Seite:Die Gartenlaube (1886) 667.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Wie elegisch das klingt! Nehmen Sie sich in Acht, daß Gräfin Hertha diesen Ton nicht hört, sie könnte ihn sonst übelnehmen!“

Raoul antwortete nicht, aber er trat an den Sessel der jungen Frau und beugte sich zu ihr nieder.

„Heloise!“

Das Wort klang halb vorwurfsvoll, halb flehend, schien aber nicht verstanden zu werden, denn sie sah wie erstaunt zu ihm auf.

„Nun?“

„Sie wissen es doch am besten, was mir diese Verbindung ist, zu der ich von meiner Mutter gedrängt, überredet wurde, die ich jetzt schon als eine Fessel empfinde, noch ehe sie geschlossen ist.“

„Und die Sie trotzdem schließen werden.“

„Das ist noch die Frage!“

In Heloisens dunklen Augen sprühte es wieder blitzartig, dann aber senkte sie die Wimpern und schien angelegentlich die Zeichnung ihres Fächers zu studiren, während sie in leichtem Tone sagte:

„Wollen Sie etwa eine Rebellion versuchen? Das würde einen Sturm ohne Gleichen in Ihrer Familie geben, und die allerhöchste Ungnade wäre Ihnen gewiß.“

„Was frage ich darnach, wenn mir nur ein Glück verheißen wird!“ brach Raoul leidenschaftlich aus. „Um diesen Preis trotze ich selbst dem Zorne meines Großvaters. Ich glaubte es ja überwinden, vergessen zu können, als Hertha meine Braut wurde; da kam ich zurück, da sah ich Sie wieder, Heloise, und da fühlte ich, daß der alte Bann mich festhielt und ewig festhalten wird. – Sie schweigen? Haben Sie wirklich keine Antwort für mich?“

Sein Auge suchte das ihrige und fand es auch endlich; jetzt war der Blick der jungen Frau wieder weich und verschleiert, und ebenso weich klang ihre Stimme, als sie halblaut sagte: „Sie sind ein Thor, Raoul!“

„Nennen Sie es Thorheit, wenn man glücklich zu sein verlangt?“ rief er aufflammend. „Sie sind Wittwe, Heloise, Sie sind frei, und wenn –“

Er konnte nicht vollenden, denn in demselben Augenblicke wurde die Thür etwas geräuschvoll geöffnet und Clermont trat wieder ein. Er schien weder das hastige Auffahren seines Freundes, noch den unwilligen Blick, den die Schwester ihm zusandte, zu bemerken, sondern rief im harmlosesten, heitersten Tone:

„Da bin ich! Nun können wir noch eine Viertelstunde plaudern, Raoul.“

Das Gesicht des jungen Grafen verrieth, wie unwillkommen ihm diese Unterbrechung war, und in der übelsten Laune entgegnete er:

„Ich habe leider keine Minute mehr übrig, ich sagte es Dir ja, daß ich nur im Fluge herkam. Gnädige Frau –“

Er wandte sich wieder an Heloise und schien noch eine leise Frage an sie richten zu wollen, aber plötzlich trat Clermont zwischen Beide und legte scherzend, aber doch mit einem gewissen Nachdruck die Hand auf den Arm seiner Schwester.

„Nun, wenn Du solche Eile hast, wollen wir Dich nicht halten, nicht wahr, Heloise? Auf morgen denn!“

„Auf morgen!“ wiederholte Raoul, ihm flüchtig die Hand reichend; er schien keine Lust zu haben, den Freund zum Vertrauten zu machen, sondern verabschiedete sich in gewohnter Weise und ging, wenn auch mit sichtbarer Verstimmung. Kaum hatte sich die Thür hinter ihm geschlossen, so wandte sich die junge Frau mit sehr ungnädiger Miene zu ihrem Bruder: „Du kamst sehr ungelegen, Henri!“

„Das sah ich,“ versetzte er ruhig. „Ich hielt es aber für Zeit, der Scene ein Ende zu machen, denn Du warst im Begriff, sie ernsthaft zu nehmen.“

Heloise warf mit trotziger Entschiedenheit den Kopf zurück.

„Und wenn ich das nun thäte! Würdest Du mich vielleicht hindern?“

„Nein, aber ich würde Dir klar machen, daß Du im Begriff bist, eine grenzenlose Thorheit zu begehen; weiter bedarf es hoffentlich nichts, um Dich zur Vernunft zu bringen.“

„Meinst Du? Du könntest Dich doch irren,“ sagte sie triumphirend. „Du unterschätzest meine Macht über Raoul. Ein Wort von mir, und er zerreißt seine Verlobung und bietet seiner ganzen Familie Trotz.“

„Und was dann?“

Die kühle, scharfe Frage machte dem Triumphe der jungen Frau ein Ende, sie blickte betroffen den Bruder an, der mit vollkommener Gelassenheit fortfuhr: „Dn kennst den General. Glaubst Du, daß er seinem Enkel jemals einen solchen Schritt verzeihen, daß er eine Verbindung mit Dir auch nur zulassen würde? Und gegen seinen Willen kann sich Raoul überhaupt nicht vermählen, da er gänzlich von ihm abhängt.“

„Er ist der Erbe seines Großvaters, und dieser steht bereits in den Siebzigen –“

„Ist aber eine eiserne Natur, mit einer stählernen Gesundheit,“ fiel Clermont ein. „Er kann noch zehn Jahre leben, und Du bist doch nicht thöricht genug, Dir einzubilden, daß Raoul’s Leidenschaft oder Deine Jugend so lange Stand hält? Du bist volle fünf Jahre älter als er.“

Frau von Nérac preßte heftig ihren Fächer zusammen.

„Henri, Deine Rücksichtslosigkeit übersteigt bisweilen alle Begriffe!“

„Es thut mir leid, aber ich kann Dir die Wahrheit nicht ersparen. Du kannst nicht mehr auf die Zukunft rechnen, dafür muß die Gegenwart wahrgenommen werden. In wenigen Jahren hast Du überhaupt nicht mehr zu wählen.“

Heloise antwortete nicht, aber sie nahm eine äußerst gereizte Miene an. Die Erörterung beleidigte sie augenscheinlich, Clermont nahm jedoch keine Notiz davon; er behielt seine kühle überlegene Ruhe.

„Und gesetzt auch, Raoul käme bald, käme jetzt schon in den Besitz seines Erbes, er wäre dennoch keine Partie für Dich. Dem General erlaubt das hohe Einkommen seiner Charge auf anständigem Fuße zu leben, das fällt bei seinem Enkel fort. Schloß Steinrück ist ein Luxusbesitz, der vielleicht noch Zuschuß erfordert, jedenfalls nichts einbringt, und was das Majorat mit den großen Herrschaften betrifft, an welches Du wahrscheinlich denkst, so gehört es der süddeutschen Linie. Die norddeutschen Vettern wußten recht gut, warum sie sämmtlich in den Staats- und Armeedienst traten. Das Familiengut reicht allenfalls hin, einen braven Landedelmann zu ernähren, der mit Weib und Kind zeitlebens auf seiner Scholle sitzt und sich selbst mit der Bewirthschaftung plagt. Aber Du und Raoul in einer solchen Lage – es wäre wirklich zum Lachen! Ueberdies liegt mir sehr viel daran, daß er vorläufig noch auf gutem Fuße mit dem General bleibt; durch ihn allein haben wir Fühlung mit dem Steinrück’schen Hause.“

„Das wäre viel leichter durch den Marquis de Montigny zu erreichen,“ sagte Heloise, noch immer in gereiztem Tone. „Er ist ja kürzlich an die hiesige Gesandtschaft versetzt worden und verkehrt selbstverständlich im Hause seiner Schwester.“

„Gewiß, aber Du irrst sehr, wenn Du glaubst, der stolze Montigny würde sich mit solchen Dingen abgeben. Er behandelt mich schon mit einer Nachlässigkeit, einer Nichtachtung, die mir oft genug das Blut ins Antlitz treibt. Er würde eher seine Stellung opfern, als sich herablassen – genug davon! Ich denke, Du siehst es jetzt selbst ein, daß Raoul’s Verhältnisse Deinen Ansprüchen auch nicht entfernt gewachsen sind; Du hast an der Seite Nérac’s bewiesen, wie weit diese Ansprüche gehen.“

„Konnte ich dafür, daß er sein Vermögen bis auf den letzten Rest verschwendete?“

„Nun, Du hast ihm redlich dabei geholfen, wir wollen das nicht weiter erörtern. Die Thatsache ist, daß wir ohne jedes Vermögen sind, und daß Du auf eine glänzende Partie angewiesen bist. Dein Roman mit Raoul muß eben ein Roman bleiben, und Du würdest sehr unklug handeln, wenn Du ihn zu einem Bruche mit seiner Braut triebest. So lange der General lebt, ist eine Verbindung zwischen Euch überhaupt eine Unmöglichkeit, später Wäre sie eine Thorheit. Bedenke das und sei vernünftig!“

„Was giebt es denn?“ fragte die junge Frau, sich ungeduldig umwendend, da in diesem Augenblick der Diener mit einer Karte eintrat. „Wir sind im Begriff auszufahren und können keinen Besuch annehmen.“

„Es ist ein Herr von der Gesandtschaft, er wünscht Herrn de Clermont nur auf einige Minuten zu sprechen,“ entschuldigte sich der Diener.

„Ah, das ist etwas Anderes,“ sagte Henri rasch, indem er die Karte nahm; plötzlich aber stutzte er und reichte sie seiner Schwester, die ebenfalls einen erstaunten Blick darauf warf.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 667. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_667.jpg&oldid=- (Version vom 27.9.2022)