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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

vielleicht noch etwas zu retten, wenigstens die Depots. Es wäre fürchterlich. Deine Mutter wäre auch ruinirt, so gut wie ruinirt.“

Ich hatte daran noch mit keinem Gedanken gedacht, daß die Mutter den größten Theil ihres Vermögens, oder das ganze – ich wußte es nicht – in dem Israel’schen Geschäft stehen hatte. Es war ja vom ersten Tage an mein Entschluß gewesen, daß ihr Reichthum nie der meine sein sollte; heute zum ersten Male hatte ich darauf hinzudeuten gewagt und ihr zweifelndes Lächeln bitter empfunden. Aber freilich, ob ich wünschen solle, daß sie arm sei wie ich – die Frage hatte ich mir noch nie vorgelegt; und als Emil jetzt diese Möglichkeit hinstellte, überkam mich doch ein jäher Schrecken. Würde es der Mutter möglich sein, ohne Gram in die alte Dürftigkeit von ehemals zurückzutauchen? War es mir möglich, sie mir wieder in dieser Dürftigkeit vorzustellen?

Das schoß mir durch den Kopf, während nun auch ich, Emil gegenüber, vor mich hinstarrend dasaß, und in die Stille um uns her das dumpfe Geräusch der Gesellschaft herabschallte, und die Bewegung so vieler Menschen, trotzdem man die einzelnen Tritte nicht hörte, zu einem dumpfdonnernden Getöse zusammenfloß und hier unten die Glocken auf den Gaslampen erklirren machte. Nun kamen eilige Schritte durch die Geschäftsräume. Die Thür wurde aufgerissen, und Emil’s Schwager – ich war dem jungen, sehr kleinen und sehr häßlichen Manne oben vorgestellt worden, – er wurde bei der Gelegenheit von Emil „Jacques“ genannt – und ein älterer Herr, den ich nicht kannte, stürzten herein, beide Schrecken und Angst in den bleichen Gesichtern.

„Extrablatt!“
Originalzeichnung von E. Limmer.

„Wo sind die Londoner Depeschen?“ schrie der Schwager.

„Was haben Sie nach Warschau telegraphirt?“ der ältere Herr.

Emil hatte dem Schwager die Depeschen eingehändigt und gab dem älteren Herrn, der wohl ein Geschäftsfreund – vielleicht „u. Ko.“ – war, die gewünschte Auskunft. Der Schwager schleuderte die Papiere auf den Tisch zurück und fuhr wüthend auf Emil los, dem er die geballten Fäuste vor das bleiche Gesicht hielt, den Unglücklichen mit einer Fluth von Vorwürfen überhäufend, von denen ich nur die zahlreich eingestreuten Schimpfwörter verstand. Ich konnte es nicht länger mit anhören und warf mich zwischen sie, dem Wüthenden die Fäuste niederschlagend. Er blickte mich mit wölfischen Augen verwundert und erschrocken an; er schien meine Gegenwart erst jetzt zu bemerken.

„Was wollen Sie?“ schrie er.

„Ihnen nur sagen, daß ich eine solche Behandlung meines Freundes nicht dulden will. Schämen Sie sich!“

„Ja, Jakob, schäme Dich!“ sagte der alte Herr mit einer fetten Stimme, aber großer Entschiedenheit.

Herr Jakob Löbinsky warf uns einen giftigen Blick zu, aber wich, Unverständliches murmelnd, ein paar Schritte zurück wie ein eingeschüchtertes wildes Thier. Ich hatte den Eindruck, daß der alte Herr willens und im Stande sei, zwischen den beiden Schwägern so weit zu vermitteln, daß Emil wenigstens vor den Brutalitäten des Anderen geschützt war, und hielt es für angemessen, die Kompagnons sich selbst zu überlassen. Der alte Herr begleitete mich bis zur Thür, während Jakob Löbinsky mir grollend nachblickte und Emil mein Weggehen kaum zu bemerken schien.

Dann stand ich auf der Straße. Vor dem Hause hielt eine lange Reihe von Equipagen mit glänzenden Laternen und Kutschern und Dienern in Livrée. Ihre Herrschaften, die Herren mit den satten Gesichtern und die Damen mit den vollen Formen, saßen jetzt beim Champagner da oben hinter den Fenstern, aus denen durch die herabgelassenen Stores das Licht der Kronleuchter und Kerzen schimmerte. Im dunklen Erdgeschoß aber hinter den verschlossenen Läden rüttelte der Riese Bankerott an den Säulen, auf welchen die ganze Herrlichkeit ruhte. Wenn sie zusammenbrach und all die Geldfürsten mit ihren Weibern erschlagen wurden von den Trümmern – eine reinste Seele war gerettet aus dem Chaos. Und ich meinte ihre Augen zu sehen, da oben in den funkelnden Sternen am nächtlichen Himmel.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 673. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_673.jpg&oldid=- (Version vom 27.2.2024)