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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

als Pista, ganz erfreut über ihre plötzliche Zärtlichkeit, ihr einen herzhaften Kuß gab, da schämte sich Terka ihrer Heuchelei, der Prahlerei ihrer Nachbarin und ihrer eigenen sündigen Eifersucht zugleich von ganzem Herzen, entschloß sich kurz und legte auf den Gartenzaun so viele Latten, das; Niemand mehr herüber und hinüber sehen konnte. Und dann wirthschaftete sie eifrig, bis eine gewisse Zufriedenheit über sie kam, aus welcher vielleicht ein ruhiges Glück hätte entstehen können, wäre ihre Ruhe nicht bald wieder erschüttert worden.

Nach kaum Jahresfrist gebar die Frau Martscha ein Knäblein, und es ward nun im Nachbarhause ein so großes Gethue und Gerenne, so feierliche Taufe und so viel Kindergeschrei und -Jauchzen, daß das Alles Wohl über den Zaun in Terka’s stillen Hof und in ihr Herz dringen mußte. Denn sie selbst hatte nicht ein gleiches Glück, und als die Jahre kamen und gingen, trug ihre vergebliche Sehnsucht über alle durch Arbeit mühsam errungene Ruhe den Sieg davon.

Nun ward sie ehrgeizig. Da sie der Martscha und dem Janos in dem einen, besten Stück nachstehen mußte, so wollte sie es ihnen in allen übrigen zuvorthun, und sie begann damit, daß sie statt des alten Lehmhauses ein neues von Fachwerk ausführen ließ.

Aber siehe da, als der zweite Sommer kam und Terka’s Haus im Rohbau fertig war, wurde das Nachbarhaus niedergerissen. Auch Janos war ehrgeizig geworden. Hätte Terka durch die Mauern und in die Herzen sehen können, sie hätte Janos minder heftig beneidet. Denn er hatte schon nach wenigen Monaten mehr Haare in seinem Glück gefunden, als Terka bei allem wirklichen Schmerz je in dem ihren fand. Die alte Martscha war bei aller Verliebtheit in ihren schmücken Gatten doch sehr stark von dem Bewußtsein durchdrungen, daß sie ihn zu sich emporgehoben und ihm ein großes Glück in den Schoß geworfen habe. Das sollte er ihr denn auch gehörig danken durch fortwährende zärtliche Aufmerksamkeit und gehorsamen Fleiß. Und weil sie die Stärkere war, so zwang sie den Mann zur Fügsamkeit und Arbeit; das behagte ihm schlecht. Weil er aber phlegmatisch, herzenskalt und leichtsinnig war, so konnte sie ihm mit allem Schelten nicht bis ans Herz kommen, und das reizte und grämte sie, und sie arbeitete und rang sich an ihm matt bis zur Verzweiflung. Als nun das Kind geboren wurde, war ihr das freilich eine große Genugthuung und gab ihr in ihren eigenen Augen wieder ein Stück von jener Wichtigkeit, welche die aalglatte Gleichgültigkeit ihres Mannes erschüttert hatte; aber sie war zu alt, zu hart und prosaisch, um nicht das viele Windelwaschen und Kindergeschrei als eine große Unbequemlichkeit zu empfinden und öfter ungeduldig als herzensfroh über ihren Kleinen zu werden. Janos nun gar war in heller Verzweiflung über die schlechten Nächte, die ihm die kräftige Lunge seines Söhnleins bereitete; denn den Schlaf hielt er für das größte aller Erdengüter. So wurde er diesseit des Zaunes nicht weniger von Herzen neidisch auf das ruhige Wohlleben der Terka, als diese jenseit des Zaunes den Janos um sein zappelndes Glück beneidete. Beide sahen im Geschicke des Andern nur das Licht und im eigenen den Schatten.

Darum dachte Janos, als Terka sich ein neues Haus baute, sie könne es vor Uebermuth im alten nicht mehr aushalten, und da er ihr zeigen wollte, daß er ebenso viel könne wie sie, so riß auch er sein altes Haus nieder und baute sich genau ein eben solches wie das der Terka war. Seine Frau war damit einverstanden; sie haßte Terka viel mehr als er; denn sie war eifersüchtig auf die jüngere Frau, welche jetzt, da sie den Mongolenmädchenzopf abgeschnitten hatte, im zierlichen Kopftuche der Frauen beinahe hübsch aussah. Als nun Terka ihre Fensterladen grün anstreichen ließ, malte Janos die seinen roth, worauf dann Terka ihre Querbalken roth anstrich und Janos die seinen grün. Als dann die Häuser von außen und innen fertig waren, schaffte sich Terka ins Wohnzimmer ein mit Kattun bezogenes Kanapée und einen Querspiegel im Barockrahmen, und Janos, welcher die Sachen ins Nachbarhaus hatte tragen sehen, kaufte ein Sofa mit Wollbezug und einen Pfeilerspiegel. Als Terka im Hause nichts mehr für ihren Ehrgeiz zu thun fand, verfiel sie auf die Idee, auch ihren Hofgarten ganz anders zu gestalten als alle Nachbargärten, und sie ließ die alten Bäume herunterschlagen und Teppichbeete anlegen. Als aber Janos ihrem Beispiel folgen wollte, fiel ihm seine Frau in den Arm.

„Die da drüben wird sich noch genug darüber ärgern, daß sie die schönen Bäume niedergeschlagen hat, daß die Sonne ihr den armseligen Plunder von buntem Kraut versengen und in die Zimmer brennen wird,“ sagte sie mit möglichst lauter Stimme und wies mit dem Daumen über die Schulter nach dem Zaune, hinter welchem, wie sie wußte, Terka stand.

Da ließ Janos seine Bäume stehen, und Terka ärgerte sich wirklich bald über ihre Thorheit, pflanzte aber, da sie diese einzugestehen sich schämte, keine neuen Bäume, quälte sich jahraus jahrein mit der Erhaltung der undankbaren Teppichbeete und setzte sich in den Schatten des Maulbeerbaums, der vom Feindeshofe her seine Zweige über den Zaun breitete.

Darüber Waren fünf Jahre vergangen; als aber der Maulbeerbaum zum sechsten Mal seit jenem entscheidenden Pfingsttage Blätter bekam, hörte Terka plötzlich auf, neue Verbesserungen in Haus und Hof einzuführen; sie saß still im Schatten des Baumes, hatte die Hände in den Schoß gelegt und die Augen in die Ferne gerichtet. Was hatte sie so viel zu sinnen? Und wo war ihr Ehrgeiz geblieben? Das Glück hatte ihn hinaus geworfen aus dem Herzen: es brauchte den ganzen Platz für sich allein. Als der Maulbeerbaum blühte, saß Terka, schaute durch seine Zweige zum Himmel und dachte zum ersten Mal in ihrem Leben, wie schön doch die weißen Blüthen und der blaue Himmel und die helle Sonne seien, und wie gut ihr Mann! Und als des Baumes Beeren sich rötheten, nähte sie Hemdchen und Jäckchen, weinte und lachte und horchte hinaus, ob nicht ihr Pista vom Felde herkäme und die Gartenthür aufklinke. Und als die Blätter des Baumes fielen, lag sie mit einem kleinen Dirnlein im Arm und flüsterte dem Mann zu, der scheu und so leise, wie es seine steifen Beine nur fertig brachten, zum Bett trat:

„Schau doch, welch goldene Härchen es hat und welch große Augen! Unser Kind!“

Und als sich der alte Pista über sie beugte, faßte sie nach seinem verwetterten Gesicht und gab ihm den ersten freiwilligen Kuß nach sechsjähriger Ehe.

Und nun erst hätte Janos Grund gehabt, Terka zu beneiden; aber um inneres Glück beneiden Einen die Menschen nicht; das ist ganz still, und sie gewahren oder verstehen es gar nicht. Janos wunderte sich nur, daß Terka viel sachter hantirte als früher und im nächsten Frühjahr ganze Stunden am Zaun saß und mit leiser Stimme ihrem kleinen Mädchen Wiegenlieder sang. Sie selbst dachte gar nicht mehr an Janos. Wenn sie ihm einmal zufällig begegnete, so gab es ihr keinen Stich mehr ins Herz, und sie wunderte sich nicht einmal über diese Veränderung ihres Gefühls; so wenig waren ihre Gedanken bei der Vergangenheit.

Aber die Nachbarfamilie brachte sich ihr bald in unliebsame Erinnerung, und zwar durch ihren Sprößling, den sechsjährigen Stefan. Der war ein sehr kecker, wagehalsiger, zu allen Streichen aufgelegter kleiner Bursch, Obgleich er von der strengen Mutter mehr Schläge als Brot bekam und der bequeme Vater dem lästigen Störenfried nie ein gutes Wort gab, so minderte das weder den Frohsinn noch den Wagemuth des Buben, und alle Tage mußte ihn die erschreckte Mutter aus irgend einer Todesgefahr erretten und ihn nachher für den gehabten Schrecken durchprügeln. Bald hing er, den Kopf nach unten, am Gartenzaun, der seine Hose mit einem herausstehenden Nagel festhielt, bald schrie er von dem benachbarten Tümpel her, dessen Wasser ihm bis an den Hals ging, oder er steckte Bohnen in die Nase und brennende Schwefelhölzer als Cigarre in den Mund; denn er mußte alles erkundschaften und nachmachen, was es in der Welt von gefährlichen Dingen und Hantirungen gab.

Nun hatte dieser kleine Held von den Nachbarfrauen oft die Schönheit von Terka’s Töchterchen, der kleinen Riza[1], rühmen hören, welche die goldigsten Haare, die lachendsten braunen Augen und die lieblichsten Wangengrübchen haben sollte, die je an einem kleinen Mädchen zu sehen gewesen. Da aber seine Mutter immer in großen, Aerger die Möglichkeit bestritt, daß der häßliche alte Pista und die breitnasige Terka solch engelhaftes Kind haben könnten, so war Held Stefan sehr neugierig auf


  1. Spr. Risa, magyarische Abkürzung von Therese; Terka volksthümliche Form des gleichen Namens.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 726. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_726.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2021)