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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

weltliche Aebtissin und Stiftsmutter Mathilde erst einundzwanzig Jahre und trug weltliches Gewand, das sich in dunklen Falten um ihre anmuthige und vornehme Gestalt schmiegte. Die jugendliche Klosterfürstin herrschte nicht etwa über weltentsagende Nonnen, sondern über ein Dutzend altadeliger Fräulein, deren klösterliche Verpflichtungen keineswegs drückend waren. Sie hatten lediglich zu bestimmten Zeiten in den Chor zu gehen und ihre Andacht gemeinsam zu verrichten, gehörten aber keinem religiösen Orden an.

Das kleine Reich der Aebtissin umfaßte ein Kloster mit Park zunächst einer Reichsstadt sowie einige Güter am Ufer des Sees mit ihren Bewohnern. Innerhalb dieses Gebietes regierte Frau Mathilde unumschränkt, sogar als Herrin über Leben und Tod mit dem Blutbann ausgestattet. Von diesem verantwortungsvollen Fürstenrecht wurde aber bei der friedsamen Art des Stiftsvolkes seit Menschengedenken kein Gebrauch gemacht. Im Uebrigen verstand die Prinzessin vortrefflich, ihre Würde zu entfalten, wenn sie an der Spitze ihrer Edelfräulein zum Chor schritt oder den Amtsbürgermeister der Nachbarstadt in feierlicher Audienz empfing. Nicht umsonst hatte sie einige Wochen am Hofe Maria Theresia’s verweilt und von deren zugleich patriarchalischer und majestätischer Haltung ihren Theil abgesehen, der nun der jungen Stiftsmutter allerliebst zu Gesicht stand.

So war es gekommen, daß Frau Mathilde trotz ihrer Jugend und gewinnenden Anmuth doch sich bei allen Stiftsdamen in gebührendem Respekt erhielt.

Wenn aber die schöne Aebtissin frohgemuth mit ihren geputzten Fräulein in stattlichen Karossen über Land oder in vergoldetem Schiffe auf dem See spazieren fuhr, mochte wohl Jedermann sie nicht nur als das liebreizendste, sondern auch als das sorgenloseste aller regierenden Häupter preisen.

An einem herrlichen Sommertage jedoch zeigten die Züge der Aebtissin nicht den geringsten heitern Ausdruck. Frau Mathilde saß im Erker eines Gemaches voll weicher, großblumiger Polstermöbel und vergoldeter Gueridons; die bis auf den Boden reichenden Damastvorhänge waren zurückgezogen und gestatteten einen weiten Ausblick über den See und seine reizvollen Ufer. An jenem Tage aber streifte der Blick der Fürstin kaum flüchtig das ihr sonst so liebe Landschaftsbild. Eben so hörte sie nur zerstreut auf die munteren Reden der ihr gegenüber sitzenden Stiftsdame.

Fräulein Benigna von Elmenau war die Aelteste des Stifts. Ihr Haar glänzte ohne Puder silberweiß; an jugendlicher Frische jedoch that es Benigna ihren jüngsten Gefährtinnen zuvor. Stets gleiche sonnige Heiterkeit und milde verständige Ruhe hatten ihr bald das Vertrauen ihrer neuen Oberin erworben. In allen Fragen, welche außer dem Bereich des rechtskundigen Kanzleidirektors und des hochwürdigen Stiftsvikars lagen, holte Mathilde den Rath der mütterlichen Freundin ein. Benigna galt insbesondere als Staatssekretärin für weibliche Angelegenheiten – bei einem Dutzend zusammen hausender Edelfräulein mit ihren nach Rang und Alter steigenden Ansprüchen und Launen wahrlich keine Sinekure! Außerdem wär Fräulein von Elmenau auch das Arrangement der Vergnügungen des kleinen Hofes anvertraut.

So hatte Benigna eben für den verlockenden Nachmittag einen Ausflug auf eines der Stiftsgüter vorgeschlagen.

„Ich bin durchaus nicht in der Stimmung zu einer frohen Fahrt, liebe Elmenau. Es wird wohl am besten sein, ich verlasse heute und in den nächsten Tagen die schützenden Mauern des Klosters nicht,“ erwiederte Frau Mathilde mit einem Seufzer.

„Sie sprechen in Räthseln, gnädigste Frau; es ist doch nichts Schlimmes vorgefallen?“ fragte das Fräulein besorgt.

„O, nichts von Bedeutung,“ versetzte die Aebtissin mit einem Versuch, zu lächeln. „Eine Kindergeschichte im buchstäblichen Sinn, die nur etwas unkindlich ausging und die ich für immer abgethan glaubte. Doch Sie sollen Alles erfahren; wem anders könnte ich hier mein Herz ausschütten, als meiner theuren Elmenau!“

„Hm, hm – was werde ich zu hören bekommen, am Ende gar einen kleinen vorstiftlichen Roman einer erlauchten Aebtissin?“ scherzte das Fräulein.

Eine flüchtige Röthe überzog die Wangen der Fürstin.

„Sie sind auf der richtigen Fährte und doch wieder nicht ganz, meine kluge Benigna. Romane finden wenigstens einen Abschluß – aber ich schulde Ihnen ja den Anfang. Wie ich Ihnen schon erzählt, schwärmte mein Vater seit seinem Pariser Aufenthalt für Rousseau und dessen Naturevangelium. Diesem Umstande verdanken wir Geschwister, daß wir in unserem idyllischen Sommerschlößchen Walding erzogen wurden. Als das einzige Mädchen unter drei lebhaften Knaben wuchs ich in der Ungebundenheit des Landlebens ein Bischen wild in die Höhe. Am liebsten jedoch schloß ich mich beim Spielen einem Genossen meiner Brüder an. Es war dies Franz Werner, der Sohn des Schloßgärtners, dessen Frau meine Amme gewesen. Da Franz, ein hübscher aufgeweckter Junge, sich höchst lernbegierig erwies, so ließ ihn mein gütiger Vater vollständig am Unterricht seiner Kinder theilnehmen. Als mein ältester Bruder, der Erbprinz, mit einem Hofmeister die Hochschule bezog, durfte Franz seine Studien theilen und ihn sogar später auf seinen großen Reisen begleiten. So währte es drei Jahre, bis ich wieder in Walding mit meinem Bruder zusammentraf – und mit Franz Werner …“

„Dem Helden des unkindlichen Romans?“ schaltete Benigna neckend ein.

„Sein Aeußeres wäre wohl dazu angethan gewesen! Bald aber überzeugte ich mich, daß sein Charakter sich nicht eben so vortheilhaft entwickelt hatte. So mancher Zug, dessen Keim schon im Knaben hervorgetreten, hatte sich zum Schlimmen entfaltet: vor Allem ungestümes Wesen und romanhafte Exaltation. Werner’s ganzes Empfinden war so maßlos wie jede Aeußerung desselben. So übertrieb er auch eine gewisse vornehme Manier, welche er sich im Verkehr mit den jungen Edelleuten angeeignet

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 298. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_298.jpg&oldid=- (Version vom 8.5.2023)