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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

auf die Alm gekommen, um Anna abzuholen. Sie gingen zusammen über den Schlag hinunter, Rupert ging in den Kobel, scheinbar um sich die Pfeife anzuzünden, die ihm ausgegangen. Alle waren da und eben beschäftigt, ihre Sonntagstoilette zu machen.

„Wohin scho wieda?“ fragte David.

„Mit der Anna zur Muatter,“ erwiederte Rupert, „’s giebt allerhand z’reden jetz!“

„Dös glaub’ i scho, und Ihr dürft’s scho Feiertag mach’n nach der guat’n Wochenarbet!“ sagte lachend David.

Der Jäger glaubte zu bemerken, daß Mathias und David sich einen raschen Blick zuwarfen.

Er hielt sich weiter nicht auf, und kaum waren sie auf dem eigentlichen Fußsteig nach S. angekommen, so nahm er Abschied von Anna. Die wollte ihn ungern ziehen lassen.

„I thät’s scho verantwort’n beim Förster,“ sagte sie; „d’ Muatter hätt’ a rechte Freud, wann i Di mitbrächt! Und off’n g’sagt, seit den letzten Sonntag Abend, wo das G’witter war, is mir immer Angst um Di! I hab kein Ruah. wenn D’ net da bist!“

Sie zog ihn gewaltsam vorwärts, und er schien schon unschlüssig, was er thun sollte, plötzlich aber machte er sich los.

„’s is ja heut das letzt Mal, daß Du allei geh’n muaßt; in a paar Tag kommt mei Entlassung, nacher is ja so aus! Grüaß ma d’ Muatter schö, sie hat ja selb’r g’sagt neuli, i soll nix versäuma, und Ihr könnt’s ja allei all’s ausmach’n!“

Er gab ihr nicht einmal mehr einen Kuß, er fürchtete für seine Standhaftigkeit – mit einem raschen Sprung setzte er vom Weg abseits über die Gräben und war gleich darauf im Dickicht verschwunden.

Anna rief ihm nach: „Aber komm g’wiß vor Nacht auf d’ Alm, sonst sterb i vor Angst!“

„Vor Nacht kimm i, verlaß Di d’rauf!“ tönte es aus dem Walde.

So lange sie die rauschenden Schritte, das Geknack der Aeste noch hörte, blieb sie stehen, dann ging sie, eine unerklärliche Unruhe im Herzen, weiter.

Die Mutter traf sie zu Hause; sie fühlte sich nicht wohl und konnte nicht einmal ins Amt gehen, überhaupt erschien sie Anna in diesen acht Tagen gealtert, die Furchen auf der Stirn schienen noch tiefer gegraben und die matten Augen hatten rothe Ränder wie von vielem Weinen.

„Aber Muatter, was fehlt Dir?“ fragte besorgt Anna.

„Ja, so was geht an uns alte Leut net vorüber, Anna! I hab’ die ganze Woch’n so d’rüber nachdenkt über Euch, und da is mir halt mancher Zweif’l aufg’stieg’n, ob i a Recht hab’ nachz’geb’n! Vielleicht machst D’ mir a mal an Vorwurf d’raus, is Alles scho dag’wesen. Uebrig’ns“ – sie sah sehr erst in das blasse Gesicht Anna’s – „siehst Du a net zum Best’n aus; das is koan Almafarb, Dierndl! Was hat’s denn ’geb’n, wo is denn der Rupert?“

„Ja, das is ja, Muatter, was mi martert! Drauß’n is er im Dienst, und da hab’ i halt a Bis’l Angst. Mei Gott, g’rad wenn der Mensch recht glückli is, fürcht er si vor All’m am meist’n, ’s is einem g’rad, als gunnet man’s eim da oben net!“

„Aber, Anna, was san dös wieder für gottlose Red’n! Das g’fallt mi von Rupert, daß er mein Rath g’folgt und fleißi im Dienst is, das zeigt, daß er a Mannsbild is, der si a bezwing’n kann.“

So trösteten sie sich gegenseitig, eine freudige Stimmung kam aber nicht recht auf. Gegen fünf Uhr verließ Anna das elterliche Haus, sie wollte Rupert nicht versäumen, der vielleicht schon oben auf sie wartete. Sie hatte keine Ruh’; es trieb sie ordentlich fort, und als sie das Dorf im Rücken hatte, schlug sie einen förmlichen Laufschritt ein, daß die ihr Begegnenden erstaunt ihr nachsahen. Oft mußte sie stehen bleiben, um Athem zu schöpfen; ihr Gesicht war in Schweiß gebadet, die Zöpfe hatten sich unter dem Hut gelöst und hingen herab. Die Sonne war schon hinter den Bergen verschwunden, breite kühle Schatten deckten das Thal; sie war nicht mehr weit von der Stelle, wo sie von Rupert sich getrennt. Jetzt ging’s nicht mehr; sie fühlte arges Seitenstechen und mußte sich auf einen Stein niedersetzen; es war ja auch noch Zeit, denn vor Dunkelwerden kam Rupert sicher nicht auf die Alm.

„Wie ung’schickt bist do, Anna,“ sann sie vor sich hin, „aus laut’r Einbildung so z’laf’n! D’ Lungasucht könnt ma sich hol’n; der Rupert wird lach’n, wenn i eam das verzähl’.“

Sie lachte selbst bei diesem Gedanken.

Da fiel ihr ein, daß sie ja nicht mehr weit vom Kobel der Arbeiter sei, da konnte sie ja rasten und hätte doch eine Ansprach’, die sie beruhigen könnte. Sie erhob sich und eilte weiter.

Plötzlich grollte es an der Bergwand zur Rechten, dann zog’s durch die Thalschlucht und grollte weiter sich langsam verlierend.

Sie blieb stehen und lauschte mit offenem Munde, das Herz schlug ihr bis an den Hals – stürzte ein Baum oder war’s ein Schuß? Aber heut is Sonntag, da wird ja net g’arbeit. Jetzt prasselte es wieder gegen die Wand – das war ein Schuß! – kein Zweifel – das Erste war auch einer gewesen. Sie hätte aufschreien mögen, so kam jetzt die Angst über sie.

„Sollte der Rupert – und warum denn nicht? Er kann ja ein Wild geschossen hab’n, dazu ist er ja da – und wo sind die Schüsse überhaupt gefallen? Vielleicht in einem andern Revier.“

Diese Gedanken zogen alle in einem Moment durch ihr Gehirn. Sie raste jetzt den Berg hinauf; die Arbeiter oben wußten vielleicht Bescheid. Sie achtete nicht das Gestrüpp, das ihr Kleid in Fetzen riß; von einer dunkeln Ahnung getrieben, eilte sie durch dick und dünn, den nächsten Weg auf den Kobel zu. Sie riß die Thür auf, der dunkle Raum schien leer, der Herd war kalt.

„Wer is?“ rief plötzlich eine verschlafene Stimme, aus dem Heulager im Hintergrund, und die Gestalt des alten Toni erhob sich.

„I bin’s, d’ Anna!“ keuchte sie förmlich hervor, „war der Rupert net da heut’ Namittag?“

„Na!“

„Hast d’ Schüss’ net g’hört vor a paar Minut’n?“

Na, i hab g’schlaf’n, werd’n halt auf an Rehbock ganga sei!“

Anna war verzweifelt ob dieser kurzen Antworten.

„Und wo is der Mathias?“ fragte sie plötzlich, den Raum vergebens nach ihm durchmusternd.

„Seit der Fruah is er furt, zu seim Bas’l hat er g’sagt! Aber was hast denn Du?“ fragte er jetzt. als er näher getreten, ihr glühendes Gesicht, ihre ganz erschöpfte Gestalt betrachtet hatte. „Wo kommst denn her in dem Zuastand?“

Anna gab ihm keine Antwort mehr, sie eilte von Neuem der Höhe zu. Dort allein konnte sie Näheres erfahren und am Ende war er schon oben.

„Wo nur der Mathias sei muaß – der B’such zu der Bas’l kommt a Bis’l zu oft,“ dachte sie, „sollt’ do der Rupert Recht hab’n? –“

Sie stolperte nur so dahin über die tiefen Löcher, die das Vieh getreten, über die Steine, die am Boden lagen.

Es dunkelte bereits. Als sie einige hundert Schritte vor der Hütte angekommen, schrie sie laut „Rupert“ – keine Antwort – in einer Minute war sie vor der Thür.

„War der Rupert da?“ schrie sie den Gaisbuben an, der ihren Ruf gehört.

„Hab’ nix g’seh’n.“

„Hast d’ Schüss’ g’hört vor einer halb’n Stund?“

„Die hab i g’hört, gegen d’ graue Wand zua, moanet i, daß g’wes’n is!“

Also auch hier war er nicht, und schon brach die Nacht herein; ein Unglück war geschehen! Blitzartig kam ihr die feste Ueberzeugung davon; der eine Schuß hatte ihm gegolten, dem Geliebten! Die Kniee wankten ihr vor Entsetzen bei diesem Gedanken. Jetzt kam ihr der heilige Sebastian in Gedanken, der Körper mit den blutenden Wunden, das bleiche Gesicht, das sie vor acht Tagen so entsetzt – wenn er auch so blutig wo läge – hilflos! Das Grauen packte sie. Sie eilte in das Stübchen. entzündete am ganzen Körper bebend, das Licht. Dann ging sie wieder hinaus und starrte in das Dunkel, horchte athemlos, ob nicht Schritte sich näherten, darauf lief sie gegen den Bergabhang hin und schrie was aus der Kehle ging: „Rupert! – Rupert!“ Aber – pert! – pert! – hallte es höhnisch von der Wand gegenüber; sonst Schweigen der Nacht, nur ein leises Lüftchen bewegte rauschend die Wipfel der Bäume.

Jetzt eilte sie hinein. warf ein Tuch um, zündete eine kleine Laterne an und eilte über die Almfläche dahin.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_126.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)