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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

fragte Paul, indem er seinem Freund die Hälfte einer Beefsteakpastete auf den Teller schob.

Oskar schüttelte den Kopf.

„Es ist mit dem Beruf, an dem man mit ganzer Seele hängt, wie mit einer starken Leidenschaft – sie macht unfähig für alles Andere,“ sagte er. „Ich habe in Amerika Zeichenstunden gegeben, ja, ich habe sogar ein paar Portraits gemalt – lache nur! Es geschah, wie Du Dir denken kannst, nur um die Mittel zu erwerben, wieder zurückzukehren.“

„Und was denkst Du hier zu thun?“

„Die Laboratorien zu besuchen, ein paar Kollegien zu hören und mich wieder in den Stil der Gelehrsamkeit hineinzufinden, ohne den man in Deutschland einmal kein Ansehen hat. Dann will ich meine Abhandlung über die Phylloxera schreiben …“

„Bravo! Dabei entgehst Du mir nicht!“

„Du mußt wissen,“ fügte Oskar hinzu, den es quälte, sein Vetter könne denken, er habe auf dessen Gastfreundschaft gerechnet, „daß ich jetzt Kapitalist bin. Ein Runkelrübenbauer hat kürzlich meine Broschüre über die Verdoppelung des Zuckergehalts der Rüben gelesen. Ich mußte ihm zur Hand gehen bei Einrichtung meiner Methode, und er zahlte gut. Ein paar Monate reicht’s noch …“

„Den Monat zu hundert Mark gerechnet – wie?“

„Noch etwas darüber,“ erwiderte Oskar ernsthaft.

Paul lachte gerade aus.

„Sieh’ mal – da liegen fünftausend Mark – weißt Du, wie weit die reichen?“

„Seit wann ist Dein Stern aufgegangen?“

„Seit ich 1883 in der Internationalen meinen ‚Sommerabend im Hofbräu‘ ausstellte.“

„Davon habe ich sogar in Amerika gehört.“

„Ja, siehst Du, wenn man das Publikum an seinen Schwächen packt, da hat man’s gleich im Sack. Ich hatte das Bild derb realistisch gefaßt. Von den Stammgästen mußten ein paar still halten – paff, saßen sie auf der Leinwand, daß die Münchener sie beim Namen riefen. Ein paar hübsche Kellnerinnen, wohlbekannt, ließ ich mit den gefüllten Halben’ hin- und herspringen. Die Bockwürstl-, Rettich- und Bretzeljungen und den ganzen Schwindel – nichts vergessen! Wer Hofbräu getrunken, dem schmeckte das Bier in der Erinnerung noch einmal vor dem Bilde. Da kannst Du Dir denken, wie alle Welt sich hinzudrängte. Mit einem Schlage war ich bekannt – an Angeboten fehlte es nicht. Ein Amerikaner war Meistbietender. Großer Spektakel, als man hörte, ich habe nach New-York verkauft. Warum denn solche Perlen nicht im Vaterlande festhalten? Wozu war denn die Pinakothek eigentlich erbaut worden? Siehst Du, so über Nacht kommt das Glück auch einmal zu Dir! Vorläufig genügt’s ja für Beide, wenn’s bei Einem einkehrt!“

Oskar drückt ihm die Hand und lächelt schmerzlich.

„Ich wüßte schon ein Mittel, Dir zu Kapital zu verhelfen …“ wirft Paul hin.

„Wenn ich einen Millionär auf der Landstraße anfiele?“

„Nein – armer Junge! Der würde Dich nur Deiner Kourage wegen loben. Aber wenn Du seiner Tochter den Hof machtest …“

„Laß mich damit zufrieden.“

„Hast Du nie daran gedacht?“

„Nie.“

„So ist es hohe Zeit, jetzt daran zu denken.“

„Ich bin nicht gemacht, Frauen zu gefallen.“

„Jeder ist dazu gemacht, er braucht nur zu wollen.“

„Nun, dann will ich auch nicht durch eine Frau reich werden. Aber wie steht’s mit Dir?“ setzte er hinzu, um das Gespräch zu wenden.

Paul, der eine mittheilsame Natur war und welchem die Liebe zur Mietze im Augenblick ganz besonders das Herz erwärmen mochte, ließ sich nicht lange bitten, seinen Vetter ins Vertrauen zu ziehen. Oskar bekam die ganze Geschichte zu hören von dem herrlichen Einfall an, den Paul hatte, als er die blonde Mietze auf einem Ausflug nach Nymphenburg kennen lernte; wie er sie bestimmte, mit ihm voraus zu laufen, um im Zuge, der eben dahin abgehen sollte, Plätze zu halten; wie die korpulente Tante mit ihrer Gesellschaft natürlich zu spät kam und den Zug abfahren sah – er mit der Mietze darin! Und wie gut er die Stunde zu benützen wußte, die er voraus hatte, ehe der nächste Zug abging! Wie das arme Kind erst so erschreckt war, als sie sich mit ihm allein fand … wie sie dann sich ergab und zutraulich wurde, und endlich so herzlich mit ihm lachte, daß sie ihm alle ihre Grübchen in dem reizenden Gesicht verrieth … „Was willst Du nur, Fritz?“ unterbrach Paul sich etwas ungeduldig. Sein Dienstgenie stand an der Thür und telegraphirte mit den Armen. Er hatte ihm eingeschärft, ein tête-à-tête nicht durch Worte zu unterbrechen.

Fritz rückte mit einer Visitenkarte vor: Mr. John Dunby, New-York.

„Natürlich annehmen!“ rief Paul aufspringend. „Amerikaner werden immer angenommen. Ins Atelier; ich komme sobald wie möglich.“

Darauf füllte er Oskar’s Glas noch einmal und trank gemüthlich selbst noch eins aus.

„Es darf durchaus nicht den Anschein haben,“ entgegnete er seinem Vetter, der ihn zur Eile mahnte, „als hätten wir Künstler weiter nichts zu thun, als auf Bilderkäufer zu warten.“

Gemüthlich wandelte er dann über den Flur nach dem Atelier.

Hier findet er einen Mann von etwa fünfzig Jahren; untersetzt, ziemlich gebräunt, mit unschönen, aber intelligenten Zügen. Er macht in seinem hellen Sommeranzuge den Eindruck eines Arbeiters im Sonntagsstaat. Mit dem wohlwollenden Lächeln, das Kapitalisten so gern aufstecken, wenn sie mit Künstlern verkehren, ergreift Mr. John Dunby des Malers Hand, die er kräftig schüttelt.

„Herr Schaumlöffel?“

Paul verbeugt sich stumm und würdevoll.

„Herr Schaumlöffel, erlauben Sie mir,“ sagt der Amerikaner mit starkem Accent und den üblichen Sprachfehlern eines des fremden Idioms nicht recht Kundigen; „Herr Schaumlöffel, erlauben Sie, daß ich Ihnen meine Anerkennung ausspreche. Sie sind ein großer Mann – ein Genius!“

Abermalige stumme Verbeugung.

„Ich habe Ihren ‚Hofbräukeller‘ in Amerika gesehen – prachtvolles Bild! Ihr Vaterland kann stolz sein, auf den Hofbräukeller und auf Sie! Ich bin hierhergekommen, um ein ähnliches Meisterwerk von Ihnen zu erwerben. Meine Tochter hat mich begleitet, um bei Ihnen ein paar Lektionen zu nehmen.“

Die Bilderbestellung kommt Paul natürlich sehr gelegen, nicht so der Unterricht. Er hält, wie die meisten Maler, nicht gerade viel vom weiblichen Genie. Und ein fremdes Frauenzimmer jetzt an seiner Seite haben und mit Aufmerksamkeit behandeln, während er an die Mietze denkt – unerträglich! Dazu hat die Schilderung, die er seinem Vetter soeben von demselben blonden Mietzchen entwarf, wie Champagner auf ihn gewirkt. Der Schalk, der bei ihm nie ganz schläft, ist plötzlich sehr mobil geworden. Ein Gedanke durchblitzt ihn: Oskar hat ja auch seine Lehrjahre auf der Akademie durchgemacht! Er wird dem Amerikaner Oskar an seine Stelle pflanzen. Und ohne nur die Folgen recht zu überlegen, läßt er seinem Uebermuth auch schon die Zügel schießen.

„Sie verkennen mich,“ sagt er ernst.

„Wieso? Ich bin doch im Atelier von Herrn Schaumlöffel?“

„Ja – Sie verwechseln mich aber mit meinem Vetter, der mich gebeten hat, Sie hier zu empfangen.“

„Ihr Herr Vetter ist doch nicht krank?“

„Nur eben etwas erschöpft von einer Reise zurückgekehrt. Er ist überarbeitet und wird unter einer Woche keinen Pinsel anrühren.“

„Wenn er meine Tochter nicht zur Schülerin annimmt, ist sie außer sich! Wir bleiben ohnedies nur kurze Zeit …“

„Ich kann hier leider nicht entscheiden,“ sagt Paul und zwingt sich, seine Fassung zu wahren; „was ich thun kann, meinen Vetter zur Uebernahme des Unterrichts zu bewegen, wird geschehen. Soll ich Ihnen rathen, so sprechen Sie mit ihm im Augenblick überhaupt uicht vom Malen. Er fällt, wie alle Künstler, leicht von einem Extrem ins andere und bildet sich mitunter ein, daß er gar nichts leiste.“

„Aber bei seinen Erfolgen!“

„Trotz der Erfolge. Wenn Sie viel mit Malern verkehrten, würde Ihnen das nicht auffallen. Es sind eben wunderliche

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 823. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_823.jpg&oldid=- (Version vom 9.6.2023)