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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

erklären? Wenn sie sich nach scheinbarem Abschied dann zum zweiten Mal in der kleinen abliegenden Küche umkleidete, mußte da ihr Thun der Tante nicht verborgen bleiben? Und Melly, die Einzige, welche ihr von dem Kostüm erzählen könnte? Nun, diese würde sich schon zum Schweigen bestimmen lassen.

Wie schnell sie sich an den Gedanken der Täuschung gewöhnte! Wo früher das Herz erschreckt schneller gepocht im tiefsten Angstgefühl, klopfte es heut nur noch stärker in Erwartung des heißersehnten Genusses. Mit der kaltblütigsten Umsicht traf sie alle Vorbereitungen, stellte auch die Uhr vor, um Zeit für ein zweites Ankleiden zu gewinnen – ihre Hand zitterte nicht, als sie die Tante, welche über Kopfschmerz klagte, schon frühzeitig zur Ruhe brachte. Sorgfältig stellte sie ihr die Klingel bereit, deren Klang die freundliche Aufwärterin und Nachbarin herbeirief, bereitete noch das Süppchen zum Abendbrot, dann erst begann sie, an sich zu denken. Sie hatte ja Zeit.

Schon während des Mittagsschlafes der Tante hatte sie das Kleid, wie alle übrigen Bestandtheile ihres Maskenanzuges in die kleine Küche gebracht. Jetzt, als sie in derselben Licht ansteckte, sich umzukleiden, begann endlich doch eine tiefe Erregung sich ihrer zu bemächtigen. In stiegender Hast steckte sie das volle braune Haar in hohen Puffen auf, dasselbe dicht mit weißem Puder überschüttend, dann befestigte sie den bunten Federtuff und sah ein paar Minuten regungslos ihr Bild im Spiegel an. Wie schön, wie merkwürdig schön stand das Alles zusammen! Dann griff sie in wachsender Ungeduld nach dem schimmernden Kleide, als plötzlich sich leise Schritte näherten und, nachdem die Klinke niedergedrückt worden war, sich das runde Gesicht der Nachbarin im Spalt der Thür zeigte.

„I du meine Güte!“ rief Frau Bünger in heller Bewunderung aus. „Sind Sie aber prächtig!“ Und hilfsbereit trat sie näher, um die schweren Falten zurecht zu ziehen. „Ich wußte es ja, daß die Karten nicht lügen – also ist doch die Erbschaft gekommen! Seit Wochen weicht die Treffneun nicht von Ihrer Seite – nun kommt auch die Hochzeit bald hinterdrein, Sie sollen sehen!“ Sie half wie eine Kammerjungfer und nestelte die Taille vollends zu.

Ein lähmendes Entsetzen hatte zuerst die überraschte Kordula erfaßt; doch während Frau Bünger zog und richtete, gewann sie schnell ihre Haltung wieder.

„Sie haben errathen,“ sagte sie möglichst gleichmüthig, „eine entfernte Verwandte bedachte mich in ihrem Testament. Doch ich bitte Sie, liebe Frau Bünger, der Tante gegenüber zu verschweigen, daß ich Ihnen davon gesprochen, sie fürchtet das Gerede der Leute, die ja gleich aus der Mücke einen Elefanten machen!“

„Ich sage nichts, verlassen Sie sich darauf,“ versicherte diese eifrig, „sie mag auch so Unrecht damit nicht haben. Aber wie mich das freut! Die Frau Tante hielt Sie doch ein wenig gar zu knapp!“

„Ja, ja,“ erwiederte Kordula, immer sicherer im Ton. „Wie würde sie zum Beispiel schelten über die Ausgaben, die ich mir mit diesem Anzug gemacht habe! Vom Maskenverleiher natürlich,“ setzte sie erklärend hinzu. „Daß Sie auch über ihn schweigen, Büngerchen, nicht wahr? Das wäre eine schöne Geschichte, wenn die Tante erführe, daß ich in geliehenen Kleidern einherginge!“

Die Frau, stolz über die Vertraulichkeit der sonst so wortkargen Kordula, nickte kichernd. „Na, überhaupt ist die Frau Tante doch wohl ein Bissel zu geizig. So jämmerlich kann es doch um feine Leute, wie Ihresgleichen, nicht stehen, wie sie immer thut!“

Inzwischen war das Ankleiden beendet, und die Bünger beeilte sich, Kordula Fächer und Handschuhe zu reichen, als ihr Auge plötzlich auf das unscheinbare Etui fiel, das halb im Dunkeln auf dem Tische lag.

„Da ist noch was!“ meinte sie, das Kästchen öffnend. „Ah, der Schmuck! – Diamanten! Meine Frau Baronin, bei der ich Köchin war, hatte auch nicht schönere!“

Kordula stutzte einen Moment. Es hatte nicht in ihrem Willen gelegen, die Brillanten der Tante heute Abend zu tragen; dieselben mußten in den Kleiderfalten mit herausgekommen sein; doch dieser Zufall änderte sogleich ihren Entschluß.

„Theaterbrillanten!“ sagte sie leichthin, „nicht wahr, man ist weit gekommen in der Nachahmung echter Steine!“ Dann schob sie mit scheinbar vollkommener Ruhe den kostbaren Reif über ihr Armgelenk und beugte sich, damit ihr Frau Bünger den strahlenden Halsschmuck umlegen konnte.

Draußen schlug die Uhr, und eilig nahm sie den weiten Mantel um, der sie völlig verhüllte – noch ein paar freundliche Dankesworte an die Nachbarin, dann flog sie die Treppe hinab.

Bei Wolfersdorffs, welche sie abzuholen ging, erregte sie gleichfalls das höchste Erstaunen, das junge Ehepaar stand zuerst völlig wortlos der glänzenden Erscheinung gegenüber.

„Donnerwetter, Fräulein Kora, Sie sehen ja famos aus!“ sagte endlich der Gatte. „Ist denn irgend eine gütige Fee bei Ihnen eingekehrt? Und die Brillanten! Na, Simili, was?“ setzte er schon wieder im alten neckenden Tone hinzu, indem er mit vielen Umständen den Kneifer putzte und auf die Nase zwängte, um sie von Neuem von allen Seiten zu betrachten.

Melly, die bisher noch keine Silbe hervorgebracht hatte, schüttelte jetzt energisch den kleinen, lockenumflatterten Kopf.

„Hans Narr,“ schalt sie, „das und unecht!“ Dann küßte sie leise und vorsichtig die Freundin, um das eigenthümlich fremde Gefühl, welches sie plötzlich beschlichen, niederzudrücken. „Du siehst bildhübsch aus, Kora,“ gestand sie freimüthig, „ich glaube, Du machst uns heute Alle todt!“ Und ungesäumt trippelte sie zum hohen Spiegel, ihre reizende Erscheinung von Neuem mit kritischem Blick zu betrachten.

Indessen brachte Kordula ihr Märchen hervor mit einer bewundernswürdigen Geläufigkeit, nur daß hier Kleid und Diamanten in die Erbschaftsmasse geworfen wurden, und keiner ihrer Zuhörer kam auf den Gedanken, daß es sich nicht genau so verhalte, wie sie erzählt.

„Aber ich bitte Dich, Melly, so lange die Tante nicht selbst von dieser Erbschaft zu Dir spricht, davon zu schweigen. Die Ansprüche der Leute würden sich sofort steigern und – die Tante ist mit der Zeit ein wenig genau geworden. Dann noch Eins,“ fuhr sie langsamer fort, stockend, mit brennender Röthe auf den Wangen, „ich muß Dich auch noch bitten, nichts von meinem heutigen Kostüm zu erwähnen, da sie mich in meinem Mullkleid vermuthet. Sie würde es mir nie verzeihen, wenn ich das Brautkleid nach ihrer Meinung derartig entweihte.“

Melly lachte hell auf. „Gottlob, so bist Du endlich einmal von Deinem Postament herabgestiegen, Du Tugendausbund! Mir bist Du durch diese Täuschung noch viel, viel lieber geworden, denn Du erdrücktest mich fast mit Deiner Schuldlosigkeit!“ Und stürmisch umfaßte sie die Freundin, sie mit sich im Zimmer herumdrehend.

Wolfersdorf indessen wandte noch immer kein Auge von dem so plötzlich verwandelten Mädchen ab, und diese rückhaltlose Anerkennung ihrer Person übte eine ganz gewaltige Wirkung auf Kordula aus. Die Sicherheit des Benehmens, welche sie für sich so heiß ersehnt, bei Anderen so tief beneidet hatte, ließ sie jetzt den Kopf stolz in den Nacken werfen; die Augen flimmerten aus den weit zurückgeschlagenen, dicht bewimperten Lidern triumphirend hervor und die Röthe tiefer Erregung verschönte sie in ganz unerwarteter Weise. Als sie nun die Maske vorband, fühlte sie sich wirklich als ein anderer Mensch, und das übermächtige Wonnegefühl ihres Inneren drängte jedes Bewußtsein einer Schuld in den tiefsten Winkel ihres Herzens zurück.




Die Huldigungen, welche Kordula an jenem Ballabende erfuhr, hätten selbst einen sieggewohnteren Kopf als den ihren berauschen können. Alle Kräfte ihrer Seele drängten sich jetzt, da sie sich auf gleicher Stufe mit denen fühlen durfte, zu welchen sie bisher in hoffnungslosem Sehnen aufgeblickt hatte, mit Ungestüm hervor, aber auch die dunklen dämonischen Gewalten blieben nicht zurück: schon an diesem Abend war sie entschlossen, jedes Mittel zu ergreifen, welches den köstlichen Rausch noch länger andauern lassen konnte. Jetzt, da sie vom Genuß gekostet, wollte sie den Becher um keinen Preis mehr aus der Hand geben. Mit diesem Entschluß, der jede andere Regung übertäubte, kehrte sie von dem Balle nach Hause zurück.

Nächst Wolfersdorff geleiteten sie auch noch Herren, welche für die „Folie“ früher kaum ein Wort übrig gehabt hatten, sich jetzt aber in Artigkeiten überboten für die „Erbin“, wie man sie

schleunigst umgetauft, da Wolfersdorff, der es ja wissen mußte,

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