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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


Der Spion.

Eine Skizze aus dem österreichischen Küstenlande.
Von Heinrich Noé.

Ich übergebe in Nachstehendem der Oeffentlichkeit eine Skizze, welche nach den Auszeichnungen meines Tagebuches bearbeitet worden ist. Ich führte dieses Tagebuch, wie immer, auch während einer mehrwöchigen Fahrt in jenen österreichischen Gewässern, deren nördlichste Inseln noch bis weit über die Hälfte dieses Jahrhunderts hinaus zum deutschen Bunde gehörten.

Die Reisegesellschaft näherte sich der istrischen Küste. Kein Baum, kein Strauch erhob sich auf den Abhängen der felsigen Bucht. In Ermangelung von Blumen waren die steilen Felswände, gegen welche das tiefblaue Meer schlug, so vielfarbig, wie es nur irgendwo Blumenkelche sein können. Roth, gelb, bläulich, weiß, senkten sie sich in die Fluth hinein, von deren Wellen sie mit Schaum benetzt wurden. Im Hintergründe der Bucht waren zwischen mächtigen Felsblöcken einige Häuser zu sehen, vor welchen sich Leute herumtrieben.

Der Spion.
Nach einer Momentphotographie von Alois Beer.

Der Kapitän, welcher sich emsig nach allen Seiten hin umschaute, ohne daß Einer aus der Gesellschaft zu enträthseln vermochte, aus welchem Grunde, theilte uns mit, daß es räthlich sei, sich hier ein paar Stunden aufzuhalten, weil man möglicherweise etwas ganz Außerordentliches zu sehen bekommen werde. Auf weitere Fragen beschränkte er sich, lächelnd zu antworten, daß er die Ueberraschung nicht verderben wolle.

Niemand von uns hatte eine Ahnung, was das zu bedeuten habe. Die Maschine stoppte, und auf die Einladung des Kapitäns begab sich die Gesellschaft im Boote ans Land.

Während ein Theil derselben eine nahegelegene Schenke aufsuchte, schlenderten andere, darunter auch ich, am Strande umher und schauten sich die dort versammelten Leute an, von denen manche wahre Schreckensgestalten zu nennen waren. Indessen wußten die Reisenden bereits aus Erfahrnng, daß es mit den Sitten und dem Benehmen dieser Männer viel besser bestellt sei, als mit ihrem Aussehen. Es waren durchgängig zuvorkommende und höfliche Menschen. Gerne hätte man mit ihnen ein Gespräch angeknüpft, aber es befanden sich nur zwei oder drei in der Gesellschaft, welche der Landessprache mächtig waren. Zu diesen gehörte Oberst Reinhold, welcher seiner Zeit in Dalmatien stationirt war. An ihn trat Einer der Leute, welchen seine Genossen Luka nannten, heran und fragte ihn bescheiden, ob derselbe seiner Zeit nicht ein dalmatinisches Regiment kommandirt habe.

Als der Oberst bejahend nickte, sagte Luka, daß er unter dem Herrn Oberst gedient und von demselben niemals eine Strafe erhalten habe.

Der Oberst belobte ihn und fragte, was er dermalen treibe.

„Ich bin Spion,“ entgegnete Luka.

Allgemeines Gelächter der Gesellschaft begleitete diese Auskunft.

„Ein schönes Handwerk für einen ehemaligen Soldaten,“ bemerkte der Oberst gleichfalls lächelnd. „Indessen,“ fuhr er zu uns gewendet fort, „ist die Sache nicht so schlimm, wie sie ausschaut. Ich weiß, was er sagen will. Von wo lugst Du denn aus, Luka?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 861. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_861.jpg&oldid=- (Version vom 6.3.2023)