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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

selbstverständlich spreche ich Dir die Kourmacher nicht ab; Du bist eine zu süße kleine Person – aber Du hattest so ganz und gar keinen anderweitigen klingenden Vorzug, daß sie Alle nur Kourmacher blieben. Und da auf einmal stand Dein Doktor vor Dir mit einem wirklichen Heirathsantrag – Du hattest nie an ihn gedacht, Du kanntest ihn kaum! Und nun fielen sie Alle über Dich her: das große Glück! Ein armes Mädchen, so einen netten braven Mann zu bekommen! … bis Du selbst glaubtest, der Himmel habe das ganze Füllhorn seiner Gnade über Dich ausgeschüttet, und Dir einbildetest, Du liebtest ihn bis zum Sterben.“

Lucie saß starr dabei. Sie dachte an den Augenblick, da ihr ältester zehnjähriger Neffe wie toll die Treppe hinauf gesprungen und in ihr Stübchen gestürzt war: „Tante Lucie, Du hast einen Bräutigam gekriegt! Du sollst rasch hinunterkommen!“ – Und wie sie mit wankenden Schritten die Treppe hinabgegangen, an deren Fuß Mathilde sie erwartet, mit Thränen sie in die Arme genommen und ihr zugeflüstert hatte: „Ach Lucie, welch großes Glück!“ – Sie sah sich vor ihm stehen und hörte seine ruhigen, freundlichen Worte, und dann waren sie plötzlich Alle im Zimmer, und der Schwager hatte ihr die Schulter geklopft: „Du Wetterhexe, da hast Du einmal etwas Rechtes fertig gebracht. Habt Ihr Euch schon einen Kuß gegeben? Na, nur vorwärts, zur Zeit schmeckt’s gut und süß!“ Da hatten sie sich geküßt, und sie war roth geworden, und die Erwachsenen hatten gelacht und die Kinder gejubelt und die Dienstboten gratulirt.

Aber Keiner hatte sie gefragt: „Liebst Du ihn denn? Willst Du ihn?“

Sie hatte es auch nicht vermißt. Sie hatte ein ruhiges, stilles Gefühl der Sicherheit in seiner Nähe, ein schüchternes Bewußtsein von Wichtigkeit und Würde. War das Liebe gewesen? Sie wand die Hände in einander und wußte kein Wort zu sagen.

„Und nun,“ redete die junge Frau weiter, nachdem sie das Flakon an die feine Nase gebracht und den scharfen Duft eingezogen hatte, „nun bist Du hier, und nun fängt’s bereits in Deinem Kopfe an zu dämmern, daß denn doch vielleicht ein klein wenig mehr zu einem Bunde für das Leben gehört, als etwas Achtung, als – als –“

„Hör’ auf!“ bat das Mädchen.

„Nein!“ erklärte Hortense und begann in dem halbdunklen Raume hin und wieder zu schreiten. „Nein, ich höre nicht auf! Tausend Mädchen sind auf diese Weise verheirathet und tausend sind ganz zufrieden damit, die Meisten merken es auch erst lange nach der Hochzeit, wie schrecklich gleichgültig sie sich doch eigentlich von jeher gewesen sind, aber Du, Du bist eine viel zu ideale Natur, Lucie! Du wirst es schwerlich aushalten, in dem kleinen Hause zu sitzen, die Last der Wirthschaft zu tragen, ein halbes Dutzend Kinder zu haben und zu erziehen, alle Sorge, Krankheit und Noth, die das unbarmherzige Leben dem Weibe aufbürdet, für einen Mann zu ertragen, den Du nicht liebst!“

Lucie schwieg, sie hielt die Hand über die Augen, sie stöhnte wie Jemand, der arge körperliche Schmerzen leidet, und in ihrem Herzen schrie es auf, zustimmend und angstvoll. Sie konnte nicht leben neben ihm, so unbeachtet, so fremd, so kalt und baar jeder innerlichen Gemeinschaft.

Hortense schritt noch immer auf und ab. Nun kam sie herüber und kniete vor dem Mädchen nieder.

„Habe ich Dir wehgethan? Vergieb mir! Ach, ich kenne ja leider die Schwächen der Menschen zu gut!“

Ein paar große Tropfen rollten über des Mädchens Wangen.

„Lucie, weine nicht, ich habe Dich lieb. Du bist das Einzige, was ich auf der Welt lieb habe, wenn Du kommst, dann ist’s wie Sonnenschein in meinem Herzen. Und als ehrliches Menschenkind, das die Erfahrung voraus hat, mußte ich offen sprechen, nicht wahr? Sieh, Du kamst hier an, rosig wie eine Apfelblüthe, und Du solltest Dich jetzt sehen! Du hast einen Zug um den Mund, als wärst Du um Jahre gealtert.“

„Ich fühle mich grenzenlos unglücklich bei seiner Mutter,“ flüsterte das Mädchen endlich, „sie hat eine Abneigung gegen mich von der ersten Minute an gehabt, es wird aber anders werden, wenn ich –“

Hortense stand auf und blickte mitleidig zu ihr hinunter.

„Nein, Hortense, nein,“ schrie Lucie, „verlange das nicht! Ich darf nicht!“

„Aber, liebes Herz, ich will Dich doch nicht von ihm reißen!“ Sie hockte wieder neben ihr. „Nur das Eine laß Dir sagen in diesem Augenblick. Was Du auch beschließen magst, in jeder Lebenslage, in jeder Noth rechne auf mich, wo ich bin, hast Du auch Platz; vergiß das nicht!“

Sie erhob sich dann, zog von dem entferntesten Fenster den Vorhang zurück und setzte sich still mit einem Buche nieder, das Mädchen seinen Gedanken überlassend.

„Apropos,“ sagte sie nach einer Pause, „wie ist’s denn mit der Reise? Großpapa war ganz glücklich über diesen Gedanken.“

„Ich – es ist mir nicht möglich, Hortense.“

„Dann bleiben wir hier,“ tönte es freundlich gelassen zurück.

„Nein, nicht meinetwegen. Reise, reise, ich bitte Dich darum!“

„Ohne Dich ist es mir kein Genuß!“

Nun war es Lucie, die aufsprang und zu Hortense herüber kam. „Wenn ich Dich nicht hätte!“ schluchzte sie leidenschaftlich, „wenn Du nicht wärst – verlasse Du mich nicht!“

Den Rest des Nachmittags saß sie neben Hortense, diese las vor, aber wenn sie aufblickte, kehrten Luciens Augen aus irgend einem Winkel zurück, in den sie starr und abwesend hineingeblickt hatte.

„Aber, Luz!“

„Ich höre ja, Hortense,“ sagte sie. die junge Frau anlächelnd, und ergriff ihre Hand. „Lies weiter!“ – Mitten in einem Satze sprang sie auf: „Adieu, ich muß fort!“

„Wohin?“

„In das neue Haus – lebe wohl!“

Sie warf einen ängstlichen Blick auf die schwarze Marmoruhr und setzte mit zitternden Händen ihr Hütchen auf.

„Ach Gott, ich hatte es ganz vergessen, er wartet.“

Hortense sah ihr ruhig zu. „Ich bitte Dich, Kind, wenn er nun wirklich ein paar Minuten wartet?“

Aber Lucie eilte schon den Korridor hinab, und als Hortense ins Zimmer zurückkehrte, verschwand das lichte schlichte Sommerkleid des Mädchens eben in der dunklen Wölbung des Thorweges.




Doktor Adler war inzwischen zur verabredeten Zeit seinem neuen Eigenthum zugeschritten. Es lag im Mittelpunkt der Stadt hinter einer mäßig hohen Mauer, die, anstatt der Hauswand, die Straßenfront bildete, und umgeben von einem kleinen Garten, der hier wie eine Oase zwischen den Häusern und Straßen grünte. Irgend ein alter konservativer Bürger hatte sich, auch zur Zeit als die Eisenbahn eine kurze Bauepoche in das Städtchen brachte, trotz des annehmbaren Preises für Baustellen, nicht dazu entschließen können, seinen Garten zu verkaufen; nun war er kürzlich gestorben. Die Gründerzeit hatte hier eben so plötzlich ihr Ende erreicht, wie draußen in der großen Welt, und Doktor Adler war es nicht allzu schwer geworden, das Grundstückchen zu erstehen.

In der Mauer war die enge kleine Pforte verschwunden, und ein neues Flügelthor aus Eisenguß gewährte einen Blick auf Haus und Garten. Er stand einen Moment und sah durch das Gitter, als sei er ein Fremder. Noch lag Schutt und Gestein, Lehm und Kalk vom Bau umher, aber die Wände des Häuschens leuchteten schmuck und weiß aus grünem Laub hervor, und die Fenster blinkten ihm hell und traulich entgegen. Langsam öffnete er die Pforte und ging den Mittelweg hinauf, überall sich umschauend, als suche er etwas und freue sich auf etwas.

Die Hausthür, die von der Giebelseite ins Innere führte, war geschlossen. Er zog, immer sich umschauend, den Schlüssel aus der Tasche und trat ein, seine Schritte hallten in dem leeren Flur. Und wieder blieb er sinnend stehen und ein herzgewinnendes freundliches Lächeln flog über sein Gesicht; dort drüben, durch die offene Thür, blinkte ihm ein weißer Kachelherd entgegen, und darüber leuchtete in gothischer Schrift der alte traute Spruch: „Ein eig’ner Herd ist Goldes werth“. – Er kam näher, lehnte sich in den Rahmen der Küchenthür und blickte schier andächtig in dem kleinen Raume umher. Dann wandte er sich und ging in ein mittelgroßes Zimmer neben der Küche: das sollte das Eßzimmer werden. In der Mitte würde ein großer runder Tisch

stehen. Zwei kleinere Räume, die hatte er für sich ausersehen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_087.jpg&oldid=- (Version vom 7.11.2023)