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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Tochter eines Pensionirten – wird sich für sie ein Bewerber finden, dem das Silber ihres Lachens und das Gold ihres Gemüthes den gestanzten und gedruckten Inhalt eines Arnheim ersetzen kann?

„Was meinst Du denn, Papa?“ Olga suchte immer noch auf der Zeitungsseite.

„Ganz oben, fettgedruckt – ‚Ein Kavalier‘ –“

„Ah, da ist’s!“ Olga’s Augen weiteten sich voll wachsender Verwunderung. Und nun, fast mit dem Ausdruck des Schreckens blitzte sie den Vater an. Es war doch nicht der Vater, der die Annonce eingesetzt?! Aber sofort verneinte sie sich solchen Verdacht und las, das Köpfchen schüttelnd, noch einmal. Hätte Papa Solches hinter ihrem Rücken ausführen können? Nein, so heruntergekommen waren die letzten Gamlingen doch noch nicht, daß sie ihren Namen gegen Geld in den Zeitungen ausboten!

„Was soll das, Papa?“ Sie blickte ihn verdutzt über das Zeitungsblatt an.

„Ze … ze … ze …“ Es war nicht so leicht, ihr in kurzen Worten Alles zu erklären. Das kam davon, daß er diesen Winkel seiner Gedanken vor ihr versteckt hatte!

„Setz’ Dich hierher, Kind!“

Sie rückte den Stuhl an seine Seite und ließ sich darauf nieder.

„Sieh, ich hätte mich längst nach einer Adoption umsehen sollen. Ich bin es unserem Namen schuldig.“ Es war der Seufzer, der ihm schon Anderen gegenüber entfahren. „Es ist Zeit, daß ich daran denke, ich werde alt, mein gutes Kind. Sehr traurig, wenn unser Name spurlos verschwände. Freilich nicht nobel von dem sogenannten Kavalier – man stellt seinen alten ehrwürdigen Namen nicht so ins Schaufenster. Aber wenn sich eine Gelegenheit bietet, so muß man doch zugreifen. Nicht Jedem möchte man den Namen anvertrauen. Ze … ze … ze … ich weiss Jemanden, bei dem er gut aufgehoben wäre. Er wird ihn schon in Ehren halten. Er wird Dir ein braver Bruder sein, aber ich möchte nicht, daß Du eine Einwendung gegen die Wahl hättest.“

„Du machst mich sehr neugierig, Pa’.“

„Ze … ze … ze … war neulich davon die Rede und auch heute. Halb Scherz, halb Ernst. Aber bin überzeugt, kostet nur ein Wort zur richtigen Zeit, und die Sache kann perfekt werden. Ich weiß, Du schätzest Lieutenant Eff sehr –“

„Ah!“

Ein kurzes Ah! der Ueberraschung. Eine Röthe übergoß ihr Gesichtchen, ein starkes Karmin, das wohl gemalt dort auf dem Papier als besonders gelungen erschienen wäre. „Doch nicht Herr Lieutenant Eff?“

„Hast Du etwas an ihm auszusetzen? Seine Tüchtigkeit, seine Ehrenhaftigkeit stehen über allem Zweifel – ein wahrhaft vornehmer Charakter – wüßte nicht, wer besser paßte.“

„Lieutenant Eff ist ein reizender Mensch! Er ist der liebenswürdigste Mensch, den ich mir denken kann!“ rief Olga mit einem übertriebenen Enthusiasmus. Wollte sie dadurch ihre seltsame Erregung verbergen?

„Er wird Dir ein vorzüglicher Bruder sein. Ich wüßte nicht … ze … ze … ze … unter wessen Schutz Du besser aufgehoben wärest.“

„Ein herrlicher Mensch!“ fiel sie nochmals ein. „Ich würde mich unendlich freuen, Pa’!“ sie sprang auf, ihre Arme umschlangen des Vaters Hals, und eine kurze Weile fühlte er den lebhaften Athem des Kindes an seiner Wange.

Was ist ihr denn? Ei, die Nachricht kommt ihr nur so neu und überraschend – sie freut sich wirklich!

„Ist er denn damit einverstanden? Weiß er denn davon?“ fragte sie dann in anscheinender Ruhe.

„Er wird es nicht ausschlagen mein Kind.“

Sie erinnerte sich plötzlich, daß sie in der Küche noch Wichtiges für morgen früh zu ordnen hatte – man kann sich auf diese Aufwärterinnen nie verlassen! Und sie schlüpfte hinaus. Gleich darauf hörte der Freiherr von der Küche her das klirrende Poltern von Geschirr und das feinknarrende Umhertrippeln von Olga’s Füßchen. Dann, während er sich selbst wieder in die Lektüre seiner Zeitung vertiefte, ward es draußen still. Wenn er die Küche betreten hätte, wäre er Zeuge von etwas Außergewöhnlichem geworden. Das liebe fröhliche Ding stand mit dem Köpfchen an die kalte Scheibe des Küchenfensters angelehnt und blickte gedankenschwer hinaus nach dem Stückchen Sternenhimmel, das über der schwarz und finster aufragenden Häuserfronte hereinleuchtete. Eine schwere Thräne löste sich langsam von ihrer Wimper und rollte über die Wange herab; sofort schüttelte Olga heftig den Kopf. Thorheit! liebte Er nicht Melitta? War das nicht ausgemacht? Und wenn dies nicht der Fall wäre, würde er denn jemals an ihr unbedeutendes Persönchen denken?

Sie hatte Eff zuerst im vorigen Winter auf dem alljährlich stattfindenden Ball des Pensionirten-Vereins kennen gelernt; sie hatte ihn dann oft genug im Belzig’schen Hause getroffen. Zuletzt siegte doch die Vernunft über den unbegreiflichen Trotz ihres Herzens, und sie hatte einen Vorwand gefunden, einzelnen Einladungen dorthin auszuweichen. Sie wollte der Thorheit Herr werden. Keines Menschen Auge sollte hinfort Zeuge sein, welch seltsame Flamme ein Jahr hindurch in ihrer Brust geglimmt. Eff und Melitta würden ein Paar werden, und man würde auf der Hochzeit recht lustig tanzen und lachen, man würde die Miniaturböller der Knallbonbons losschießen und die Glocken der Gläser erklingen lassen. Und so, unter all der Ausgelassenheit würde diese Backfischliebe zu Grabe getragen werden.

Und nun hatte Papa den „Herrlichen“ zu ihrem Bruder erkoren! Soll sie sich dagegen auflehnen? Eine neue Thorheit, und sie gäbe damit zu, was sie sich wegzuleugnen so eifrig bemüht war. Nein, nein, nein! So sei er als Bruder willkommen!

Bald darauf saß sie wieder an der Arbeit. Ihre Augen strahlten klar wie vordem, und fast schien es ein Muthwille, wie flink der Pinsel in ihren Fingern Bäckchen auf Bäckchen tupfte und abtönte.

„Gute Nacht, mein Liebling! Strenge Dich nicht zu sehr an. Bleib’ nicht zu lang’ auf,“ sagte der besorgte Vater, als er sich zur Ruhe begeben wollte.

„Nur noch hundertfünfzig Bäckchen, Papa. Es macht mir besondere Freude heut. Es giebt nichts Besseres als Arbeit. Die armen reichen Leute, die solche Wohlthat nicht kennen! Meinst Du nicht auch, Papa?“

Und dann, beim eintönigen Schlag des Regulators, während da draußen die vielartigen Geräusche der großen Stadt nach und nach verstummten, saß die kleine Heldin und malte Bäckchen; sie wollten ihr immer hübscher gerathen, und es war schade, daß das fünfte Hundert so bald vollendet war.

(Fortsetzung folgt.)




Orientalische Sprüche.

Die Wohlthaten der Eltern sind so unbegrenzt wie die Ausdehnung des Himmels. Mongolisch.     

Ein verzogener Sohn nimmt nicht Lehre noch Erziehung an, und der beschattete Palmbaum giebt keine Frucht. Afghanisch.     

Die Tage sind Blätter im Buche des Lebens. Darum schreibt nichts hinein, als gute Thaten und reines Streben! Persisch.     

Durch Anstrengung gelingen die Werke, nicht durch Wünsche; es läuft das Wild nicht in den Rachen des schlafenden Löwen. Indisch.     

Leichter ist es, mit einer Nadel ein Gebirge aus seiner Wurzel zu reißen, als die Sünde der Selbstsucht aus dem Herzen. Persisch.     

Der Mensch sieht das Unheil nicht, er sieht nur den Gewinn; der Fisch sieht die Angel nicht, er sieht nur den Köder. Mantschu.     

Ihr, die Ihr jung seid, verlacht nicht den weißhaarigen Greis; die Blume, die sich entfaltet, wie viele Tage wird sie roth bleiben? Mantschu.     

Am besten erkennt man den Charakter eines Menschen bei Geldangelegenbeiten, beim Trinken und im Zorn. Hebräisch (Talmud).     

Wenn ein Vogel dem Tode nahe ist, so wird sein Gesang klagend; ist ein Mensch dem Tode nahe, so sind seine Worte ernst und heilsam. Chinesisch (Konfucius).     




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_243.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)