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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Eins sagen – meine verdammte kameradschaftliche Pflicht: welch eine Primaprachtkarrière stände Ihnen bevor! Welch eine Kombination, ich bitte Sie: erstens Ihr Fleiß, Ihre unheimlichen Kenntnisse – der ganze famose Kerl; zweitens dieser verteufelt gute Name, falls Sie ihn acceptiren; ad drei eine reiche Frau; ad vier eine schöne dito –“

„Mühüller!“ Dieser halb bittende, halb verbittende Ruf ward von einer Unmuthsfalte begleitet, die zwischen Eff’s kräftigen Brauen zuckte.

„Schon gut, schon gut!“ besänftigte der Andere. „Ich weiß, Sie wünschen nicht, daß man an so Etwas tastet. Sie sind bereit zu schwören, daß Sie sich auch nicht des kleinsten Seitenblickes auf den Geldbeutel Ihres Schwiegervaters in spe bewußt sind. Sie sind ein seltener Mensch, und wenn man Sie ausstellen dürfte, könnte man eine brillante Einnahme haben: ein lebendiger Kavalier aus der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, der es als ein Unglück betrachtet, einen reichen Schwiegervater zu bekommen – aber pscht! Vorsicht! Man darf nicht daran rühren! Man darf Ihnen die Sache nicht verleiden. Sie sind im Stande, kurz abzuschnappen; das wäre doch verdammt schade!“

Eff lachte. Man konnte dem kleinen Schwadronneur nicht böse sein. Das „klein“ natürlich nur in Bezug auf Eff’s eigene herkulische Gestalt.

„Ich finde, Sie turnen zu viel mit der Zunge, darunter leidet Ihre Gesammtausbildung. Ich dächte, wir redeten von was Anderem, wie?“

„Mir auch recht! Reden wir von Rußland! Apropos, da Sie vom Turnen anfangen: ich möchte noch eine kleine Uebung der Schluckmuskeln vorschlägen. Wie ist’s mit Sichem?“

„Thut mir leid; ich stecke bis über die Ohren in Arbeit! Zwei Berichte, die übermorgen fällig sind.“

Da nahte das dumpfe Rasseln eines Pferdebahnwagens. Mühüller empfahl sich mit seinem bekannten und gefürchteten Krafthändedruck, der manchen Weichlingen einen kurzen Ruf des Schmerzes zu entpressen pflegte, und mit jenem Grinsen der breiten Zähne, das immer wieder zu fragen schien: „Bin ich ein Schlauberger, oder bin ich keiner?“


3.0 Der Letzte seines Stammes.

„Ein Kavalier von ältestem Adel, der Letzte seines Stammes, wünscht einen Sohn aus guter Familie, möglichst selbständig und im Besitz eines angemessenen Vermögens, zu adoptiren. Gef. nicht anonym. Off. sub. v. Z. 1250 erb. in d. Exped. dies. Z.“

Das Zeitungsblatt raschelte in den Händen des Oberstlieutenants; er rückte den alten schlechtsitzenden Kneifer mit einer hastigen Bewegung empor.

Als wenn er es gewesen, der die Annonce in die Zeitung gesetzt! So hätte es heißen müssen, wenn er sich dazu hergegeben, seinen Namen öffentlich auszubieten. Und der merkwürdige Zufall der Annoncenchiffre – war sie nicht fast gleichlautend mit der Jahreszahl, in welcher die Wurzel des Stammbaumes dort an der Wand gründete? Ein verstorbener Bruder hatte der Anfertigung dieses Stammbaumes über zehn Jahre seines Lebens gewidmet. Mit einem Eifer, der zuletzt in eine Art Manie ausgeartet, hatte er den leisesten Verzweigungen der Namensspur bis in die Tiefe der Jahrhunderte hinein nachgegraben. Er hatte darüber Besitz und Hausstand vernachlässigt und die Reisen und Forschungen hatten einen guten Theil seines Vermögens aufgezehrt. Es stand sogar in der Familie fest, daß diese aufreibende Manie seinen Tod verursacht hatte. Nun hielt der Stammbaum, mit kostbarem Eichenschnitzwerk umrahmt und mit dem Wappen der Gamlingen gekrönt, in fast aufdringlicher Arroganz die eine Wand der niederen Stube besetzt: die Raumhöhe eines vierten Stockwerks ist eben nicht für den Luxus solcher Art von Bildwerken berechnet.

Es war wie eine stete Mahnung an ihn, den Letzten, die Zweige des Baumes, der sechs Jahrhunderte gegrünt, nicht elendiglich verdorren zu lassen. Mit dem Tode seiner Söhne hatte er oft genug an die Verpflichtung einer Adoption gedacht; doch war es nur bei dem Gedanken geblieben, bis vor ein paar Tagen Frau Belzig in ihrer resoluten Weise den Bann brach und einfach die Frage aufdeckte: „Aber, verehrtester Herr Oberstlieutenant, Sie haben keinen Sohn, Lieutenant Eff hat keinen Vater mehr; er ist ein ausgezeichneter Mensch; Sie können sich keinen besseren Adoptivsohn wünschen. Adoptiren Sie ihn doch!“

Er hatte etwas sagen wollen, aber es nur zu einem lebhaften Zwinkern der kleinen Augen gebracht.

Ja, ja, ja! der ist der Richtige! Eff ist tüchtig, sympathisch, ein seltener Charakter – er wird eine glänzende Karrière machen, d. h. ob er sie mit seinem Namen machen wird? Seinen Schultern darf man die kostbare Last dieses Namens schon anvertrauen! – Wie liebenswürdig von Frau Belzig, daß sie sofort die Sache in Angriff nahm und gleich heute Abend das Terrain rekognoscirte!

Würde Eff zugreifen? – Natürlich kam ihm der Antrag als eine Ueberraschung; in seiner diskreten Weise wich er zur Seite. Man müßte ihm jedenfalls Zeit gewähren!

Die Aeuglein des Alten stöberten unruhig in den Annoncen der Zeitungsseite weiter. Immer wieder, wie von einem Magnet angezogen, fuhren sie auf die Namensofferte zurück. Das nackte Elend lugte unter dem Prunk dieser Anzeige hervor. Man verlangt also Vermögen als solide Stütze für den Namen. Es werden sich die Söhne von Schlächtern und Bierbrauern melden; an Bewerbern wird kein Mangel sein. Ein Gefühl der Scham über diese Preisgabe beschlich ihn. Nun gottlob, bei der Adoption eines Eff ist doch der Verdacht eines schmutzigen Eigennutzes nicht zu befürchten. Eff ist arm; nur seine Tüchtigkeit und seinen Charakter setzt er für den Namen ein. Alle die Ahnen des Stammbaumes mögen ruhig ihre Jahrhunderte weiter schlummern; es ist nun Jemand da, der die Ehre des Geschlechtes weiter bewacht!

„Olga, mein Kind, da lies einmal,“ sagte der Freiherr plötzlich, indem er das Blatt über den Tisch hinüberreichte.

„Gleich, Pa’, daß die Farbe nicht eintrocknet!“ antwortete sie, ohne aufzublicken. Sie saß auf der anderen Seite des Tisches in der vollen Helle des Lampenlichtes, mit herabgebeugtem Köpfchen, dessen üppig aus dem Zwang der Frisur umherwuchernde Wildhaare wie Seide in dem grellgelben Scheine erglänzten. Ein Haufen lithographirter Blätter lag vor ihr, und die feinen Hände führten in flinker Behendigkeit den Pinsel – immer dieselbe maschinenhaft regelmäßige Bewegung: zwei Karminklexe, die aufgetuscht und dann mit dem Wasserende des Pinsels abgetönt wurden; es bedeutete die blutroth gesunden Bäckchen zweier Kinderfiguren.

„Papa, ich habe noch 300 Bäckchen zu malen; ich werde nicht vor elf Uhr fertig. Und ich muß mich noch sehr sputen,“ hatte sie dem Vater bei dessen Rückkunft gemeldet.

„Ich dachte, Du littest an Deinem Kopfschmerz, mein Kind? Du solltest Dich schonen!“

„Ach, dazu ist keine Zeit,“ wich sie aus, stark erröthend. Sie hatte wohl die Schnelligkeit im Erröthen den Karminklexen der Bäckchen abgelernt, die sie ihren Figuren anmalte. Der „Einseitige“ war ja am Nachmittag nur vorgeschützt worden; nun hatte sie die kleine Nothlüge vergessen. „Macht mir außerdem Spaß. Sieh, wie fix es geht, Papa!“ Und sie malte ihm ein halbes Dutzend Rothbäckchen vor.

„Du gutes, liebes Kind!“ Zärtlich hatte seine Hand über das rundliche Köpfchen gestrichen.

Aber in das Wohlgefallen, das er beim Anblicke des Köpfchens empfand, mischte sich ein Schatten von Sorge: was soll werden, wenn er selbst nicht mehr sein wird? Und wäre auch die Sehnsucht nach dieser Adoption nur der Sorge des Vaterherzens entsprungen, dem zarten süßen Geschöpf einen brüderliehen Schutz gegen kommende Unbill zu schenken!

„Nun, was ist, Pa? Gieb her!“ sagte Olga, den Pinsel endlich fortlegend, um nach der Zeitung zu greifen. „Darf ich Dir noch eine Tasse Thee einschenken?“

„Wenn Du die Güte haben willst.“

Eff würde ihr einen vortrefflichen Bruder abgeben … Während er die zierliche Figur neben sich betrachtete, deren Gesichtchen vom weißen Dampf des ausgegossenen Thees umwallt war, mußte er an die imponirende Erscheinung des Generalstäblers denken: welch ein Bild männlicher Kraft! Wohl dem auserwählten Weibe, dem das Los zu Theil wird, von solchen Händen durch das Leben getragen zu werden! Ein fast unmerklicher Seufzer entfuhr ihm – so pflegen Mütter zu seufzen, die ihre Töchter immer wieder aussichtslos vom Balle heimführen. Die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_242.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)