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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Professionswallfahrerinnen.
Originalzeichnung von Mathias Schmid.


Uebrigens brauchen nicht einmal außerordentliche Unglücksfälle einzutreten, der Tod bringt schon gar Manches mit sich, wovon wir in der Ebene keine Ahnung haben. Die Paznauner Chronik merkt es daher wie einen wohltätigen Fortschritt und eine ungemeine Erleichterung an, daß Galthür seit 1383 einen eigenen Geistlichen erhielt und man von dieser Zeit an nicht mehr die im Winter Verstorbenen im Hause behalten und gefrieren lassen mußte, um sie erst im Längetes (Lenz, Frühjahr) nach dem Pfarrorte Steinsberg im Unterengadin zu bringen. Man kann sich denken, welche herzzerreißende Scenen da vorkommen mußten; denn auch der Bergbewohner hat ein Gemüth, und es ist in der Regel sogar weniger abgestumpft als das unserige. Mathias Schmid hat uns eine solche Scene geschildert. Der Tod hat eine Braut in der Jugendblüthe hinweggerafft. Dem Bräutigam hätte schon darüber das Herz brechen mögen; aber ihm ist es nicht einmal, wie Anderen, gegönnt, daß die Zeit den Schmerz heilt. Jeder Tag wühlt ihn aufs Neue auf; denn diejenige, welche er heimführen wollte, ist zwar noch im Elternhause; aber entseelt und zu Eis gefroren liegt ihr Körper dort oben auf dem Boden, an dem er täglich, ja stündlich vorbeikommt, den er stets vor Augen haben muß; und in der Einsamkeit des Winters bohrt sich der Schmerz immer tiefer in sein wundes Herz. Doch endlich schmilzt der Schnee unter dem warmen Strahl der Frühlingssonne – auf ihn aber, auf sein Herz

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_032.jpg&oldid=- (Version vom 16.1.2023)