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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


wie sie später bei einer bloßen Abschrift nicht mehr vorgekommen wären. Lassen wir ferner einem Manne das Wort, der selbst dabei gewesen, als das Lied zum ersten Male verlesen und gesungen wurde.

Bekanntlich war es der verstorbene Professor der Theologie K. Hundeshagen in Bonn, der zuerst den Namen des Dichters nannte sowie über die Entstehungsgeschichte der „Wacht am Rhein“ nähere Einzelheiten veröffentlichte. Es geschah dies durch die „Köln. Zeitung“ im August des Jahres 1870. Der betreffende Aufsatz steht mir gegenwärtig nur noch in der Form zur Verfügung, wie ihn J. C. Lion seinem Buche „Kleine Schriften über Turnen von A. Spieß, nebst Beiträgen zu seiner Lebensgeschichte“[1] einverleibt hat. Er trägt den Titel „Wie die Wacht am Rhein zum ersten Male gesungen ward“. U. a. sagt Hundeshagen darin:

„Die Entstehung des Liedes fällt in die Monate Januar und Februar 1840[2], die Zeit, als die französische Regierung, den kriegslustigen Thiers an der Spitze, um den Pascha von Aegypten, Mehemed Ali, wider die zum Schutze der hart bedrängten Pforte ins Mittel getretene Quadrupel-Allianz der Großmächte zu unterstützen, einen europäischen Krieg in Aussicht stellte, welcher ausgesprochenermaßen Frankreich zugleich die durch die letzten Friedensschlüsse verloren gegangene Rheingrenze wieder verschaffen sollte.

Aus der damaligen Begeisterung der Deutschen für den Schutz des bedrohten vaterländischen Bodens, aus welcher unter Anderem das berühmte Rheinlied von N. Becker: ‚Sie sollen ihn nicht haben‘ hervorging, entsprang auch das Lied Max Schneckenburger’s: ‚Die Wacht am Rhein‘. Ich selbst habe um jene Zeit das Lied in Gegenwart des Dichters in einem Kreise von Freunden zu Burgdorf im Kanton Bern unter stürmischem Beifall verlesen und, wenn auch noch nicht künstlerisch in Musik gesetzt, singen hören.

Es hatte sich nämlich in dieser regsamen Schweizerstadt, um jene Zeit zugleich ein Mittelpunkt der Bewegung des Kantons Bern, seit dem Anfange der dreißiger Jahre auch eine ziemlich zahlreiche Kolonie von Deutschen gesammelt, theils den geschäftlichen Kreisen, theils dem Lehrerstande angehörig. Ein Theil derselben bildete, zusammengehalten durch lebendiges deutsches Nationalgefühl und gemeinsame Anschauungen in Sachen des Vaterlandes, einen auch in geselliger Hinsicht unter sich verbundenen Kreis, welcher sich besonders im Winter Samstag Abends zu einem Glase Wein in dem ‚Stadthause‘ zu versammeln pflegte, dem sich aber auch gern einzelne der besten Männer aus der schweizerischen Einwohnerschaft der Stadt anschlossen. Die Seele dieses Vereins war mein leider längst verstorbener unvergeßlicher hessischer Landsmann und Universitätsfreund von Gießen und Halle her, Adolf Spieß von Offenbach, damals Lehrer an der Stadtschule in Burgdorf, nachmals in der pädagogischen Welt so berühmt geworden durch seine zahlreichen und eingreifenden Schriften über das Turnwesen und als Begründer der Musterturnanstalt in Darmstadt, ein Mann voll Geist, Feuer und Leben. Außerdem gehörten zu diesem Kreise zwei Lützow’sche Jäger, die Pädagogen Langenthal aus Erfurt und Middendorf aus Unna in Westfalen, bereits ältere Männer, welche durch ihre Mittheilungen aus den Befreiungskriegen der Unterhaltung patriotischen Nahrungsstoff zuführten und namentlich oft auf Spieß eine zündende Wirkung ausübten …

In diesen Kreis trat nach seiner Uebersiedelung auch Max Schneckenburger ein, und bald bildete sich zwischen ihm und Spieß ein warmes Freundschaftsverhältniß, welches für beide Männer reiche Früchte trug. Durch Spieß wurde mir häufig Nachricht über die fortgehenden wissenschaftlichen Beschäftigungen des Freundes zu Theil, der damals zugleich anfing, in einige politische Zeitschriften Beiträge zu liefern; außerdem waren gelegentliche Besuche in Burgdorf zum ‚Samstag‘ mir eine erquickende Erholung.

Es läßt sich denken, welch lebhafte Bewegung in diesem kleinen Kreise die Thiers’sche Kriegsdrohung hervorrief. Wiederholt hatte zwischen Spieß und mir schon ein Gedanken- und Gefühlsaustausch über dieselbe stattgefunden. Da schrieb mir der Freund plötzlich: „Komm doch zum nächsten Samstage unfehlbar zu uns nach Burgdorf; Max Schneckenburger hat ein herrliches Lied gedichtet ‚Die Wacht am Rhein‘.“ Ich ermangelte nicht, der Einladung zu folgen und war kaum angelangt, als Spieß mit gewohntem Ungestüme an mich heranstürmte und das Lied vorlas, welches jetzt in Aller Munde ist. Am Abend aber wurde die Vorlesung im Stadthause in Gegenwart des Dichters selbst wiederholt und diesem für seine schöne Schöpfung der wärmste Dank von Seiten aller Anwesenden dargebracht. Spieß aber, der zwar kein Komponist war, aber ein trefflicher Sänger und gewaltiger Gesangsfreund, auch auf dem Klaviere leidlich Bescheid wußte, setzte sich an das Instrument und intonirte mit seiner mächtigen Koncertstimme nach irgend einer von ihm improvisirten Melodie das Lied des Freundes unter einer von ihm eben so improvisirten Klavierbegleitung. Wir Uebrigen hörten zuerst andächtig zu, fielen aber schon vom zweiten oder dritten Verse an in den schönen Refrain mit ein ‚Lieb Vaterland, magst ruhig sein, fest steht und treu die Wacht am Rhein.‘ Von dieser getrosten, durch die großen Ereignisse der letzten Tage so wunderbar bestätigten Ueberzeugung erfüllt, gingen wir aus einander. Seit jenem Abende sind dreißig Jahre verflossen. Die wenigsten von den Samstagsgenossen, welche damals das Lied zum ersten Male hörten und mit sangen, sind noch am Leben. –

Erst der unvergessene Refrain führte mich auf eine sichere Spur, und die Nachricht von der Mendel’schen Komposition mit ihrem M. Sch. machte

schließlich aller meiner Ungewißheit ein Ende. So macht es mir nicht


  1. Rud. Lion, Hof, Grau u. Komp., 1872.
  2. Nachweislich entstand das Gedicht Ende November 1840, die wiederkehrenden Schlußzeilen wurden am 8. December desselben Jahres hinzugefügt. Anmerkung der „Köln. Zeitung“, siehe obiges Buch.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_018.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)