Seite:Die Gartenlaube (1886) 919.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


„Da haben Sie sich aber sehr verändert!“ brach Wehlau in seiner derben Weise los; doch Hans fiel rasch ein:

„Nicht doch, Papa! Sieh den Freiherrn nur genau an! Du findest die Züge wieder. Das Bild soll in Freskomalerei ausgeführt werden, Herr Baron; es wird voraussichtlich so lange bestehen wie das Rathhaus selbst – mindestens einige hundert Jahre.“

„Einige hundert Jahre!“ lispelte Eberstein wie verklärt. „Freilich, das Wappen wird Niemand kennen.“

Hans trat dicht an seine Seite.

„Man kennt es leider bereits. Die schlimme Presse – Sie wissen ja, ich theile Ihre Abneigung dagegen – hat sich schon der Sache bemächtigt und bringt den vollen Namen. Ein Artikel in dem ersten Blatte unserer neuen Reichshauptstadt – Sie gestatten wohl, daß ich Ihnen den Schluß vorlese.“

Er zog eine Zeitung hervor, dieselbe, welche damals die Kritik über Sankt Michael gebracht hatte, und las:

„‚Nach dieser ausführlichen Besprechung wollen wir unseren Lesern auch die Mittheilung nicht vorenthalten, daß die Hauptgestalt des Bildes, der Ritter mit dem prächtigen, vielbewunderten Charakterkopfe‘ – hier steht es schwarz auf weiß, Herr Baron, mit dem prächtigen vielbewunderten Charakterkopfe – ‚ein nur wenig idealisirtes Portrait ist und zwar das Portrait des Freiherrn Udo von Eberstein-Ortenau, auf Ebersburg, des letzten Sprossen eines einst weitberühmten Geschlechtes, das seinen Stammbaum bis in das zehnte Jahrhundert zurückführt; auch das Wappen der Eberstein ist auf dem Bilde verewigt.‘ – Ich kann wahrhaftig nicht dafür – ein paar harmlose Aeußerungen, die ich zu Bekannten that – wünschen Sie, daß der Artikel dementirt wird? Sonst macht er die Runde durch alle Zeitungen Deutschlands.“

„Nein, mein junger Freund,“ sagte Eberstein würdevoll. „Ich erlasse Ihnen das Dementi; ich finde überhaupt, daß die Presse in diesem Falle weder indiskret noch voreilig gehandelt hat. Sie erfüllt nur eine Ehrenpflicht, wenn sie Thatsachen, die dem Gedächtniß der Mitlebenden leider entschwunden sind, wieder zur Geltung bringt; sie hat sich wirklich höchst verständig benommen. Lassen Sie den Artikel die Runde machen, durch alle Zeitungen Deutschlands!“

„Der Junge hat ja ein wahrhaft haarsträubendes Talent zur Intrigue!“ murmelte Professor Wehlau. „Jetzt hat er den Alten an der Angel.“

Hans drehte mit gutgespielter Verlegenheit die Zeitung in der Hand.

„Ja, Herr Baron – es ist aber noch ein Schlußsatz da, und den müssen Sie doch auch hören – darf ich ihn lesen?“

„Lesen Sie!“ sagte Eberstein feierlich und wohlwollend, und Hans las:

„‚Und nun zum Schluß noch eine Mittheilung, die besonders unsere Leserinnen interessiren wird. Es ist dem jungen Künstler wohl Herzenssache gewesen, als er dem Ritter mit dem Eberwappen gerade diese Züge lieh, da er im Begriff steht, sich mit der einzigen Tochter des genannten Freiherrn zu verehelichen‘ –“

„Halt – das lassen Sie nicht abdrucken – das dementiren Sie!“ rief der alte Herr erschrocken; aber Hans drückte ihm ohne Umstände die Zeitung in die Hand und zog hinter dem Bilde etwas hervor, das sich bei näherer Betrachtung als Fräulein Gerlinde von Eberstein erwies. Da stand es, das kleine Dornröschen, nicht mehr so ganz kindlich wie vor zwei Jahren, aber in seiner ganzen Lieblichkeit, und hob bittend Augen und Hände zu dem Vater empor.

„O Papa, sei doch nicht so grausam – ich habe meinen Hans so lieb!“

„Habe ich es nicht gesagt, da stecken sie wieder beisammen!“ rief der Professor vortretend. „Herr von Eberstein, es wird uns wohl nichts Anderes übrig bleiben, als Ja zu sagen. Mein Hans setzt doch seinen Willen durch, das sehen Sie nun wohl, und das zarte kleine Ding, Ihre Tochter, ist im Stande, sich über die Trennung zu Tode zu grämen. Dann ist sie hin, und Sie sitzen allein da mit Ihrem ganz reinen Stammbaum.“

„Das wäre schrecklich!“ sagte Eberstein mit einem entsetzten Blick auf sein einziges Kind.

„Also – machen wir die Geschichte ab!“ Damit umfaßte Wehlau die junge Dame und gab ihr einen väterlichen Kuß; für ihn war die Sache damit wirklich abgemacht.

Der alte Freiherr wußte nicht, wie ihm geschah; er wurde im vollsten Sinne des Wortes überrumpelt. Urplötzlich hatte er Tochter und Schwiegersohn in den Armen; Gerlinde schluchzte an seiner Brust, und Hans umarmte herzhaft seinen „lieben Schwiegervater“. Ein Widerstand war gar nicht möglich; es blieb wirklich nichts weiter übrig, als die Beiden an sich zu drücken, und das geschah denn auch. Udo von Eberstein willigte ein. Der künftige Sohn wahrte trotz alledem die Erinnerung an das alte Geschlecht, wenn auch mit Pinsel und Palette. –

In den letzten Tagen des Juli fand in der Wallfahrtskirche zu Sankt Michael eine Trauung statt, eine äußerlich stille und ernste Feier: die Vermählung des Hauptmanns Michael Rodenberg mit der Gräfin Hertha Steinrück. Da Michael protestantisch war, wie sein Großvater und seine Mutter, so hatte die evangelische Trauung bereits in Schloß Steinrück stattgefunden. Jetzt sollte in Gegenwart eines kleinen Familienkreises, unter welchem sich auch das junge glückstrahlende Brautpaar Hans und Gerlinde befand, der greise Pfarrer des kleinen Alpendorfes auch vor dem Altar seiner Kirche die Hände der Beiden in einander legen, nach ihrem ausdrücklichen Wunsche.

Die Adlerwand stand noch umschleiert vom Morgenduft, der sich jetzt zu lichten begann und sich als weißer Wolkenschleier zu ihren Füßen legte: da hallte der Glockenklang des alten Gotteshauses weit hinaus in die Berge, und auf Michael und sein junges Weib, die jetzt vereint waren für das Leben, blickte das Altarbild nieder, der mächtige, kriegerische Erzengel mit den Adlerflügeln und den Flammenaugen, der siegreiche Heerführer des Himmels – Sankt Michael!


Blätter und Blüthen.

Frauenleben in Konstantinopel. Der geistreiche italienische Schriftsteller Edmondo de Amicis hat eine lebendige Schilderung der türkischen Hauptstadt veröffentlicht und ein Kapitel auch den Frauen gewidmet, welche ja von den türkischen Dichtern als „Herzenseroberinnen“, „Mannaquellen“, „kleine Rosenblätter“, „frühreife Trauben“, „strahlende Monde“, „Lebenserweckerinnen“, überhaupt in einer Fülle von Bildern gepriesen werden, wie sie die reiche Phantasie des Orients liebt. Amicis findet die Beschränkungen, welche den Frauen auferlegt sind, in Konstantinopel nicht so übertrieben groß: zwar müssen sie verschleiert gehen, aber man befolgt die Vorschriften des Koran, ohne es gerade zu genau damit zu nehmen: je schöner und jünger die Türkin, desto luftiger und durchsichtiger der Schleier. Gleichwohl ist das Haremsleben traurig und langweilig, und das Bild, welches der italienische Reisende von ihm entwirft, würde für die Frauen des Abendlandes wenig Verlockendes haben. Auf Polstern oder Teppichen mit ihren Sklavinnen sitzend, säumen die Damen von Konstantinopel zahlreiche Taschentücher zum Geschenk für ihre Freundinnen, sticken Schlafkappen oder Tabaksbeutel für Gatten, Väter, Brüder, lassen die Perlen des türkischen Rosenkranzes durch ihre Finger gleiten, zählen bis zur höchsten Zahl, die sie kennen, folgen mit dem Auge den Schiffen, die auf dem Bosporus oder dem Marmorameer dahinsegeln, beschwören Phantasiebilder des Reichthums, der Liebe und Freiheit herauf, indem sie gedankenlos den bläulichen Rauchkreisen ihrer Cigarrette folgen. Sind sie der Cigarrette überdrüssig, rauchen sie einen Tschibuk; dann schlürfen sie eine Tasse aromatischen Kaffee, naschen Obst und Süßigkeiten, brauchen eine halbe Stunde, um ein Glas Gelée zu leeren, genießen durch Nergilehs parfümirtes Rosenwasser, saugen ein wenig Mastix, um den Geschmack des Rauchens zu dämpfen, und trinken Limonade, um den des Mastix los zu werden. Sie machen Toilette, kleiden sich wiederholt um, probiren alle Gewänder ihres Schrankes an, versuchen verschiedene Schminken, Schönpflästerchen, stellen ein Dutzend große und kleine Spiegel so zusammen, daß sie sich selbst von allen Seiten betrachten können, bis sie sich nicht mehr sehen mögen. Stundenlang sitzen die gelangweilten Damen an den vergitterten Fenstern, zählen die vorübergehenden Leute und Hunde, lehren den Papagei ein neues Wort, oder sie schaukeln sich im Garten, verrichten ihre Gebete, strecken sich auf dem Divan aus, um Karten zu spielen – müdes Lachen, lautes Gähnen – so ist das Leben in den Harems. †     

Meyer’s Konversations-Lexikon. Wenn von der neuen Auflage eines Werkes fast ein Drittheil des Ganzen der Oeffentlichkeit übergeben ist, so besitzt die Kritik genügende Vorlage zu einem begründeten Urtheil. Schon die dritte Auflage dieses Konversationslexikons wurde von der „Gartenlaube“ als das Werk redlichen deutschen Fleißes anerkannt. Es waren derselben Vorbereitungen und redaktionelle Einrichtungen zu Gute gekommen, welche ihr wesentliche Vorzüge vor ihren drei Vorgängern sicherten; denn zu diesen muß auch das von Joseph Meyer, dem Gründer des Bibliographischen Instituts, im August 1839 begonnene und am 28. März 1855 mit seinem „Schlußwort“ beendete „große Konversations-Lexikon für die gebildeten Stände“ gezählt werden, welches, ursprünglich auf 21 Bände berechnet, aus 52 durchschnittlich je 80 Druckbogen starke Bände sich ausdehnte. Aus diesem Werke ging das „neue Konversations-Lexikon“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 919. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_919.jpg&oldid=- (Version vom 27.10.2023)