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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Die Bastille.

Von Rudolf von Gottschall.
I.

Es war die erste That der französischen Revolution, daß sie die Bastille fortfegte, an welche sich so viele unheimliche Erinnerungen der Willkürherrschaft französischer Könige und Minister knüpften: es war eine That, welche in ganz Europa jene Sympathien erweckte, die nur zu bald durch das blutige Regiment der Schreckensmänner wieder verscherzt wurden. Die Republik des Präsidenten Grévy will die Bastille wieder aufbauen, vielleicht um ein Dekorationsstück zu haben für die großartige Erinnerungsfeier, die man dem Jahre 1789, dem Beginn der französischen Revolution, zu widmen gedenkt. Dies hätte wohl auch der junge Prinz Ludwig gethan, wenn ihn ein freundliches Geschick auf den Thron seines Vaters zurückgerufen hätte: denn er haßte die Julisäule, welche jetzt den Bastilleplatz schmückt, und er hätte mit ihr so kurzen Proceß gemacht, wie Maler Courbet mit der Vendômesäule, die ja in den Tagen der Kommune mit der ganzen Chronik des Napoleonischen Kaiserthums zu Boden geworfen wurde.

Die alte Bastille hatte viel zu erzählen, und was sie zu erzählen hatte, das hat seiner Zeit ein unfreiwilliger Gast, der eine Zeit lang in ihren düstern Räumen weilte, gewissenhaft aufgezeichnet: Linguet in seinen „Denkwürdigkeiten der Bastille“, die neuerdings in deutscher Uebersetzung erschienen sind.[1] Linguet war am 14. Juli 1736 zu Rheims geboren; er hatte sich nach Beendigung seiner Studien auf den verschiedensten Gebieten versucht, war Sekretär des Pfalzgrafen von Zweibrücken, Adjutant des Prinzen de Beauvau, Seifenfabrikant in Lyon, dramatischer Dichter, Historiker, juristischer Schriftsteller, Verfasser philosophischer Werke geworden, und dann erst hatte er eine dauernde Stellung gefunden als Advokat in Paris. Anfangs hatte er wenig Glück; es gelang ihm nicht einmal, den Chevalier de la Barre durch seine Vertheidigung zu retten, und dieser hatte doch kein anderes Vergehen begangen, als bei der Begegnung mit einer Kapuzinerprocession nicht den Hut abzunehmen: dafür wurde er trotz aller Anstrengungen Linguet’s zur Enthauptung und nachherigen Verbrennung verurtheilt. Und das begab sich im Frankreich Rousseau’s und Voltaire’s, im Jahre 1766. Später aber gewann Linguet eine Menge von Processen, die viel von sich sprechen machten; ja, er behauptete, von hundert nur zehn verloren zu haben. Er war ein vorzüglicher Sachwalter, der eben so viel Witz wie Beredtsamkeit besaß und einen besonderen Eifer darin zeigte, Mohren weiß zu waschen. Hatte er doch auch in seinen geschichtlichen Werken nicht nur eine Lanze für die Jesuiten gebrochen, sondern auch den römischen Kaiser Tiberius vertheidigt, ja ihn mit Trajan in eine Linie gestellt: ein Vorläufer der neuen Geschichtsschreiber, welche die Ehrenrettung des Tyrannen von Capri unternommen haben. Auf der anderen Seite beliebte es ihm, Dinge anzugreifen, die gar nicht der Vertheidigung zu bedürfen schienen, weil ihr Werth ein allgemein anerkannter ist. So gehörte zu den Sündenböcken Linguet’s das Brot, das er für ein gefährliches und äußerst schädliches Nahrungsmittel erklärte, dessen erste Grundlage die Fäulniß ist und das wir durch ein Gift schwächen müssen, um es weniger gesundheitsgefährlich zu machen. Diese Neigung, Alles auf den Kopf zu stellen, und das Talent, die absonderlichsten Ansichten zu vertheidigen, war für seine Thätigkeit als Advokat gewiß ausnehmend förderlich, wurde ihm aber doch später verhängnißvoll. Durch sein herausforderndes Benehmen hatte er sich einflußreiche Feinde gemacht: die Folge davon war, daß er im Jahre 1775 als Advokat durch Parlamentsbeschluß kassirt wurde. Er ging nach London und gab dort seine „Annalen“ heraus, welche durch die Vermessenheit ihrer Angriffe, durch die einschneidende Schärfe ihrer Darstellung das größte Aufsehen erregten. Doch auch in England war seines Bleibens nicht; er hatte über englische Gesetzgebung und Sitten einige beißende Bemerkungen gemacht und suchte deßhalb auf dem Festlande wieder irgend eine Stelle, wo er sein Nomadenzelt aufschlagen konnte; bald war er in Brüssel, bald in Genf; oft erschien er auch besuchsweise in Paris. Dort wurde er im Jahre 1780 auf offener Straße verhaftet und in die Bastille geführt, in welcher er zwanzig Monate in Haft blieb. Nach seiner Freilassung schrieb er die Denkwürdigkeiten über die Bastille, durch welche in ganz Frankreich der Haß gegen diese Zwingfeste des alten Despotismus wachgerufen wurde und die es erklärlich machen, daß der erste Ansturm der Freiheitsbewegung sich gegen dieselbe richtete. Diese Denkwürdigkeiten wurden in seinen „Annalen“ veröffentlicht. In der Bastille selbst hatte er seinen guten Humor nicht verloren. Eines Tages trat in seine Zelle eine Person, die er vorher noch nicht gesehen hatte.

„Wer sind Sie?“ fragte Linguet.

„Ich bin der Barbier der Bastille.“

„Wetter, da hätten Sie dieselbe längst rasiren sollen.“

War Linguet wegen des revolutionären Geistes, der in den „Annalen“ herrschte, von den Beamten der Monarchie verhaftet worden, so fiel ihm, nachdem die Revolution zum Ausbruch gekommen, das gleiche Los zu seitens der republikanischen Machthaber, denen der Vertheidiger des Tiberius und der Jesuiten ein Dorn im Auge war, möchte er immerhin früher ein Märtyrer seiner dem Königthum und den herrschenden Gesellschaftskreisen, feindseligen Gesinnung gewesen sein. Linguet lebte auf einem Dorfe bei Paris, zurückgezogen vom öffentlichen Leben, nachdem er mehrmals in den Versammlungen der Freiheitsmänner ohne sonderliches Glück aufgetreten war. Hier wurde er auf einen Befehl des Sicherheitsausschusses im Jahre 1794 verhaftet, weil er sich zum Vertheidiger des Königs angeboten, den Tyrannen von Wien und London Weihrauch gestreut und besonders „das Brot“ verleumdet hatte. Vergebens versuchte er sich zu vertheidigen; man ließ ihn gar nicht zu Worte kommen; er konnte nicht in eigener Sache sein glänzendes Talent als Advokat bewähren. „Dies sind nicht Richter,“ sagte er, „das sind Tiger!“ Sein Kopf fiel im Juni 1794 unter der Guillotine, einen Monat vorher, ehe der allmächtige Robespierre den Gang zum Schafott antreten mußte.

Wir haben uns, als wir in denselben Blättern die Gefangenschaft Ludwig’s XVII. schilderten, ebenfalls mit einem alten Pariser Bauwerk, dem Temple, beschäftigt, das, wie die Bastille, jetzt vom Erdboden verschwunden ist. Ueber die letztere Zwingburg haben wir indeß noch genauere Nachrichten und können uns nach denselben leicht ihren Plan entwerfen, ihr Bild vor die Phantasie führen. Es war ein achtthürmiger Bau; die beiden ersten Thürme, der Schatzthurm und der Kapellenthurm, waren unter Karl V. errichtet worden; das geschah im Jahre 1370. Zwischen ihnen hindurch ging der Weg, der aus dem Faubourg Saint Antoine in die Stadt führte. Um das Jahr 1383 ließ Karl VI. die übrigen Thürme erbauen, verband sie unter sich durch eine Mauer von neun Fuß Stärke und umgab das Ganze mit einem fünfundzwanzig Fuß tiefen Graben. Im 16. Jahrhundert wurden noch einige Befestigungen neuerer Art hinzugefügt. Der Eingang in die Bastille befand sich am äußersten Ende der Straße Saint Antoine. Ueber dem ersten Thore lag ein Magazin mit Waffen; in dem ersten äußeren Hof, in den man durch dies Thor gelangte, hatten die Invaliden ihre Kasernen, der Gouverneur seine Ställe und Remisen. Ueber eine Zugbrücke, durch ein anderes Thor kam man in den zweiten Hof, wo sich die Wohnung des Gouverneurs und die Küchen befanden. Durch eine Baumallee erhielt dieser Hof ein etwas freundlicheres Ansehen. Dagegen lag der große Innenhof von hohen düsteren Thürmen und Mauern umgeben; er war 200 Fuß lang und 72 Fuß breit. Im Hintergrunde desselben war ein großes Gebäude von Ludwig XV. für die Stabsofficiere errichtet worden, das einen ganz modernen Anstrich hatte. Bevorzugte Gefangene wurden bisweilen hier untergebracht, ebenso mußte dies Haus bei Ueberfüllung der Bastille Gefangene jeder Art in sich aufnehmen. Der Rathssaal und die Bibliothek befanden sich in diesem Zwischenbau, welcher den größeren Hof von einem kleineren schied, der eine Art von wirthschaftlichem Hinterhof bildete und für die Abfälle der Küche und die Geflügelzucht benutzt wurde.

Auf den Spaziergang im großen Innenhofe waren alle Gefangenen angewiesen: früher durften sie auf den Bastionen

  1. Linguet’s „Denkwürdigkeiten über die Bastille“. Mit umfassenden Ergänzungen und Betrachtungen deutsch herausgegeben von Robert Nabi, Leipzig, Philipp Reclam (Universalbibliothek 2121–2125).
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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 875. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_875.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2023)