Seite:Die Gartenlaube (1886) 874.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Wie wäre es,“ meint dieser, „wenn Sie mich bis dahin nach irgend einem Keller begleiteten?“

„Wie können Sie daran denken!“ ruft Oskar. „Ihre Tochter wird mich verachten – und ich soll mich zerstreuen! Sie wird ja nicht begreifen, daß ich die Sache nicht von Anfang an durchschaute! Vom ersten Abend an hätte ich ja darauf kommen müssen, daß Miß Dunby mich für einen Andern hielt!“

„Nicht für einen Bessern in meiner Schätzung, mein verehrter junger Freund! Die Sache war so listig von Ihrem Vetter ersonnen … Sie malen auch; wir sind hier fremd; es kam Alles zusammen!“

„Er soll mir’s büßen! Deßhalb sollte ich Ihnen auch verschweigen, daß ich in Amerika gewesen bin …“

„Sie waren drüben?“

„Jahrelang.“

Dunby schüttelte ihm herzlich die Hand. „Gehen Sie mit mir wieder zurück. Geben Sie Acht – Sie bringen’s in Amerika mit ein Bischen Nachhilfe gerade so weit auf einem andern Felde, wie Ihr Vetter hier zu Lande! … (Armer Mensch, wie ihn das mitnimmt! denkt er, wenn er in das gramgebeugte Gesicht Oskar’s blickt, der wie in großer Angst die Hände manchmal in einander preßt.) Wissen Sie, diese Geschichte muß Ihr Vetter meinen Damen selbst erzählen. Offen gestanden, ich getraue mich kaum. Wenn Sie mich nicht hinauswerfen, denke ich, es ist am besten, wir bleiben zusammen, bis der Maler kommt.“

Oskar drückt ihm stillschweigend die Hand.

„Netter Mensch sonst, so durchtrieben er ist, dieser Maler,“ sagt Dunby, der es für seine Pflicht hält, von Zeit zu Zeit eine Bemerkung zu machen. „Soll mich wundern, wie er sich anstellen wird, wenn er sieht, was aus dem Scherz geworden ist.“

Natürlich erfährt Oskar auch durch Dunby, was man gestern beim amerikanischen Konsul erzählte. Was ihn allein interessirt, ist Luciens Auffassung von der Sache.

Die drei Stunden sind noch nicht abgelaufen, als der Maler hereinstürzt – der echte diesmal.

„Was hab’ ich – ach, was hab’ ich da angerichtet!“ ruft er schuldbewußt, als er seinen Vetter sieht, und will auf ihn zu. Dieser stößt ihn heftig von sich:

„Du hast nicht allein Gram, Du hast Schande auf mich gehäuft! Du hast mich zu einem Betrüger gemacht!“

„Du armer, lieber Junge!“ ruft Paul in seinem alten herzlichen Ton, „alle Schuld trifft ja nur mich! Ich sagte es Ihnen ja neulich schon,“ fuhr er, zu dem Amerikaner gewendet, fort, „was für lose Bursche unter uns Malern stecken – da haben Sie einen vor sich! Häufen Sie all Ihren Zorn auf mich, wenn Sie welchen haben! Dieser da ist der edelste, beste und klügste Mensch unter der Sonne! Es versteht sich, daß ich zu jeder Satisfaktion bereit bin, obgleich ich nicht leugnen kann, daß es mir sehr unangenehm wäre, todtgeschossen oder -gestochen zu werden! Ein kleines blondes Mädchen würde die Sache nicht leicht nehmen!“

Der Amerikaner läßt sich nicht lange bitten, seine Rechte in die von Paul zu legen, der sie herzlich schüttelt.

„Die Sache ist nur die,“ sagt Dunby, „es muß ja doch heraus, daß meine Tochter und der vermeintliche Maler dort unter der Zeit gut Freund geworden sind … Frauen, sehen Sie, da kann Einer alt werden und lernt sie nicht aus – und so kann ich eben nicht dafür stehen, wie meine Tochter die Sache auffassen wird, wenn sie von dem Irrthum erfährt.“

„Mein lieber Mister Dunby,“ entgegnet Paul, diesmal ziemlich ernst, „für eine richtige Frau kann man allemal einstehen – die hängt am Mann und nicht am Namen. Wenn Ihre Tochter meinen Vetter liebt, der zehnmal mehr werth ist als ich, so wird sie ihn weiter lieb haben. Hat sie sich aber nur in einen Malpinsel verschossen, so lassen wir sie laufen – dann ist sie meines Oskar’s gar nicht Werth, und er muß froh sein, daß er sie wieder los wird! Aber wir wollen nichts Uebles von ihr reden, eh’ wir sie gefragt haben. Wo steckt sie denn?“

Also entschied Paul in seiner freimüthigen Art, und nun bemächtigte er sich, trotz allen Widerstrebens, einer von Oskar’s Händen, die er mit einer Innigkeit drückte, als ob’s der Mietze Hand wäre. Nein, noch etwas mehr, denn der Mietze kleine Patschhand hätte das gar nicht ausgehalten.

„Und jetzt zu Ihrer Tochter! Nur nicht den Kopf hängen lassen, eh’s nothwendig ist, mein lieber, alter Junge! – Sie stellen mich doch Ihren Damen vor, Mister Dunby?“ sagt er, diesen unter den Arm fassend. –

Mutter und Tochter sind Beide im Zimmer, als der Amerikaner mit Paul eintritt.

„Da … hier, das ist der echte Schaumlöffel … welcher –“ beginnt Dunby etwas stockend.

„Erlauben Sie, daß ich mich selbst einführe,“ unterbricht Paul, auf Lucie zugehend, die ihm, trotz der Mietze, gleich sehr gut gefällt – „nicht als der echte, denn wenn in einem der beiden Schaumlöffel etwas Unechtes steckt, dann wahrlich eher in mir, als in dem andern! – Mein Fräulein, als ich neulich in meinem Atelier die Bekanntschaft Ihres Herrn Vaters machte, da hatte der Gedanke an ein liebes und schönes Mädchen, mit dem Sie zweifellos bald Freundschaft schließen werden, mich etwas toll gemacht. Die Liebe wirkt auf Künstler mitunter noch berauschender als auf andere Menschen. Als Ihr Herr Vater mir damals anvertraute, seine Tochter wünsche Unterricht bei mir zu nehmen, da erschrak ich – ich kannte Sie ja nicht! … Eine schlimme Idee kam mir plötzlich, meinen Vetter, der ja auch Studien auf der Akademie gemacht hat, an meine Stelle zu schieben … Wenn ich damit meines Vetters Lebensglück – der Sie liebt, wie ein echter, tüchtiger Mann eine Frau nur zu lieben vermag, vernichtet habe – so giebt’s, trotz meiner Braut, auch für mich keine Lebensfreude mehr. Denn dann wird ein loser Streich, den ich verübt, zur schweren Schuld. Wenn aber, was Gott fügen möge, für meinen Oskar Glück daraus erblüht …“ er faßt nach Luciens Hand, seine Stimme klingt bewegt.

„Nun, Lucie – was willst Du thun?“ fragt der Vater.

„Ich – ich möchte Oskar glücklich machen … aber er wird ja gar nicht glauben, daß ich’s kann …“ flüstert sie ganz leise mit gesenkten Augen.

Aber sie hat die Worte noch kaum zu Ende gesprochen, als Paul sie ans Herz zieht und zum Erstaunen der Eltern lange und herzhaft küßt. Er ist in dem Augenblick so selig, daß er Jemand umarmen muß.

Möglich, daß er sogar die alte Dunby geküßt, wenn sie ihn, am nächsten gestanden Hütte; was freilich nun unentschieden bleibt.

Der hat den gewissen Lirum Larum – das ist ein echter Maler!“ ruft Mrs. Dunby ihrem Gatten zu. „Na, mich hat man ja auch nicht hinters Licht geführt!“

Es versteht sich, daß Paul nun keine Ruhe läßt, bis man zu Oskar ins Atelier fährt. Er hatte vorgeschlagen, mit Lucie voran zu eilen, falls die Eltern nicht bereit wären, denn seine „Kousine“ könne man ihm schon anvertrauen. Aber die Eltern waren bereit.

*  *  *

Oskar’s Glück kann sich Jeder selbst ausmalen, und so bleibt nur Eins noch zu erwähnen. Paul hat nämlich, als er Luciens Mappe durchsah, wirkliches Talent fürs Malen bei ihr zu entdecken gemeint. Und Paul ist hier durchaus nicht leicht zu bestechen. Eine Amerikanerin aber giebt ohnedies – trotz glücklicher Liebe – nicht so leicht auf, was sie sich einmal in den Kopf gesetzt hat, und Lucie ist darum auch fest entschlossen, wieder einmal den Beweis zu liefern: daß eine Frau einen Mann glücklich machen könne, auch wenn sie nebenbei noch etwas Tüchtiges lernt. Wie sie den Beweis durchführen wird, darüber kann freilich erst die Zukunft entscheiden. Jedenfalls wird man nach Paul’s Dafürhalten – der sie ein Jahr lang in München unterrichten will, wo sie mit den Eltern bis zur Hochzeit bleibt – in einem, spätestens anderthalb Jahren, schon etwas von ihren Arbeiten im Münchener Kunstverein zu sehen bekommen.

Es wäre indiskret, ihren wahren Namen zu verrathen, aber da die Charaktereigenthümlichkeit des Menschen sich stets in seiner geistigen Arbeit zu erkennen giebt, so ist es ja nicht unmöglich, daß einer oder der andere Leser das intelligente Wesen aus ihren Arbeiten erräth und sich auch darum für ihre Bilder interessirt.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 874. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_874.jpg&oldid=- (Version vom 9.6.2023)