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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

nachfolgenden Perfy recht unangenehm berührte. Doch sprach auch er kein Wort; denn er fürchtete, wenn er überhaupt spräche, sich nicht mäßigen zu können.

Nur Terka, welche noch immer nicht begriff, was geschehen, war mehr verblüfft als zornig, und da sie sich weniger mit ihren Gedanken beschäftigte als das Brautpaar, war sie auch die Erste, welche gegenüber ihrem Wohnhause, just an der Stelle, wo die Diele über dem unergründlichen Schmutz des Straßendammes lag, ihren Feind, den Stefan, stehen und nach Jemand ausschauen sah.

Terka erschrak heftig. Wenn es Riza war, auf welche Stefan wartete! Was konnte er aber zu thun wagen in Gegenwart vvn Mutter und Bräutigam?

Und doch, dem Buben, einem Nichtsnutz von Jugend, ja von Geburt an – denn er war eines Nichtsnutzen Sohn – mußte man Alles zutrauen.

Terka begann vor Aufregung zu zittern. Aber es war unmöglich, einen anderen Uebergang über den Straßendamm zu wählen, ohne umzukehren! Und dann hätte sie ja das Brautpaar ins Vertrauen ziehen müssen! So stieg denn Terka in ihrem engen Kleid, das sie jeden Augenblick von Neuem aufraffen mußte, weil die Schleppe immer wieder herabfiel, mühsam und angstvoll neben Tochter und Schwiegersohn der gefährdeten Stelle zu.

Nun hatte auch Riza den Stefan erblickt; sie wurde dunkelroth und verlangsamte den Schritt.

Aber endlich kamen doch alle Drei an der fatalen Stelle an und sahen – daß die Diele verschwunden war. Ob der Wolkenbruch sie fortgeschwemmt, ob irgend ein Bösewicht sich an ihr vergriffen und sie weggeschleppt hatte, das weiß kein Mensch, außer vielleicht dem Stefan; der aber stand und schwieg und schaute Riza an, die, roth wie Blut und völlig verwirrt, Miene machte, mitten durch den Schmutz zu waten.

„Riza, bist Du toll?“ schrie Terka entsetzt; aber in demselben Augenblick stand Stefan neben Riza, hob sie auf und trug sie nun auf seinen Armen durch den Lehm, der ihm bis über die Mitte der Stulpstiefel ging.

Terka stieß einen Schrei aus und stand einen Augenblick starr vor Schreck und Wuth; dann verleugnete sie vor den Augen des entsetzten Schwiegersohnes alle Bildung, nahm ihr Kleid über den Kopf und stieg dem Paare nach, zuerst zeternd, dann keuchend; denn kaum hatte sie ein paar Schritte gethan, so hing sich der zähe Lehm an sie, zog ihr die Schuhe aus, machte aus ihren Kleidern eine kleisterige, schwere Masse, und sie mußte mühsam einen Fuß nach dem andern aus dem gelbbraunen, zähen Teige herausziehen. Endlich blieb sie in der Mitte des Weges ganz stecken und, die Arme mit dem noch immer behüteten Seidenkleid hoch über dem Kopf haltend, bis über die Kniee eine Lehmmasse, stand sie da wie ein oben geformtes, unten formloses Götzenbild, ein Opfer ihrer mütterlichen Pflichttreue.

Unterdessen war Stefan mit seiner schönen Last weiter geschritten und zwar, um genau zu berichten, nicht in der kürzesten, geraden, sondern in einer recht schrägen Linie. Riza hatte, um sich fest zu halten, instinktiv die Arme um seinen Hals geschlungen; er fühlte ihre Hände zittern und ihr Herz klopfen: so, nun hatte er, was er so lange vergeblich, mit Sehnsucht, Zorn, Verzweiflung im Herzen, erstrebt, das geliebte Mädchen allein mit sich, in seinen Armen – freilich nur für einen Augenblick, den er aber ausnutzen konnte, auszunutzen sich geschworen hatte, einen Augenblick, den er mit aller Schlauheit und Energie eines verzweifelten Liebhabers sich selbst geschaffen hatte. Nun mußte er sprechen, mußte Alles vorholen, was sich seit Jahren in seinem Herzen aufgehäuft, mußte sie beschwören, überreden, schelten – und nun klopfte ihm das Herz bis in den Hals hinauf; die Kehle war ihm wie zugeschnürt; im Kopf wirbelten die Gedanken schwindelerregend herum, taumelten über einander, und nur zwei blieben aufrecht stehen:

„Sie nicht mehr aus den Armen lassen, sie tragen immerzu, bis ans Ende der Welt!“ jauchzte der eine, und der andere pfiff gellend dazwischen: „Sie ist bloß eine hübsche, dumme Puppe; sie läßt mit sich machen, was die da drüben wollen –“

In diesem Augenblicke stieß Terka einen Hilferuf aus; Riza wandte das Köpfchen, sah die Mutter im Schlamm stecken, that einen kleinen Schrei und löste unwillkürlich ihre Arme vom Halse des Stefan; der Zauber war gebrochen. Auch Stefan schaute zurück, sah das arme Götzenbild hilflos genau in der Mitte zwischen den Beiden stecken, die seine Schwiegersöhne werden wollten, sah den begünstigten Bewerber rathlos und verlegen seinen schönen Bart streichen und auf den Lehm und auf seine eigenen mehr elegant bekleideten als leistungsfähigen Gliedmaßen schauen, die zum Ritterdienst für die gewichtige Schwiegermama weder geeignet noch gewillt waren. Da setzte Stefan die Riza vor ihrem Mutterhause auf den Boden, schluckte ein paarmal, als wollte er etwas sagen, was nicht herauskönnte, nahm sie plötzlich mit beiden Händen bei den Schultern, schüttelte sie tüchtig und stieß dabei, dunkelroth im Gesicht, heraus:

„Schäme Dich – Du – Du – schäme Dich!“

Dann ließ er die völlig Fassungslose stehen, watete beherzt zum Götzenbilde, das ihn, wie wirklich versteinert vor Erstaunen, anstarrte, zog und hob mächtig an dem armen Koloß, bis er ihn auf seinem Rücken hatte, und schleppte ihn hinüber, diesmal kühl bis ans Herz hinan. Hierauf stellte er den triefenden Koloß neben Riza, die blaß und stumm dastand, wandte sich und ging, ohne daß Einer von den Dreien ein einziges Wort gesprochen hätte.

Drüben jenseit des Schlammes stand der Vierte auch blaß und stumm, wandte sich dann und schlich fort.

Wäre Perfy Viktor seinem jetzigen Gefühle gefolgt, so wäre er nimmer dieses Weges wiedergekommen. Er schämte sich der unpassenden Verbindung, die ihn in seinen eigenen Augen und in denen der Verwandten erniedrigte; er schämte sich der Schwiegermutter und hatte jenes dem Haß verwandte Gefühl gegen seine Braut, welches ein sehr eitler Mensch gegen den empfindet, den er als tief unter sich selbst stehend und von seiner Huld begnadigt ansah und der sich nun plötzlich gegen ihn auflehnt. Riza sollte das büßen; sie sollte fühlen, daß er ihr Herr, daß sie in seinen Augen ein Nichts sei; sie sollte tief gedemüthigt vor ihm zittern – wenn sie erst seine Frau war!

Denn heirathen mußte er sie – leider! Perfy Viktor selber hatte ja mit ihrem Ruhm die Stadt erfüllt; ganz Szegedin wartete gespannt, daß er die Schönste der Schönen in die Gesellschaft führte, ganz Szegedin, welches daran gewöhnt war, daß „der fesche Perfy“ das Rarste von Allem aufspürte und für sich nahm.

Schlaflos und unruhvoll lag in dieser Nacht auch die junge Braut auf ihrem Lager. Scharf und brennend wie ihr Verlobter empfand sie heute zum ersten Mal das Erniedrigende der Verbindung, welche sie in ihrer Unerfahrenheit übereilt eingegangen war.

„Schäme Dich!“ hatte Stefan gesagt.

Und sie schämte sich, daß ihr die Gluth in die Wangen schoß, daß sie das Gesicht in die Kissen drückte, als müsse sie’s verbergen selbst vor der blinden Nacht. Sie sollte eines Mannes Weib werden, der, das wußte sie jetzt, niedrig dachte und fühlte, der die Mutter verachtete, weil er keine Augen und kein Herz hatte für ihre Ehrbarkeit, Rechtschaffenheit und Güte; der an ihr selbst nichts schätzte, nicht ihr Herz, nicht ihren Verstand, nicht ihren Frohsinn, nicht einmal ihre Schönheit; dem sie nur „’was Rares“ war!

„Schäme Dich!“

Ja, schäme dich; denn bist du besser als er? Warum verlobtest du dich mit ihm? Schätztest du ihn, hattest du ihn gern? Nein! Aus kindischer Eitelkeit gabst du ihm das Jawort. Du, die Bauerntochter, wolltest in vornehme Gesellschaft kommen, seidene Kleider tragen und auf feine Bälle gehen; du, die Bauerntochter, fühltest dich geschmeichelt durch die Bewerbung des Edelmannes! Und vor Allem, du wolltest dem Stefan zeigen –

„Schäme Dich! Du – Du – schäme Dich!“

Der Ton, mit welchem der brave, fleißige Stefan die Worte hervorgestoßen, klang ihr im Ohr und Herzen. Und sie hatte ihn verlacht und verachtet, weil er sich seiner ehrlichen Arbeit und seines ehrlichen Standes nicht schämte, den Stefan, der tausendmal gescheiter, tausendmal braver und besser war als sie – und der sie dennoch liebte, noch jetzt liebte!

Und nun schossen ihr die Thränen aus den Augen, und ihr Herz jubelte dabei und sang den Lerchensang: „Er liebt mich! er liebt mich!“ und flog mit den Worten empor, hoch über den Staub und die Verwirrung und den Schmerz der Erde bis in den blauen Himmel hinein.

Und so, von seinem hohen Himmel her, schienen ihm die irdischen Dinge so klein und ihre Verwirrung so leicht zu lösen,

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