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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

dem bekannten wollüstigen Grauen angeschaut; dann zerstreute sich Alles wieder, ohne einen tiefen Eindruck, ohne eine Lehre für die Zukunft mitzunehmen.

Den schwersten Gang hatte jetzt Anna zu thun – zur Mutter! Sie nahm ihre ganze Fassung zusammen. Die alte Frau stand unter der Hausthür; sie erschrak sichtlich, als sie ihre Tochter erkannte.

„Du hier, Anna? und der Zug, der da unt’n vorbeiganga is? Wen hab’n’s denn bracht, is an Unglück g’scheh’n?“

Jetzt sank Anna an ihre Brust und erhob ihr bleiches, kummervolles Antlitz – wie ein Blitz zuckte es in der Alten auf.

„Den Rupert hab’n s’ bracht, Anna!“ schrie sie, „sag’s nur ’raus, i seh Dir’s ja am G’sicht an!“ Sie wartete ängstlich auf Antwort.

Anna brach wieder in Thränen aus – jetzt wußte sie es ja!

„Das war der Mathias!“ sagte die Mutter.

Bei dieser unverhofften fürchterlichen Anklage fuhr Anna erschrocken auf.

„Der Mathias? Ja wie kommst Du denn auf’n Mathias? Koan Mensch hat no auf den ’dacht!“

Die Alte erschrak jetzt selber über den Verdacht.

„Es hat mir den Namen heraus ’druckt, i woaß net wia,“ sagte sie, „als wenn an Andrer da ’raus g’ruafen hätt’ aus der Brust. Um Gott’swill’n! i will eam ja net Unrecht thuan; er hat halt den Rupert net aussteh’n könna, und eifersüchti war er a! Du woaßt ja, daß er si selb’n Hoffnung g’macht hat auf Di! Deßweg’n – bin i auf sein Nama komma. – Arme Anna! Hab’ die ganze Zeit böse Ahnunga g’habt, scho wia der Rupert um Di ang’halten hat; aber daß’s so schnell über Di ’reibricht, das hab’ i net erwart’, komm!“ sie zog sie zärtlich in die Stube. „Komm! I woaß, wia dös thuat, wia dös frißt am Herz’n, Du arm’s Kind!“

Anna folgte willenlos; sie sank in den nächsten Stuhl und starrte vor sich hin, während die Mutter Trostworte redete und ihr mit der arbeitsharten Hand dann und wann liebkosend über den Scheitel strich. Endlich schwiegen sie Beide und sahen in den Mondschein, der jetzt die kleine Stube erhellte; er glänzte auf der weißgetünchten Wand; er spielte um das bleiche, kummervolle Gesicht Anna’s, um den silbernen Scheitel der Alten; er ließ die rinnenden Thränen der Beiden wie Diamanten blitzen. Der kalte, vielbesungene Mondschein, was kümmert er sich darum! Was weiß er von Freud’ und Leid! Da oben, wo er herkommt, giebt es Beides nicht – dort ist Alles kalt, todt und still. –




4.

Der Untersuchungsrichter, der einige Tage darauf nach S. kam, hatte wenig Glück bei seiner schweren Aufgabe. Wie üblich, stand die ganze Bevölkerung ihm feindlich gegenüber. Die Aussagen gipfelten alle in dem Einen: „I woaß nix!“ und daran scheiterte alle Findigkeit und Schlauheit des Beamten. „I woaß gar nix!“ Dabei wurde der Hut in der Hand gedreht, ein möglichst einfältiges Gesicht gemacht, und wenn der Richter einen Andern vortreten ließ, ging es genau eben so. Solche Untersuchungen sind die Pein der Beamten, welche ohne Kenntniß der Personen und Verhältnisse so zu sagen im Dunkeln tappen. Dieselben müßten der That auf dem Fuße folgen, um einen Erfolg zu haben; eine Pause von drei bis vier Tagen genügt allen Betheiligten und Mitwissenden, sich zu verständigen, ein Gewebe von Lügen und falschen Angaben zu spinnen, in dem auch der Meineid zuweilen nicht fehlt.

Genau so verhielt es sich in diesem Fall. Die meisten Einwohner der Gegend, darunter Leute, welche unmöglich eine Beziehung zur That haben konnten, wurden verhört. Dadurch wurde nicht allein viel Zeit verloren, sondern man gerieth noch auf viele gänzlich falsche Fährten.

Auch Mathias war unter den Vorgeladenen. Er war einmal des Wildfrevels verdächtig und dann an dem verhängnißvollen Abend nicht zu Hause gewesen. Wäre er sofort vernommen worden, so hätte er wohl kaum vermocht, so sicher und ruhig zu sprechen wie jetzt, und ein Alibi nachzuweisen, das ihn sofort von jedem Verdacht befreite.

Der unbekannte Tiroler, von dem Rupert gesprochen, war auch bei dem Untersuchungsrichter zur fixen Idee geworden; der mußte der Thäter sein, und wenn einmal eine vorgefaßte Meinung besteht, ist es schwer, noch auf die Wahrheit zu kommen.

Mathias ging erleichtert von der Untersuchung wieder auf den Arbeitsplatz. Nur das eigenthümliche Wesen David’s quälte ihn; der allein schien einen unbestimmten Verdacht zu haben.

Am Abend nahm ihn David auf die Seite:

„Das hast guat g’macht beim Landgericht,“ sagte er, „hätt’ Dir net so viel Standhaftigkeit zuatraut Deim Benehma nach vor’m todt’n Rupert!“

Mathias war erstarrt über diese offene Rede, die auf mehr als einen bloßen Verdacht hinwies. Er mußte die äußerste Gewalt anwenden, um sich zu beherrschen und bloß erstaunt zu scheinen.

„Du führst ja Red’n, als ob i der Mörder wär’!“ erwiederte er; „i müaßt mir das scho ernstli verbitt’n, David, wenn’s a nur Spaß sei soll!“

„Und es soll koa Spaß sei,“ entgegnete jetzt wild auffahrend David, „es is mir ernst! Du hast’n a umbracht, koan Andrer! und i hab’ was – geg’n das giebt’s koa Läugna!“

Mathias war bei dieser furchtbaren Anklage todtenblaß geworden; dann erfaßte ihn auf einmal unbändige Wuth; wie ein wildes Thier sprang er auf den Kleinen.

„Und was hast denn nacher, heimtückischa Lump? Gieb’s ’raus, wenn’s wahr is! A Lüagna bist, a niederträchtiga! Und Angst willst ma mach’n, das is All’s! sag Dir aber, daß i zum G’richt geh’ und Di anzeig’; nacher zeig’ das her, was D’ haben willst!“

Der Kleine entwand sich dem eisernen Griffe des Mannes und sprang schleunigst weg.

„Geh nur zum G’richt, wenn’st d’ Schneid hast! Bin dann scho da! Mit G’walt richt’st nix aus bei mir! D’ muaßt’s scho anders versuach’n. Denn jetzt g’hörst mei mit Leib und Seel; es nutzt Dir kei Wehren nix!“

Wissen mußte er davon; das war Mathias klar, aber woher? Was sollte das Etwas sein in seiner Hand, das ihn rettungslos überführte? Diese quälende Angst höhlte seine frischen Wangen, unterwühlte seine kräftige Natur. David ließ es auch fernerhin nicht an Stichelreden und versteckten Drohungen fehlen, die Mathias jedesmal wie Dolchstiche trafen.

Die Vergeltung begann schon für die Frevelthat!

*  *  *

Anna war acht Tage zu Hause geblieben bei der Mutter; sie sah aus, als hätte sie eine schwere Krankheit überstanden; dann aber ging sie wieder auf die Alm.

Sie hatte sich ihrem ersten heftigen Schmerz rücksichtslos überlassen, er hatte ihr Innerstes aufgewühlt, wie eine schwere Krankheit; jetzt hatte sie dieselbe überstanden. Die Krisis zum Bessern war eingetreten, die Gesundheit und Frische ihrer Natur gewann wieder die Oberhand; nur ernster war sie geworden, die Freudigkeit der ersten Jugend war hinweggewischt. Sie ging der gewohnten Arbeit auf der Alm ruhig nach wie früher, aber ihr übermüthiges Jauchzen und Jodeln erklang nicht mehr dabei.

Unten im Dorfe hielt man die ganze Sache überhaupt für kein großes Unglück und war schon gespannt, wer jetzt wohl Langbauer werden würde. Es gab ja Viele, die jetzt neue Hoffnung schöpften.

Mathias kam wieder öfters auf die Alm, um irgend einen Mundvorrath zu holen; auch Anna fielen sein verändertes Wesen, seine gebrochene Gestalt auf. An den Verdacht, den die Mutter damals ausgesprochen, dachte sie nicht mehr. Mathias hatte ja bewiesen, daß er zu der fraglichen Zeit anderswo war, und sie mochte überhaupt nicht daran glauben. Sie hatte ja früher, bevor sie Rupert kennen lernte, schon Mathias allen anderen Burschen vorgezogen, und die Erschütterung, die sie bei der Auffindung Rupert’s an ihm bemerkte, mehrte ihre Sympathie für ihn. Die Paar Augenblicke, die er täglich bei Anna zubrachte, waren sein einziges Labsal in den Qualen, die er litt; ihr Anblick hätte ihm ein stummer Vorwurf sein sollen, aber die unbezwingliche Neigung, die er zu dem Mädchen seit lange hegte, die Hauptursache seines Hasses gegen Rupert, loderte nun, da das Hinderniß gefallen, von Neuem gewaltig empor!

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