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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

machten, Lorbeerkränze und Blumen auf das Klavier flogen, da nahm der alte Herr ein Kränzlein rother Rosen wie wägend und sinnend in die Hand, und als Perfy Viktor eben rief: „Eljen dem Beherrscher der Herzen!“ da lächelte der Meister und sprach: „Eljen meiner siegreichen Rivalin, der Schönheit des holdseligen Weibes!“ und er drückte das Rosenkränzlein der Riza aufs Köpfchen.

Jetzt erreichte die Begeisterung der kunstsinnigen Ungarn, die sich alle in Riza geehrt fühlten, den Siedepunkt, und kräftige Hände hoben den greisen Meister auf willige Schultern, und rasche Beine marschirten mit ihm durch sonnenglühende, staubige Straßen. Und als Riza da stand und voll Staunen dem seltsamen Zuge nachschaute, stieg ihre Schönheit und der Glanz, welchen die Huldigung des Meisters auf sie geworfen, dem Perfy Viktor zu Kopf. Er hob das nichtsahnende Dirnlein plötzlich in die Höhe, setzte es in den Wagen, welcher den Virtuosen von der Bahn geholt, und spannte sich mit etlichen andern begeisterten Jünglingen davor. Als sie des Meisters Träger an der nächsten Straßenecke einholten, setzten sie die alte Berühmtheit neben die junge Schönheit. Und dahin rollten „Genie und Jugend, von Begeisterung gezogen“, und das alte Genie lächelte halb amüsirt, halb wohlig, und die junge Schönheit ließ ihr Händchen von seiner Hand ein wenig zitternd gefangen halten und wollte sich sehr freuen, brachte es aber aus Scham und Verwirrung nicht recht zuwege. Plötzlich jedoch kam ihr der Gedanke, daß alle diese Huldigung, die ihr heut zu Theil wurde, sie in den Augen des jähen, gewaltthätigen Stefan zu der Höhe heben mußte, die ihr ihm gegenüber gebührte, und sie fühlte nun wirklich eine stolze Freude in sich aufsteigen.

Da stand er ja, der Stefan, in seiner reichen, schönen, aber bäuerlichen Kleidung, mitten unter den Kavalieren, welche den zurückkehrenden Wagen umringten. Und als Perfy Viktor die Riza heraushob und sie ein wenig länger als nöthig in den Armen behielt und sie darüber lieblich erröthete, drängte er sich zu dem Dirnlein heran und flüsterte: „Schämst Dich nit, dalkete Dirn, daß Dich von jedem Hansnarren küssen und um den Leib fassen lässest?“

Ah! Das war also der Respekt, den er der Riza bezeugte.

„Von jedem Hansnarren!“ Einen Halbgott und einen Edelmann wagte der Bauernbub so despektirlich zu benennen! Und sie, die Riza, die von Allen gefeierte Schönheit des Tages, sie wagte er zu schmähen, zu beschimpfen! Riza ward roth und bleich; sie rang nach Athem und kämpfte mit jäh aufsteigenden Thränen; sie stand da, als wäre ihr unbegreifliche, unverdiente Unbill geschehen; sie fühlte sich gedemüthigt, erniedrigt und zugleich zornig über sich selbst, daß der Bauernbub die Macht hatte, sie so tief zu kränken. Aber jetzt beugte sich Perfy Viktor zärtlich zu ihr nieder und legte, da der Zug sich hinter dem Meister wieder in Bewegung setzte, beim Weiterschreiten ihren Arm in den seinen. Sie sah dankbar zu ihm auf, der sie besser zu schätzen wußte als der Bauer.

Und in eben dem Augenblicke schaute sich der Meister um, sah der Beiden Blicke in einander tauchen und sagte in halb wehmüthigem Schmerz:

„Ja, ja, dem Alter die Lorbeeren, der Jugend die Rosen! Glückliche Jugend!“

Perfy’s Antlitz leuchtete auf in geschmeichelter Eitelkeit; er schaute Riza zärtlich an und drückte ihren Arm; Riza erglühte, und der Meister, welcher keine Ahnung von der Verschiedenheit der gesellschaftlichen Stellung Beider hatte, mißdeutete diese Vertraulichkeit und flüsterte:

„Ich darf gratuliren? Seliger Mann, dem die schönste Ungarin das Glück ins Haus bringt! Halten Sie’s fest, Perfy ur, so lang es nur bleiben will! Denn es hat Flügel.“

Da wollte Riza erblassend ihren Arm aus dem Perfy’s ziehen, und auch dieser zuckte ein wenig zurück; denn es war Perfy noch nicht in den Sinn gekommen, die Tochter der Bäuerin zu seinem Weibe zu machen. Aber im nächsten Augenblick zog er Riza’s Arm um so fester in den seinen; Perfy Viktor mußte ja immer das Rarste von Allem haben, was es in Szeged gab: das beste Klavier, das schnellste Pferd, den größten Hund – die schönste Frau. Und die war Riza heut geworden, da der Meister sie zur Schönsten der Stadt erklärt, da ihm die Menge beigestimmt und das Dirnlein im Triumph als Schönheitskönigin durch die Stadt geführt hatte. Riza war heut eine Berühmtheit geworden, und eine Berühmtheit mußte Perfy Viktor zu seinem Eigenthum machen. Der große Meister hatte keine Zeit gefunden, des Perfy Viktor Klavierspiel zu hören und – zu loben; das kränkte den Perfy von Herzen; denn was half ihm seine Gefolg- und Jüngerschaft, wenn nicht vom Ruhme des Meisters etwas auf ihn überstrahlte? Nun hatte der Große wenigstens des Perfy Braut geküßt; das konnte Perfy allen Leuten erzählen, mit denen er bis zum Ende seines Lebens in Berührung kam.

So drückte er zärtlich Riza’s Arm und flüsterte:

„Morgen komme ich zu Ihrer Mutter, theure Riza!“

Sie gab ihm keine Antwort; aber er erwartete auch keine; es war ja selbstverständlich, daß Riza die Ehre zu schätzen wußte, das Weib des ersten Kavaliers in Szegedin zu werden.

Und Riza schätzte sie auch, schätzte sie um so höher, als sie schon morgen dem schlimmen Stefan beweisen konnte, daß sie sich nicht „von jedem Hansnarren um den Leib fassen ließe“, sondern nur von ihrem künftigen Gatten, der ein Edelmann war – wie der Stefan ein Bauer!

Aber als Riza zu Hause der Mutter, welche sich in der Ausstellung auf Betreiben der klugen Vorsteherin im Hintergrunde gehalten, des Perfy Vorsatz mittheilte und Terka freudestrahlend das Dirnlein in die Arme schloß und es ihr Prinzeßchen nannte, ihr Edelfrauchen, dem von nun an alle Grafen und Prinzen der Welt zu Füßen liegen würden, da bat Riza die Mutter, noch ein Weilchen in den nächtigen Garten gehen zu dürfen; es sei so heiß drinnen, sie meine ersticken zu müssen.

Darüber lächelte Terka und gewährte dem Töchterlein die Bitte; es war natürlich, daß das junge Herz brannte und hüpfte.

Ah, am Ziel! Schwiegermutter eines Edelmanns! Terka’s Augen blitzten, als hätte sie feurigen Wein getrunken – den Wein befriedigten Ehrgeizes!

Und wie sich des Janos’ Ebenbild, der Stefan, ärgern würde! Vielleicht empfände er gar dasselbe Weh, dieselbe Demüthigung, dasselbe Brennen im Blut, im Herzen, im Stolz, das der Vater sie einst hatte erleiden lassen! Ah, am Ziel! Gerächt durch die Tochter!

Unterdessen saß das Töchterlein draußen unter den Zweigen des Maulbeerbaums und weinte. Worüber? warum? wußte es selbst nicht. Es war ihm nur so beklommen zu Muth, so, als solle es eingesperrt werden und müsse nun Abschied nehmen von Blumen und Jugend und Frohsinn. Aber vom Nachbargarten zog süßer Fliederduft herüber, und der Mond goß silbernes Licht über die Blumenbeete; hinter dem Garten das Feld sah so weit und blau aus; die Abendluft umschmeichelte so wohlig die Schläfe: Riza hörte auf zu weinen und selbst zu denken; wieder kam jenes unbestimmte, träumerische Sehnen über sie, und in jenes Sehnen hinein dasselbe Bild: Stefan reichte ihr die Rosen mit einem Blick, so warm und sehnsüchtig wie die Frühlingsnacht.

Da rief die Mutter – das Bild zerfloß; die Beete lagen grau da, die Schatten waren tief, die Gegenstände hart und deutlich – und Stefan war ein Bauer, der weite Linnenhosen trug, der sie von Kindheit auf gekränkt und verfolgt hatte – und sie selbst wurde nun eine Edelfrau.

Am nächsten Tage holte sich Perfy das Jawort; in wenigen Wochen sollte, wie gebräuchlich, die Hochzeit sein. Als der Bräutigam die Braut in seine Arme schloß und küßte, lief ihr ein Schauer über den Leib; er hatte so feuchtglatte, dicke Lippen!

Da aber Perfy Viktor als ein musterhafter Kavalier gewissenhaft die Sitte respektirte, welche in Szegedin die Verlobten so vorsichtig aus einander hält, als wäre die Braut ein Pulverfaß und der Bräutigam eine Fackel, so wiederholte sich dieser Schauer nicht oft bei Riza; der unbewußte Widerwille in ihr hatte nicht Gelegenheit zu explodiren, sondern glimmte nur heimlich fort oder schoß von Zeit zu Zeit ein unschädliches kleines Flämmchen von Reizbarkeit und Widerspruchsgeist empor. Auch kam Riza kaum zum Denken und Fühlen; denn Terka hielt sie streng bei der Arbeit, und die Magazine schickten der reichen Bäuerin schier erdrückende Mengen von Stoffen und Geräthen ins Haus, so daß viele Tage mit dem Prüfen und Auswählen aller dieser für ihre kleine Person und ihr künftiges Haus bestimmten Herrlichkeiten ausgefüllt wurden. Dabei gewann sie in ihren eigenen Augen

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