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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Blätter und Blüthen.


Die Heilsarmee läßt wieder von sich hören. Ihr General Booth ist von seiner amerikanischen Rundreise nach London zurückgekehrt, und diese Rückkehr ist in Exeterhall festlich begangen worden. Ein Zug von 4000 bis 5000 Mann holte den General von der Eisenbahnstation ab und marschirte durch London unter ungeheurem Zudrang des Volkes. In Exeterhall wurden Hymnen gesungen und der mit der üblichen stürmischen Begeisterung begrüßte General stattete Bericht ab über seine amerikanische Reise: er erzählte, er habe 15000 Meilen durchstreift und in 200 Versammlungen gesprochen.

Diese Heilsarmee ist eine der merkwürdigsten Ausgeburten der englischen Sektirerei: auf ihrem Programm steht in erster Linie eine lärmende Frömmigkeit, welche gerade durch diesen Lärm, den sie auf den Straßen und in den Blättern macht, immer neue Anhänger zu werben sucht. Begründet wurde die Armee von William Booth, jetzt General Booth, einem früheren Methodistenprediger. Im Jahre 1865 hielt er in den östlichen Armenvierteln Londons eine Reihe von Missionspredigten zur Rettung des Seelenheils der Armen, deren trostlose Lage durch den Schnapsgenuß noch verschlimmert wird; er gründete einen Ostlondoner christlichen Wiederbelebungsverein, der später den Namen „Christliche Mission“ führte, doch es wurde in den Ausschußsitzungen zu viel debattirt, und Booth kam auf den Gedanken, eine militärische Disciplin einzuführen. Er verwandelte die Mission in eine Armee, deren Oberbefehlshaber er selbst war: diese Armee von bekehrten Männern und Weibern soll alle Menschen veranlassen, den Ansprüchen Gottes an ihre Liebe und Verehrung gerecht zu werden, die Sklaven der Sünde befreien und in Kinder Gottes verwandeln. Alles in dieser Armee ist militärisch organisirt und benannt: es giebt einen General, einen Generalstab, ein Hauptquartier, Kasernen, Fahnen, Soldaten, Kanonaden, schweres Geschütz, Bombardements, Exercirübungen. „Blut und Feuer“ ist die Losung: das Blut der Erlösung und das Feuer des heiligen Geistes im Kampfe gegen den Teufel. Die Uniform besteht aus einer dunkelblauen, höchst einfachen, mit rothen Schnüren eingefaßten Jacke, deren Kragen auf jeder Seite ein S trägt („Salvation“, Erlösung); unter der Jacke tragen die meisten noch ein rothes Garibaldihemd. Die weibliche Uniform besteht aus sehr einfachen Hüten und Kleidern. Die Armee besitzt eine Schulungskaserne, aus der die Kadetten als Probelieutenants hervorgehen; die Lieutenants und Kapitäne leiten die Processionen und Versammlungen; es giebt auch weibliche Officiere. Die Frau des Generals erfreut sich des größten Ansehens bei der Armee, und eine seiner Töchter leitete die Operationen in Paris und in der Schweiz. Die Officiere haben wöchentliche Berichte an das Hauptquartier in London einzusenden, die im Hauptblatte des Vereins, „Das Kriegsgeschrei“, zum Abdruck kommen; sie berichten darin besonders über die Städte, die sie „erobert“ haben, und diese Mittheilungen sind in lauter Wendungen militärischer Berichterstattung abgefaßt.

Wo die Heilsarmee einrückt oder einen Umzug veranstaltet, da macht sie einen wahren Höllenspektakel: je mehr Lärm, desto mehr Erfolg; Frau Generalin Booth hat sich dahin geäußert, daß dies Alles nothwendige Reklame sei, die eine so gute Sache so wenig entbehren könne wie manche schlechte: daher blutrothe Plakate und Fahnen, lärmende Musik bei den Märschen, der Gesang frommer christlicher Lieder, die oft in ganz burschikosen Versen abgefaßt sind und nach Melodien aus Operetten und Tingeltangels gesungen werden. Die an der Spitze schreitenden Kapitäne machen oft die verrücktesten Gebärden. Diese Umzüge mit dem Skandal, den sie mit sich bringen, reizen den Spott der Gassenjugend, welche die Heiligen oft mit Koth bewirft, oder die Unbekehrten mißhandeln die Bekehrten auf offener Straße; ja es hat sich eine ganze Armee, die sogenannte „Skelettarmee“, gebildet, welche auf ihren Fahnen Todtengerippe, an schweren Knütteln, welche gelegentlich den „Seligmachern“ sich sehr unliebsam erweisen, farbige Tücher trägt und mit Zinnpfeifen, zerfetzten Trommeln und Eisentöpfen, die mit Steinchen gefüllt sind, einen tollen Lärm macht; in jeder Hinsicht sucht diese Armee die Heilsarmee zu überbieten; auch im Geheul von Liedern will sie dieselbe übertäuben: natürlich kommt es zu gelegentlichen Zusammenstößen, wobei die Skelettmänner, da sie keine christliche Milde zu üben brauchen, in der Regel den Sieg davontragen.

In den Erlösungsversammlungen fehlt es ebenfalls nicht an Gesang und Musik. Blasinstrumente und Trommeln werden von Tambourins begleitet, die von den sogenannten Hallelujahmädchen gespielt werden, die dann auch das Geld auf Tellern einsammeln; es wird gepredigt, die Rekruten melden sich; die Bekehrten erzählen von den Wundern des Glaubens; in den Zwischenpausen ergeht man sich in unheiliger Plauderei. Dann giebt es auch Versammlungen der Heiligen selbst, die ohne diesen ganzen Hokuspokus stattfinden und einen ernsten geistlichen Charakter tragen.

Es würde unbegreiflich scheinen, daß diese „Heilsarmee“, die in ihren äußeren Formen eine Karikatur des religiösen Lebens darstellt, einen so außerordentlichen Erfolg erringen konnte, wenn man nicht des gesunden Kerns gedenkt, der allen diesen Verzerrungen zu Grunde liegt: der Kampf gegen den Alkohol und das Laster in jeder Art ist gewiß ein berechtigter und wird außerdem in den verrufensten Stadtvierteln der großen Städte geführt, inmitten einer Bevölkerung, welche nie von einem Strahle geistigen und religiösen Lichts berührt wird. Der Lebenswandel, zu dem sich viele Hunderttausende bekehren, steht in schroffem Widerspruche mit den Wegen, die sie früher gewandelt sind; die Kleidung muß schmucklos sein, das Rauchen und der Genuß geistiger Getränke ist aufs Strengste verboten, eben so das Spielen von Glücksspielen, das Lügen und Fluchen, jeder Betrug im Geschäftsleben, jede unreine Handlung, jeder unreine Gedanke.

Damit mag man sich den großen Zuwachs der Heilsarmee von Jahr zu Jahr erklären. Nach dem letzten Jahresbericht zählt dieselbe gegenwärtig 1786 Korps mit 4192 Offizieren, während sie im vorigen Jahre nur 1322 Korps und 3076 Offiziere zählte. In der ersten Woche des Jahres 1886 wurden 25496 Versammlnngen abgehalten, in der letzten Woche 29733, während des ganzen Jahres 1435980. Die Einnahme betrug im Ganzen 73430 Pfund Sterling. Immer andere Länder sucht die Heilsarmee in ihr Netz zu ziehen; in Amerika hat General Booth jetzt große Eroberungen gemacht. Doch in der Schweiz und in Deutschland stößt der Siegeszug der Erlöser auf unüberwindliche Hindernisse. †     

Besuch beim Verurtheilten. (Mit Illustration Seite 72 und 73.) Die Hände faltend, in tiefer Zerknirschung, sitzt der Unglückliche, über den das Urtheil gesprochen worden, im einsamen Kerker. Sein ganzes Leben zieht an seiner Seele vorüber, ein Leben, glücklich und fleckenlos, bis zu der einen unseligen That, die ihn auf einmal in einen Abgrund des Elends stürzte. Tiefe Reue hat ihn erfaßt; die Einsicht in das Unabwendbare drückt ihn zu Boden. Da hat der alte Schließer die Thür zu seiner Zelle geöffnet: Weib und Kind besuchen ihn in seiner Haft; er wendet ihnen keinen Blick zu. Mitleidsvoll unter Thränen steht die Gattin neben ihm; sie macht ihm keine Vorwürfe; sie beklagt nur ein Schicksal, das auch auf ihr selbst, auf ihrem Kinde lastet. Und dies Kind, dem es unheimlich zu Muthe ist in den düstern Räumen, klammert sich ans Kleid der Mutter fest. Das Ganze ist ein Bild, wie es oft genug das Leben bietet. Die Gerechtigkeit muß den Schuldigen verdammen; aber die Liebe bleibt ihm treu. †     

Ein Asyl für Frauenarbeit in Griechenland. In seinen lebendigen Reiseskizzen aus Griechenland „Griechische Frühlingstage“, in denen Volkssitten und Leben der Gegenwart mit großer Anschaulichkeit geschildert sind, ohne daß die geschichtlichen Streiflichter fehlen, berichtet Eduard Engel über eine nachahmenswerthe Pflege der Frauenarbeit in Athen, ein großes Atelier, in welchem die Frauen thätig und wirksam sind, ohne mit den Schattenseiten des Fabrikwesens in Berührung zu kommen. Es ist dies ein kunstgewerbliches Institut, welches den Namen „Ergastirion“ führt. Die ganze Verwaltung desselben liegt in weiblichen Händen.

„Wenn von irgend einer Seite der Ueberfluthung Griechenlands durch die häßlichen Moden Europas und den Fabrikplunder Einhalt gethan werden kann, dann geschieht das durch das Ergastirion in Athen. Hier werden auf Handwebestühlen die schönen Seidenstoffe gewoben, die an Dauerhaftigkeit es mit den besten französischen Stoffen aufnehmen. Der Seidentüll, mit Goldfäden durchsetzt, der hier immer durch Handarbeit hergestellt wird, findet an Feinheit kaum irgendwo seines Gleichen. Kopftücher, Schleier, Brautkleider, die duftigsten Gewebe, von denen wirklich mehrere Meter in einer Nuß Platz fänden, wie von jenen Märchengeweben, werden hier auf Bestellung oder auf Lager angefertigt, in hohen hellen Arbeitssälen, bei weitoffenen Fenstern, nicht unter der Fuchtel eines Fabrikaufsehers, sondern unter Aufsicht und Lehre mütterlicher Freundinnen. Kein Tagelohn, sondern Stücklohn – und da die Verwaltung für ihre schönen Waaren hohe Preise fordert und erhält, so kann sie auch die Arbeiterinnen reichlich lohnen. Für den Unterricht wird nichts bezahlt. Gegenwärtig liefert das Ergastirion Seidenstoffe aller Art, farbige, weiße, goldgestickte Baumwollstoffe zu Kleidern, sehr originelle orientalische Muster, und handgewebte Sachen wie alle Erzeugnisse des Hauses, wollene Teppiche jeder Größe nach den schönsten Mustern uralter bäuerlicher Hausweberei; Stickereien in Seide, Silber und Gold; Spitzen aus Zwirn oder Seide gleichfalls je nach Wunsch mit Silber und Gold durchwirkt – endlich farbige Wäsche.“

Wir nannten dies Institut nachahmenswerth und gewiß mit Recht. Einmal hat es eine nationale Bedeutung und erklärt der Pariser Mode, allem fremdländischen Geschmack den Krieg. Kein Modemagazin der Welthauptstadt vermag solche Goldstickereien auf Seide, Sammet, Gazegrund zu liefern, wie sie auf Euböa, in Epiros und auf manchen Inseln des ägeischen Meeres mit so sicherem, durch Jahrhunderte lange Uebung gefestigtem Geschmack angefertigt werden. Doch wie in Griechenland, so würde sich auch in Deutschland die einheimische Industrie in vielen Branchen vom Pariser Geschmack freimachen können.

Noch wichtiger aber ist die harmonische Gestaltung der weiblichen Arbeit, die in den Fabriken mit mancherlei Mißständen zu kämpfen hat. †     

Unser Briefpapier. Unübersehbar sind die Stadien der Verfeinerung und Vervollkommnung, welche das Papier von ersten Anfängen bis auf den heutigen Tag durchgemacht hat; besonders gilt dies von den Papieren, auf welchen wir unsere Privatkorrespondenz besorgen. Noch vor 20 oder 25 Jahren war der Luxus auf diesem Gebiet ein unbekanntes Ding. Wer sich einer besonders eleganten Papiersorte bedienen wollte, der wählte das aus der englischen Stadt Bath stammende Papier, welches oben in der Ecke links den Hochdruckstempel „Bath“ trug.

In den sechziger Jahren begann man in Wien – von dort ging der Anstoß zur Verfeinerung der Papiere aus – diesen Stempel durch verschlungene Buchstaben, „Monogramme“, zu ersetzen, die zunächst farblos und unansehnlich waren, mit der Zeit aber an Ausdehnung gewannen, so daß sie zuletzt sich über die ganze Höhe des Blattes ausdehnten. Auf das Monogramm folgten geprägte Darstellungen der verschiedensten Art, für alle Lebensverhältnisse und Situationen passend. Den Beginn machten Veilchen, Nachtschatten, Alpenrosen, Edelweiß; dann kam das Schwalbenpapier in die Mode, das Papier mit den aufgedruckten Sinnsprüchen; sogar ein Notenpapier, welches links oben Liederanfänge trug, tauchte auf.

Der Erfindung war ein unbegrenztes Feld eröffnet; der Sportfreund, der Reiter, der Jäger, der Ruderer, der Schöngeist, der Gelehrte, Alle fanden Briefpapiere mit entsprechenden Sinnbildern. Nicht minder verschieden wären die Formate, die nun entstanden: winzig kleine Blättchen wechselten mit Großoktav ab; dann war das Format langgeschnitten oder gar dreieckig; dieselbe Mannigfaltigkeit stellte sich bei der Wahl der Farbe heraus,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_083.jpg&oldid=- (Version vom 3.2.2023)