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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Montigny? Er kommt zu Dir? Du sagtest ja soeben –“

„Ja, ich begreife es auch nicht, es muß irgend etwas Besonderes sein, was ihn herführt. Verlaß uns nur einige Minuten, Heloise, ich muß ihn empfangen.“

Die junge Frau zog sich zurück, und Clermont gab dem Diener einen Wink, den Besuch einzulassen, der gleich darauf erschien.

Der Marquis de Montigny war ein Mann von etwa fünfzig Jahren, eine vornehme Erscheinung, in stolzer Haltung, der freilich gerade in diesem Augenblick eine kalte, etwas absichtliche Gemessenheit zeigte; trotzdem kam ihm Henri mit der größten Liebenswürdigkeit entgegen.

„Ah, Herr Marquis, ich bin sehr erfreut, daß ich endlich das Vergnügen habe, Sie bei mir begrüßen zu dürfen. Darf ich bitten –“

Er lud ihn mit einer Handbewegung ein, Platz zu nehmen; aber Montigny blieb stehen und entgegnete kühl: „Sie sind jedenfalls erstaunt, mich hier zu sehen, Herr von Clermont.“

„Das nicht, unsere Beziehungen als Standesgenossen und Landsleute –“

„Sind nur sehr allgemeiner Natur,“ fiel ihm der Marquis schroff in die Rede. „Es ist eine durchaus persönliche Angelegenheit, die mich zu Ihnen führt. Ich wünschte nicht, sie auf der Gesandtschaft zu erledigen.“

Der Ton war in der That sehr nachlässig. Clermont preßte die Lippen zusammen, und ein drohender Blick schoß auf den Mann, der es wagte, ihn in seinem eigenen Hause so nichtachtend zu behandeln, aber er schwieg und erwartete das Weitere.

„Ich bin soeben meinem Neffen begegnet,“ nahm Jener wieder das Wort. „Er kam jedenfalls von Ihnen.“

„Gewiß, er hat uns soeben verlassen.“

„Und Graf Steinrück verkehrt täglich in Ihrem Hause, wie ich höre?“

„Allerdings, wir sind eng befreundet.“

„Wirklich?“ fragte der Marquis kalt. „Nun, Raoul ist jung und unerfahren; Ihnen aber möchte ich doch zu bedenken geben, daß diese ,Freundschaft‘ schwerlich der Mühe lohnen wird. Einem jungen, noch ganz unbedeutenden Beamten im Ministerium werden keine Staatsgeheimnisse anvertraut, man ist hier sehr vorsichtig in solchen Dingen.“

„Herr Marquis!“ fuhr Clermont mit voller Heftigkeit auf.

„Herr von Clermont?“

„Ich habe schon öfter Gelegenheit gehabt, mich über den Ton zu beklagen, den Sie für gut finden mir gegenüber anzuschlagen. Ich bitte um eine Aenderung desselben.“

Montigny zuckte die Achseln.

„Ich wüßte nicht, daß ich vor der Gesellschaft die nöthigen Rücksichten gegen Sie vergessen hätte. Jetzt sind wir unter vier Augen, und da erlauben Sie mir wohl, offen zu sein. Ich habe erst kürzlich von den Beziehungen des Grafen Steinrück zu Ihrem Hause erfahren und weiß nicht, in wie fern Frau von Nérac daran betheiligt ist. Dem sei nun wie ihm wolle. Sie werden es begreifen, wenn ich die Bitte – oder vielmehr die Forderung – ausspreche, daß bei den Zwecken, die Sie Beide verfolgen, der Graf aus dem Spiele bleibt. Suchen Sie sich andere Persönlichkeiten dazu, als den Sohn der Gräfin Hortense und den Neffen des Marquis de Montigny.“

Clermont war todtenbleich geworden: seine Hand ballte sich und seine Stimme klang heiser, als er entgegnete:

„Sie scheinen zu vergessen, daß wir Standesgenossen sind. Mein Name ist alt und edel wie der Ihrige, und ich fordere Achtung für denselben.“

Montigny trat einen Schritt zurück und sah ihn von oben bis unten an, dann sagte er schneidend:

„Ich achte Ihren Namen, Herr von Clermont – nicht Ihr Geschäft!“

Henri machte eine Bewegung, als wolle er sich auf den Beleidiger stürzen; mit halberstickter Stimme stieß er hervor:

„Das ist zuviel! Sie werden mir Genugthuung geben!“

„Nein!“ sagte Montigny mit derselben eisigen Ruhe, wie vorhin.

„So werde ich Sie zu zwingen wissen –“

„Ich rathe Ihnen, das nicht zu thun,“ fiel der Marquis drohend ein, „Sie würden mich sonst zwingen zu erklären, weßhalb ich Ihnen die Genugthuung weigere. Das würde Sie in der Gesellschaft unmöglich machen und mir eine Verantwortung auferlegen, die ich nur im äußersten Nothfall tragen würde. Ich wiederhole meine Forderung; wird sie nicht erfüllt, so öffne ich meiner Schwester und ihrem Sohne die Augen – ich denke, Sie lassen es nicht darauf ankommen!“

Er neigte das Haupt, so stolz und verächtlich, daß der Gruß füglich für eine neue Beleidigung gelten konnte; dann wandte er sich um und ging. – Clermont stand unbeweglich und sah ihm nach. Sein ganzer Körper bebte in mühsam unterdrückter Wuth, und halblaut murmelte er: „Das sollst Du mir büßen!“

(Fortsetzung folgt.)

Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.

Von Guido Hammer.
Nr. 51.0 Jugenderinnerungen: Mein erster Hirsch.

Mächtiger Gestalt und silberlockigen Hauptes, das männlich schöne Antlitz durch schneeweiße Brauen und ebensolchen, kühn getragenen Schnurrbart gar prächtig noch gehoben, in der kleidsamen sächsischen Jägertracht von grüner Pikesche und weiten rehfarbenen Charivarihosen, den Hirschfänger mit daran hängender Fangleine an der Seite, um den Leib aber die gewaltige Hetzpeitsche geschlungen, dazu hoch auf schwarz- und zottiggemähnter Falbe sitzend – so steht noch heute in ganzer, frischer Lebendigkeit diese stattliche Erscheinung eines echten, rechten Waidmannes, des einstigen Oberförsters Konstantin vom Fischhäuser Reviere auf Dresdener Heide, vor meinem geistigen Auge. Und doch ist’s schon ein halbes Jahrhundert her, daß ich, der damals kaum Fünfzehnjährige, dieses Musterbild eines hirschgerechten Jägers zum ersten Male erblickte, als dessen Sohn, mein damaliger Schul- und Jugendgenosse, mich in sein elterliches Haus einführte und dabei vor Allem seinem eben in das Revier hinausreitenden „Alten“ vorstellte.

Von diesem mir unvergeßlich gebliebenen Tage an zog es mich immer und immer wieder hinaus nach dem so lauschig unter Buchen, Weymouthskiefern und Jahrhunderte alten Linden gelegenen Walddaheim, um hier in dem liebgewordenen Kreise der Försterfamilie, der namentlich auch ein goldhaariges Töchterlein angehörte, wahrhaft jugendglückliche Stunden zu verleben. Zumal in den langen Winterabenden, an welchen dann der Oberförster so gern und zur Freude Aller selbsterlebte Jagdgeschichten zum Besten gab. Stehen mir diese doch nicht minder frisch im Gedächtniß, wie der Vortragende selbst, und in der Erinnerung daran dünkt es mich, als hätte ich sie eben aus dessen Munde vernommen. Vor allen aber ist’s eine davon aus seiner Jugendzeit, die mich von jeher am meisten gefesselt hat, deren Thatbestand aber auch den Erzähler selbst jedesmal von Neuem auf das Lebhafteste anregte, sobald derselbe – und dies geschah oft – darauf zu sprechen kam. Darum bin ich denn auch noch recht wohl im Stande, dieselbe ziemlich getreu nacherzählen zu können, was ich nun an dieser Stelle, wie folgt, versuchen will.

„Mein erster Hirsch“ – begann der biedere, nun schon längst verstorbene Grünrock regelmäßig diese seine Geschichte – „welcher mir als blutjungem, eben erst losgesprochenem Jägerburschen vor die Büchse kam und von mir geschossen ward, dessen werde ich all meine Lebtage mit ganz besonderer Lust eingedenk bleiben.“

Nach einer hierauf jedesmal folgenden Pause fuhr er dann ohne weitere Unterbrechung fort:

„Ich hatte, wie schon gesagt, nur erst meine Lehrjahre überstanden, und zwar auf *dorfer Revier in der sächsischen Schweiz beim Förster Pommerich, einem kreuzbraven, aber teufelsmäßig scharfen und oft recht unwirschen alten Manne, als ich von diesem meinem Gestrengen eines rauhen, nebeligen Herbstfrühmorgens – die starken Hirsche schrieen bereits seit einigen Tagen ganz gehörig – den Befehl erhielt, mit ihm hinauf ins Oberrevier nach

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 668. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_668.jpg&oldid=- (Version vom 27.9.2022)