekunden des Balgens und Wälzens. Ein-, zwei-, dreimal noch leuchtet der entsetzliche Blitz auf – jetzt – jetzt muß es geschehen! – Die Anderen werden den Stoß nicht aufhalten! Plötzlich ein Krach – ein ungeheurer Krach, der all den Lärm verschlingt – eine dicke, röthlichbraune Staubwolke ballt sich empor wie von einer Explosion, brodelnd umhüllt sie das Gerüst und die Stelle, wo das Gerüst gestanden.

Und Stille – Stille dort von menschlichen Stimmen – Stille die Ewigkeit von drei, vier Sekunden lang – nur ein Splittern und Aechzen von zerbrechenden Holztheilen. Auch Stille hier, lähmende Stille des Entsetzens, die das Aufwirbeln und Brodeln der Staubwolke anstiert, wie sie sich in die Höhe und Weite breitet, sich in der Luft zu verflüchtigen beginnt. Nun schimmern wieder die Stangen durch den braunen Dunst – Gott im Himmel sei Dank! – Das Gerüst scheint nicht gänzlich zusammengebrochen – ja, ein Wunder: fast scheint es unversehrt, nur ein schräges Durcheinander von Brettern, das die wagerechten Etagen durchschneidet.

Die Herren sind hinausgestürzt; aus den Schuppen eilen Arbeiter zur Hilfe; es wimmelt um die Unglücksstelle, der Staub ist verflogen, Leitern werden angesetzt – ein Klettern und Krabbeln – wirre Rufe und tönende Kommandoworte. Bald bringt einer der Herren erlösende Kunde: es ist nur das mit Ziegelstaub bedeckte Bretterwerk der oberen auf die untere Etage gestürzt – ein paar tüchtige Schrammen – höchstens ein paar Verstauchungen – dazu ein gewaltiger Schreck, der den Halunken aber eine gute Lehre ist – auch ein paar Tropfen Blut – aber die Abzapfang hat dem Missethäter Noth gethan! Es ist ein Amerikaner, einer von den Handlangern, ein wüster Bursch, wie es scheint. Geschieht ihm schon recht! Das wird ihn schon lehren, sein fürchterliches Schlächterding von einem amerikanischen Bowie in der Tasche zu lassen! Es bedarf mehr der Polizei als des Arztes.

Man hat die Verletzten auf einen Haufen Packheu niedergelassen; es scheint wirklich nichts von Bedeutung. Nur die Handwunde des Amerikaners blutet stark, ein Arzt findet sich bald ein und sieht nirgends eine Gefahr. Die Wunde hat der Betreffende sich selbst im Balgen oder im Stürzen beigebracht; mit empörten Blicken messen die Maurer den Burschen, der sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 402. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_402.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2023)