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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Er beugte sich nieder und drückte einen Kuß auf ihre Stirn.

„Weil ich Dich zu zwingen verstand! Seitdem war ich Deiner Liebe sicher, und das versteht Raoul nicht. Ich glaube beinahe, der Ritter, den sich dies stolze eigensinnige Fräulein als Ideal träumt, müßte etwas vom Drachentödter an sich haben; sonst imponirt er seiner Dame nicht.“

„Er müßte Dir gleichen!“ rief Hertha aufflammend. „Dir, Onkel Michael, mit Deiner eisernen Kraft, Deinem unbeugsamen Willen, Deiner Härte sogar. Dich hätte ich lieben können, wenn ich Dich in Deiner Jugend gekannt hätte.“

Steinrück schüttelte lächelnd den Kopf.

„Willst Du einem Greise noch Schmeicheleien sagen? Freilich, Du bist eine von den Naturen, die erst erobert, erkämpft sein wollen; im Sturme willst Du gewonnen werden. Aber, mein Kind, das Schicksal läßt uns nur selten die Wahl in solchen Dingen: es zwingt uns seinen Willen auf. Du wirst das auch noch erfahren. Glaube mir, Raoul gilt hundert anderen Frauen als das Ideal von Ritterlichkeit und Liebenswürdigkeit; daß er nicht ganz das Ideal Deiner Träume ist, beunruhigt mich nicht mehr, seit ich weiß, daß Du ihn trotzdem liebst. Und – offen gestanden, Hertha – ich weiß das erst seit gestern Abend. Bis dahin zweifelte ich ernstlich an Deiner Neigung. Erst die Todesangst, mit der Du mich gestern zur Hilfe aufriefest, mit der Du heute meiner Nachricht entgegenharrtest, verrieth mir, wie Du um Raoul gezittert hast.“

In dem Antlitz der jungen Gräfin begann langsam eine tiefe Röthe aufzusteigen, und sie senkte das Haupt, ohne eine einzige Silbe zu erwidern.

„Mußte erst die Gefahr Deines Bräutigams Dir dies Zugeständniß entreißen?“ fuhr der General vorwurfsvoll fort. „Du hast bisher förmlich etwas darin gesucht, die spröde, kalte Braut zu spielen, und hast Dir Raoul dadurch immer mehr entfremdet. Zeige ihm nur einmal diese bebende Angst um sein Leben, wie Du sie mir jetzt zeigtest, und Du kannst von ihm Alles fordern, Alles erreichen; dafür bürge ich Dir.“

Die Röthe in dem Gesichte Hertha’s war zur dunklen Gluth geworden, und hastig, als wolle sie um jeden Preis dies Gespräch abbrechen, fragte sie: „Glaubst Du denn wirklich, daß diese Gefahr dauernd beseitigt ist?“

„Ja, die Beleidigung wie die Forderung sind in aller Form zurückgezogen, der Streit ist zu Ende.“

„Aber die Feindschaft ist es nicht! Ich konnte Dir gestern nur flüchtig das Vorgefallene mittheilen: Du weißt nicht, was für Worte gefallen sind, zumal von Seiten Raoul’s; sie galten allerdings nicht dem Hauptmann selbst, sondern seinen Eltern.“

„Ah, das war es also!“ murmelte Steinrück.

„Weißt Du irgend etwas Näheres darüber?“ fragte die Gräfin rasch.

„Ich weiß nur, daß an der persönlichen Ehre Rodenberg’s kein Makel haftet, und das ist mir genug. Wie nahm er die Aeußerung auf?“

„Wie ein gereizter Löwe! Er war geradezu furchtbar in dem Augenblick. Hätte Raoul noch ein einziges Wort gesprochen, ich glaube, er hätte ihn zu Boden geschmettert.“

Der General wurde aufmerksam bei dem leidenschaftlich erregten Tone, und ein befremdeter, fragender Blick streifte Hertha, die das nicht bemerkte; denn sie sprach mit flammenden Augen und glühenden Wangen weiter: „Rodenberg schien aufs Aeußerste gebracht zu sein. Er gebot Raoul Schweigen, mit einem Blick und Ton, wie ich sie nur einmal im Leben gesehen und gehört habe – bei Dir, Onkel Michael, als Dir damals in Berkheim der Wilddieb vorgeführt wurde, der unseren Förster erschossen hatte – ich glaubte Dich zu sehen!“

Steinrück hatte sich aufgerichtet; er erwiderte nichts auf die letzte Bemerkung, aber seine Augen hefteten sich starr mit einem seltsamen Ausdruck auf die junge Gräfin, als suche er irgend etwas in ihren Zügen zu enträthseln.

„Vielleicht hatte Raoul nicht Unrecht mit seinem Vorwurf,“ sagte er endlich langsam. „Wer weiß, was ihm von der Herkunft Rodenberg’s bekannt sein mag.“

„Um so unverzeihlicher war es, daß er diesen Punkt berührte,“ fuhr Hertha auf, mit einer Leidenschaftlichkeit, von der sie wohl selbst keine Ahnung hatte. „Du sagst es ja selbst, daß an der persönlichen Ehre des Hauptmanns kein Flecken haftet, und Raoul weiß das sicher eben so gut wie Du; deßhalb griff er ihn in seinen Eltern an. Das ist feig und heimtückisch, das ist eine Unwürdigkeit, das ist –“

„Hertha, Du sprichst von Deinem Verlobten!“ unterbrach sie der General rauh.

Hertha zuckte zusammen; die flammende Gluth erlosch, als ob ein Eishauch sie berührt hätte. Jetzt aber legte sich Steinrück’s Hand schwer auf die ihrige, und halblaut, aber dumpf und drohend fragte er:

„Für wen hast Du gezittert? Wem galt vorhin Deine Angst?“

Sie schwieg, obgleich sie es nur zu gut wußte; die Todesangst, die schlaflosen Stunden der letzten Nacht hatten ihr die Wahrheit zum Bewußtsein gebracht, aber kein Laut kam über ihre Lippen. Der Graf sah sie unverwandt an.

„Hertha, ich fordere Antwort! Willst Du oder kannst Du sie mir nicht geben? Ich denke doch, die Braut des Grafen Steinrück weiß, was sie sich und ihm schuldig ist.“

„Ja, sie weiß es!“ sagte Hertha tonlos, aber fest. „Fürchte nichts, ich stehe bei meinem Worte.“

„Das will ich hoffen!“ Er preßte ihre Hand so heftig in der seinigen, als wolle er sie zerbrechen; dann ließ er sie plötzlich fallen und erhob sich.

„Auf welche Zeit ist Eure Abreise festgesetzt?“ fragte er nach einer Pause.

„Auf den Anfang der nächsten Woche.“

„Gut. Ich wollte anfangs Deine Mutter bestimmen, noch hier zu bleiben; jetzt halte ich es für besser, daß Ihr sobald als möglich abreist. Dir thut – Luftveränderung noth. Und noch Eins, Hertha! Hätte Raoul es gesehen und gehört, wie Du vorhin von seinem Gegner sprachest, er wäre nicht von dem Duell zurückgetreten, und ich hätte ihm keinen Vorwurf daraus gemacht. Leb’ wohl!“

Er hatte kalt und finster gesprochen, und jetzt ging er, hochaufgerichtet wie immer; aber draußen im Vorzimmer blieb er doch stehen und legte einen Moment lang die Hand über die Augen. Wankte denn Alles, was er so stolz gebaut hatte, so fest gegründet glaubte?

„Er müßte Dir gleichen, in Deiner eisernen Kraft, Deinem unbeugsamen Willen, Deiner Härte sogar!“ Das Wort hatte den Grafen auf die Spur geleitet. Ja, es gab Einen, der ihm darin glich, Zug für Zug, und der verstand es vielleicht auch, das schöne trotzige Kind zu zwingen, wenn man ihm freies Spiel ließ. Das mußte verhindert werden, um jeden Preis! Hertha mußte fort aus dieser gefährlichen Nähe. Ihre Laune – denn etwas Anderes konnte und durfte es nicht sein – erlosch von selbst, sobald man ihr den Gegenstand entrückte. Sie war in keinem Falle ernst zu nehmen. Aber es traf den General doch schwer, daß die Gefahr gerade von dieser Seite kam, daß dieser Mann es war, der sein Werk bedrohte. Das hatte er nie für möglich gehalten. –

Zu derselben Vormittagsstunde saß Professor Wehlau in seinem Studirzimmer vor dem Schreibtische; aber er arbeitete heute ausnahmsweise nicht, sondern hatte sich in eine Zeitung vertieft, die etwas ihm sehr Mißfälliges zu enthalten schien; denn er saß wieder mitten in der „Donnerwolke“.

Das Blatt, das erste und angesehenste der Hauptstadt, brachte in der That einen längeren Artikel über „Sankt Michael“, das erste größere Werk eines jungen Künstlers, eines Schülers des Professor Walter, das in den nächsten Tagen öffentlich ausgestellt werden sollte. Der Kritiker, der es bereits im Atelier gesehen hatte, sprach sich mit einer wahren Begeisterung darüber aus und verfehlte nicht, dem Publikum mitzutheilen, daß das Gemälde bereits verkauft sei. Es sei für die Wallfahrtskirche von Sankt Michael bestimmt, wo es am Michaelsfeste mit aller Feierlichkeit installirt werden solle. Die letzte Bemerkung schlug nun vollends dem Fasse den Boden aus; der Professor zerknitterte wüthend die Zeitung.

„Das wird ja immer besser!“ grollte er. „Wenn sie jetzt schon anfangen, dem Jungen in solcher Weise den Kopf zu verdrehen, dann ist vollends nicht mehr mit ihm auszukommen. Großartiger mächtiger Entwurf – glänzende Durchführung – ein hochbedeutendes Talent, das zu den weitestgehenden Hoffnungen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 751. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_751.jpg&oldid=- (Version vom 28.9.2022)