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auszustrecken. Ueber diese Zumuthung wird Raoul mit Ihnen rechten; ich möchte Ihnen nur zu bedenken geben, daß ein solcher Preis denn doch zu hoch steht für einen – Rodenberg!“

„Mir steht nichts zu hoch, was sich überhaupt erringen läßt, und Hertha’s Liebe habe ich errungen,“ sagte Michael kalt. „Sie hat sich einem Familienbeschluß gefügt, der über ihre Hand entschied, als sie noch ein Kind war, und kann das übereilte Jawort nicht mit dem Unglück eines ganzen Lebens büßen. Von dem Grafen Raoul ist schwerlich ein Widerstand zu erwarten! In jedem Falle hat er das Recht verloren, um seine einstige Braut zu kämpfen.“

„Was heißt das? Was meinen Sie damit?“ fuhr der General auf.

„Danach bitte ich den Grafen selbst zu fragen. Da Eure Excellenz, wie ich sehe, noch keine Ahnung von der Sache haben, so widerstrebt es mir, den Angeber zu machen.“

„Ich will aber keine halben Worte und Andeutungen! Ich will wissen, um was es sich handelt. Wovon sprechen Sie?“

„Von dem Verhältuiß des Grafen zu Heloise von Nérac.“

Steinrück zuckte zusammen. Das also war die Gefahr, die er dunkel geahnt hatte, ohne sie zu kennen!

„Heloise von Nérac?“ wiederholte er halblaut.

„Die Schwester des Herrn von Clermont! Ich habe diese Kenntniß nicht gesucht. Mein Ehrenwort darauf! Nur der Zufall hat sie mir gegeben. Hertha fordert von dem Grafen nur ein Wort zurück, das er längst schon gebrochen hat, und ich müßte mich sehr täuschen, wenn ihm die Auflösung seiner Verlobung nicht erwünscht wäre. Es war wohl nur die Furcht vor dem Einspruche des Großvaters, welche ihn abhielt, sie selbst zu lösen.“

Es folgte eine Pause. Der Schlag kam so jäh und unerwartet, daß der General einige Sekunden brauchte, um sich zu fassen. Man sah es doch, wie schwer ihn diese Enthüllung traf.

„Ich werde Raoul zur Rede stellen,“ sagte er endlich. „Giebt er die Thatsache zu, so hat Hertha allerdings das Recht, zurückzutreten; Ihnen aber giebt das keine Hoffnung, denn ich kann und werde es nicht gestatten, daß mein Mündel –“

„Einem Rodenberg folgt!“ ergänzte Michael herb. „Ich weiß das, Excellenz, aber ich muß Sie daran erinnern, daß Ihre vvrmundschaftliche Gewalt in wenig Monaten zu Ende ist.“

Steinrück trat dicht an ihn heran. Jetzt blitzten seine Augen wieder in dem alten Feuer, und seine Stimme klang in dem gewohnten Gebietertone: „Die Gewalt des Vormundes, ja! Aber dann tritt die Gewalt des Familienhauptes in ihre Rechte, und der wirst Du Dich beugen.“

„Nein!“ klang es eisig zurück.

„Michael!“

„Nein, Graf Steinrück! Ich gehöre nicht zu Ihrer Familie, davon haben Sie mir soeben wieder den Beweis gegeben. Raoul mag sich seiner Braut unwürdig zeigen, mag sie verrathen; er bleibt Ihnen doch der Träger der Grafenkrone, wie ich Ihnen der Sohn des Abenteurers bleibe, der seine Augen nicht zu einem Glied Ihrer Familie erheben darf, selbst wenn er geliebt wird. Hertha denkt glücklicherweise anders. Sie weiß Alles und ist dennoch freudig bereit, meinen Namen zu tragen.“

„Und ich sage Dir, Du wirst diesen Namen noch bei ihr büßen müssen! Du kennst das stolze Mädchen nicht, steh’ ab von ihr!“

„So feig bin ich nicht,“ sagte Michael mit einem halb verächtlichen Lächeln. „Ich kenne meine Hertha besser. Wir haben ja mondenlang mit einander gekämpft wie die bittersten Feinde und wußten es doch Beide, daß wir nicht von einander lassen konnten. Ich habe es mir schwer genug erobern müssen, mein schönes stolzes Glück, aber nun ist es auch unwiderruflich mein. Im Sturmestoben, aus den Klüften der Adlerwand habe ich mir meine Braut geholt – versucht es, sie mir wieder zu entreißen!“

Der kalte, ernste Mann war wie verwandelt; das volle leidenschaftliche Glück leuchtete aus seinen Augen, klang aus seinen Worten, und die letzte Herausforderung schleuderte er fast triumphirend dem Grafen entgegen, der ihn wieder ansah mit jenem seltsamen Blick, in welchem mehr Schmerz als Zorn lag.

„Genug!“ sagte er, sich zusammenraffend. „Ich habe zunächst mit Raoul zu rechten. Du wirst noch Weiteres von mir hören – jetzt geh’!“

Michael verneigte sich und ging; der General blickte ihm lange und düster nach. Es war doch seltsam, daß sie nie den fremden Ton festhalten konnten, der doch von beiden Seiten so sehr erstrebt wurde. Im Anfange stand immer der Vorgesetzte dem Untergebenen gegenüber, so fremd, als hätten sie sich nie gesehen, und schließlich sprach doch immer der Großvater zu seinem Enkel, wenn sie sich auch im vollsten Kampfe befanden. Auch heute schieden sie mit einer gegenseitigen Kriegserklärung, und doch murmelte der Graf, als er allein war:

„Was gäbe ich drum, wenn Du Raoul Steinrück hießest!“

Der junge Graf kehrte eine halbe Stunde später von seinem Morgenritt zurück. Bei seinem Eintritt wurde ihm gemeldet, daß der General nach ihm gesandt habe und ihn unverzüglich zu sprechen verlange, und wenige Minuten später trat er in das Arbeitszimmer.

„Du ließest mich rufen, Großpapa?“ fragte Raoul, in das Arbeitszimmer des Generals tretend. „Hast Du Nachrichten aus Steinrück erhalten?“

Der Großvater reichte ihm statt aller Antwort die Depesche.

„Lies selbst!“

Raoul durchflog das Telegramm und legte es dann wieder auf den Tisch.

„Eine traurige, aber leider nicht unerwartete Nachricht. Nach dem letzten Briefe mußten wir stündlich darauf gefaßt sein. Du äußertest gestern, daß Du selbst in diesem Falle die Stadt nicht verlassen könntest; so werde ich also allein abreisen, mit der Mama?“

„Wenn Du kannst, ja!“

„Mein Urlaub macht keine Schwierigkeit,“ sagte Raoul unbefangen. „Der Minister hat ihn mir selbst angeboten, als er hörte, wie es in Steinrück stand. Ich kann ihn jede Stunde in Anspruch nehmen, um –“

„Deine Braut zu trösten!“ ergänzte der General.

„Gewiß, ich habe doch wohl das erste Recht dazu.“

„Hast Du es wirklich noch? Das wird sich zeigen!“

Der junge Graf stutzte bei dem Tone; aber der Großvater ließ ihm nicht Zeit, zu errathen, um was es sich handle, sondern fragte kurz und scharf:

„In welchem Verhältniß stehst Du zu Heloise von Nérac?“

Die Frage kam so unerwartet, daß Raool auf einen Augenblick die Fassung verlor. Im nächsten aber hatte er sie zurückgewonnen und entgegnete:

„Nun, sie ist die Schwester meines Freundes Clermont.“

„Das weiß ich! Es scheint aber, daß sie Dir noch mehr ist. Keine Ausflüchte! Ich verlange volle, rückhaltlose Wahrheit!Kannst Du dies Verhältniß vor Deiner Braut verantworten? Ja oder nein!“

Raoul schwieg. Ein Lügner war er trotz alledem nicht, und er konnte auch nicht lügen diesen drohenden Augen gegenüber, die ihm bis auf den Grund der Seele zu dringen schienen und die Wahrheit zu erzwingen wußten, wie sehr man sie auch verschleierte.

„Also doch!“ sagte Steinrück dumpf. „Ich konnte und wollte es nicht glauben!“

„Großvater –“

„Genug, ich bedarf keiner Antwort mehr! Dein Verstummen sprach zu deutlich. Ist es denn möglich? Eine Braut wie Hertha zu opfern und wem zu opfern! Hast Du die Augen oder den Verstand verloren? Die Sache ist eben so unbegreiflich wie sie schmachvoll ist.“

Raoul stand finster mit fest zusammengepreßten Lippen da. Er ertrug es nicht, in solcher Weise ausgescholten zu werden, und der herrische Ton reizte ihn nun vollends, seine Antwort klang mehr trotzig als beschämt.

„Du häufst alle Vorwürfe auf mich, Großvater, und doch trägt Hertha mit ihrer verletzenden Kälte, ihrer eisigen Zurückhaltung die erste Schuld an unserer Entfremdung. Sie hat mich nie geliebt: sie kann überhaupt nicht lieben.“

„Da irrst Du sehr!“ sagte der General mit tiefer Bitterkeit. „Du hast es allerdings nicht vermocht, ihre Liebe zu gewinnen, aber ein Anderer verstand das besser als Du. Dem gegenüber

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 848. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_848.jpg&oldid=- (Version vom 29.9.2022)