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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

„Ich habe Dir schon wiederholt gesagt, Walther, daß ich derlei Redensarten …“

„Du hast Dich nun zu entscheiden,“ unterbrach ihn Walther mit schärfster Stimme; „willst Du, oder willst Du nicht – willst Du nicht, so …“

Frau Eff saß mit offenem Munde wie versteinert. Sie stierte voll Entsetzen den Hin- und Herwandelnden an.

Walther vollendete für sich: „So wird man Dich in eine Anstalt einsperren!“

„Warum soll ich nicht? – Warum soll ich nicht?“ antwortete Adolf zögernd. Das Grinsen auf seinem Antlitz verschwand. Er meinte es ja nicht so schlimm – sie hätten ihn doch kennen müssen, den Bramarbas, der in diesem Erfinder steckte.

„Nicht übel,“ lenkte er ein, aber doch immer noch die Schultern mitleidig zuckend. „Ich könnte ja nebenher meinen Aspirator … übrigens lassen sich allerlei hübsche kleine Dinge in der Branche konstruiren.“

Die Manie des Erfinders hatte sich schon sofort auf die neue Beute gestürzt, und es schossen in seinem Gehirn bereits allerlei krause Plänchen umher: ein sich selbst drehender Christbaum, ein selbstsingendes Christkindchen, ein sich selbst anzündender Baum und Anderes.

Das Staunen der Beiden verlor sich allmählich in einem Lachen über das spaßhafte Kaleidoskop seiner Erfindungen, das er vor ihnen glitzern ließ; er wollte schon den Weihnachtsbaum des nächstjährigen Festes zu einem staunenswerthen Wunderding umgestalten!

Natürlich war er nicht so schlimm, wie er sich gab. Und die Freude über Belzig’s Offerte kam auch bei ihm zum aufrichtigen Durchbruch. Aber zuletzt verdarb er doch wieder die frohe Stimmung.

„Apropos,“ sagte er, seine sehnige, nervös ausgearbeitete Hand auf des Hauptmanns Schulter legend, „wir werden uns doch den Belzigs gegenüber revanchiren müssen, nicht? Wir müssen ihnen einmal wieder einen Gefallen thun! Ich höre durch Perkisch (Walther runzelte die Stirn bei dem Namen), daß man ihnen einen ungeheuren Gefallen thun könnte –“

„Und was!?“ rief Walther verwundert.

„Du thust wie ein Waisenknabe. Merkst Du denn nicht? Die Sache ist doch sehr einfach! Du könntest sie nicht glücklicher machen, als wenn Du Dich adoptiren ließest. Du weißt, von wem.“

Walther warf die Hand mit einem Ruck von seiner Schulter.

„Ich bitte mir aus, Adolf, daß Du solche Scherze lässest!“ brauste er auf.

„Nun, nun, was wäre dabei? Unser Name ist doch so sehr hübsch nicht … mir ist er längst gut genug – auch wird ihn mein Eff-Aspirator herausreißen – aber Du …“

„Laß das!“ drohte Walther.

Adolf aber ließ nicht nach:

„Ich meine, Du könntest wohl einen hübscheren Namen gebrauchen. Wir wären Dir nicht böse; Tante höchstens, für die es keinen schöneren Klang auf der Welt giebt, als unsern Namen. Geschmackssache! Ich meine, Du könntest nichts Gescheiteres thun, als umsatteln. Uebrigens machst Du sie Alle dort glücklich damit. Du kennst die Weiber noch nicht. Glaubst Du, daß man Dir Ruhe lassen wird, so lange der Name zu haben ist?“

„Ein- für allemal, laß den Unsinn!“

Und Walther gab sich ungeheure Mühe, recht aufgebracht zu scheinen. Er log sich selbst vor, daß er es sei, als er die Treppe hinunterstieg. Doch aus dem Klirren seiner Sporen klang schon wieder die ehrwürdige Jahreszahl 1295.




15.0 Alarm.

Olga von Gamlingen hatte am Morgen im Komptoir die Nichtablieferung einer fälligen Kolorirung entschuldigen lassen: ihr Vater sei seit gestern erkrankt.

Herr Belzig war beim Dejeuner mit einem Kopf voll Geschäftssorgen erschienen, und so kam es, daß er die Nachricht von der Erkrankung erst beim zweiten Gange in die Unterhaltung hineinwarf.

„Krank?, O!“ rief Frau Belzig kurz auffahrend. Das war wohl nur erst der Ausdruck eines rein äußerlichen, zerstreuten Bedauerns, den uns die stereotype Wohlerzogenheit auf die Lippen drängt.

Melitta fiel gleichfalls mit einem „O!“ ein. Eff, der mit zu Tisch war, horchte theilnehmend auf.

„Woher weißt Du? – Es ist doch nicht schlimm?“ fragte Frau Belzig gleich hinterher. Dies konnte eher schon einen Klang aus dem Herzen, ein Stück wirklicher Theilnahme bedeuten.

„Die Kleine ließ es heute Morgen im Komptoir vermelden; seit gestern hat er sich gelegt.“

Frau Belzig lehnte Gabel und Messer mit einem leichten Nachdruck gegen den Rand des Tellers.

„Wie Du bist, Belzig! Heute Morgen? – Und seit gestern ist er krank! – Warum hast Du uns das nicht eher mittheilen können?“

Sie ließ die Hände auffällig vom Tische herab in den Schoß sinken, um ihr Erstaunen über seine Nachlässigkeit zu bekräftigen. Dies war der volle Alarm: wenn der Freiherr stirbt, so haben wir, die wir auf seinen Namen lauern, die wir bereits darauf Beschlag gelegt zu haben glauben, einfach das Nachsehen!

„Ich werde hingehen und mich erkundigen,“ beschwichtigte Melitta mit einer gewissen Hast. „Ich wollte Walther ein Stück bis nach dem Königsplatz begleiten; ich werde statt dessen hingehen. Es wird wohl nicht so schlimm sein!“

Frau Belzig schien das nicht gehört zu haben. „Friedrich!“ rief sie aufgeregt.

Friedrich, der hinter ihr gestanden, glitt mit einem tonlosen „Gnädige Frau!“ an ihre Seite.

„Lassen Sie gleich nach Tische anspannen! – Ich werde selbst nachsehen; man darf das arme Ding, die Olga, doch nicht im Stiche lassen!“

Gleich aber faßte sie sich, daß die Andern nichts von ihrer geheimen Sorge merkten: „Olga ist zwar sonst ein resolutes Ding …“

„Ich dachte, Du hättest heute Deine Bazarsitzung,“ warf Herr Belzig ohne jede Absicht ein.

„Ah so!“ Sie hatte das vergessen. „Nun, es ist ja nur ein Moment! Ich mache nur den Umweg!“

„Ich begleite Dich, Mama!“

„Wie Du willst, mein Kind. Wenn Sie ihr Urlaub geben, Walther! Nun, ich dächte aber, ein Spaziergang thäte Dir besser. Ich werde allein fahren.“

Noch ein heuchlerisches Lächeln der Zärtlichkeit schenkte sie dem Paar; dann richtete sie mit einem sichtlichen Zwange das Gespräch auf ein anderes, gleichgültiges Thema.

Doch die Nachricht von der Erkrankung des Freiherrn schlich wie ein Schatten durch das Gespräch. Herr Belzig war ein wenig verdutzt geworden: welch’ ein Wesen seine Frau aus der einfachen Erkrankung zu machen im Stande wäre; nun, er pflegte über solche Dinge nicht tiefer nachzudenken, und sein zerstreutes Kopfschütteln, welches das Unbegreifliche eben unbegreiflich ließ, glitt über den Fall hinweg.

Aber Frau Belzig’s Tochter? – Melitta fiel es schwer, die Unbefangenheit aufrecht zu halten. Sie hatte sich so erschreckt über sich selbst – nicht einmal über die Krankheit! Wie ein Blitz hatte es ihre Seele gestreift. Da ist ein Leben in Gefahr, das Leben eines Freundes, des besten sympathischsten Menschen, und man bekommt eine Gier, ihn am Mantel festzuhalten, daß er nicht entwischt – nicht des Menschen wegen, nein, des Mantels wegen! Es schauderte sie: Heiliger Gott! wie ist das häßlich! Bin ich denn solch ein Ungeheuer?

Und Frau Belzig’s Schwiegersohn? Mit einer betäubenden Deutlichkeit waren gewisse Gedanken vor ihm aufgezuckt: – wenn das eintrifft, wenn der Freiherr stirbt – dann ist ja jene Sache am einfachsten erledigt; dann hört der Alp auf; dann giebt es keine Versuchung mehr; dann brauche ich nicht Ja! und nicht Nein! zu sagen; dann geschieht meinem Namen kein Unrecht; dann habe ich später nichts zu bereuen; dann mache ich mich nicht lächerlich; dann ist auf einmal der Schatten, der sich zwischen mich und sie stellt, verweht – ja, es ist die einfachste Erledigung …

Frau Belzig war nach ein paar Stunden zurückgekehrt. Sie hatte die Komitésitzung aufgegeben. Das wollte viel sagen; denn sie hätte dort einen Nachmittag über in der Gesellschaft von einigen Excellenzen, einigen wirklichen und unwirklichen Geheimräthinnen und ein paar Damen aus der höheren aristokratischen Luftschicht, die sogar an den Hof heranreichte, über das Wohl

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 355. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_355.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2023)