Seite:Die Gartenlaube (1886) 638.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Was will das werden?
Roman von Friedrich Spielhagen.
(Fortsetzung.)
10.

Ich fühlte mich als Verdammter und schalt mich Feigling und Narr, während ich, dem glattzüngigen Präsidenten endlich glücklich entronnen, hätte gehen können und doch nicht ging, sondern so weiter durch die Gesellschaft schweifte, die inzwischen vollzählig versammelt war und die großen Räume im Uebermaß füllte: mit Orden bedeckte hohe Officiere, weniger reich dekorirte Würdenträger vom Civil, mit ihren Frauen, die sich einander in zum Theil wunderlichen Toiletten und steifer Haltung überbieten zu wollen schienen; aber auch viele jüngere Leute: Herren in Uniform oder Frack, und die betreffenden Damen, unter welchen letzteren einige wenige anmuthige Gesichter. Das stand nun in dichten Gruppen oder schob sich unter höflichen Ausbiegungen durcheinander mit dem stereotypen Lächeln auf den abgespannten Gesichtern, denn in den nicht eben hohen Räumen herrschte eine kaum erträgliche Temperatur und – „bei Tante Isabella wird nicht früher soupirt, als bis zwei oder drei in Ohnmacht gefallen sind,“ sagte Ulrich, der Plötzlich neben mir war.

„Es ist natürlich Büffet,“ fuhr er fort, „das nebenbei gar nicht so übel zu sein pflegt. Hast Du Dich schon engagirt?“

„Ich wüßte nicht, mit wem,“ erwiderte ich, „auch habe ich nicht die Absicht zu bleiben.“

„Davon kann keine Rede sein,“ sagte Ulrich lebhaft, „ich habe den speciellen Auftrag von Ellinor, Dich an den Tisch zu bringen, den ich eigens für uns habe reserviren müssen: Ellinor selbst, die beiden kleinen Blumenhagen, die wirklich ganz nett sind, Astolf selbstverständlich, Renten, Blewitz und noch ein paar. Sie sagt, sie hat eine Dame für Dich in petto die sie Dir selber bringen will deßhalb meine Frage, ob Du Dich bereits engagirt hattest. Also sei kein Frosch und bleib’! Ich will nur schnell Ellinor sagen, wo Du steckst. Sie suchte Dich vorhin überall. Es kann aber einige Zeit dauern, bis ich wiederkomme; sie ist eben jetzt sehr beschäftigt.“

Er war davongeeilt, ohne meine Antwort abzuwarten, mit der ich gezögert hatte, fühlend, daß ich nicht so leicht die schickliche Form würde finden können. Das Herz klopfte mir zum Zerspringen. Ich war empört über die Zumuthung, an einem Tische mit ihr und ihrem Bräutigam – denn dafür schien man doch Astolf allerseits zu nehmen – im Gefolge ihrer anderen erklärten Kourmacher speisen zu sollen; und dann sagte ich mir wieder, daß, wenn ich von der Leidenschaft, die mich zerrüttete, wirklich geheilt sein wollte, ein heroischeres Mittel als dies, der Zeuge von Astolf’s Triumph zu sein, nicht gefunden werden könne.

„Haben Sie einen Augenblick für mich?“

Es war Renten, der mit geheimnißvoller Miene an mich herangetreten war und, als ich mich stumm verbeugte, im Flüster tone fortfuhr:

„Verzeihen Sie die diplomatische Komödie, die ich Jhnen vorhin in Gegenwart der Andern vorspielen mußte! weßhalb meinen Sie, daß ich hier bin? – Aber, bitte, setzen wir uns da an das Fenster wir sind da weniger leicht gestört – also: weßhalb meinen Sie?“

„Ich denke, Sie kommen jetzt öfter nach Berlin?“

„Allerdings, allerdings. Aber gerade diesmal, gerade heute?“

„Ich meine, es ist besser, wenn Sie es selbst ohne Umschweife sagen.“

„Ohne Umschweife! gewiß! wir sind ja unter uns – nicht umgeben von lauschenden Ohren: Ich bringe Ihnen Grüße aus unserer grünen Heimat.“

Die blauen Puppenangen starrten mich erwartungsvoll an.

„Verbindlichen Dank,“ erwiderte ich ruhig, obgleich mir das Herz heftig schlug. „Und deßhalb wären Sie hier?“

„Nur deßhalb. Heute Nachmittag angekommen; wußte, daß ich Sie am Abend hier treffen würde.“

„Sie werden sich längere Zeit in Berlin aufhalten?“

„Ich hoffe, mich meines Auftrags schnell und glücklich entledigen zu können.“

„Also doch ein Auftrag?“

„Derselbe, der in meinem Gruß enthalten ist, wenn er verstanden und – erwidert wird.“

Und abermals ein erwartungsvolles Starren der Puppenaugen.

„Nun denn, Herr von Renten, so grüßen Sie unsre grüne Heimat wieder von mir! Sagen Sie ihr, daß ich oft und oft voll Dankbarkeit und Rührung an sie zurückdenke; daß ich die Tage, die ich in ihr verleben durfte, zu den glücklichsten meines Lebens zähle – trotz alledem; daß mich aber, dieses Glück zum zweiten Mal auf die Probe zu stellen, nichts auf der Welt bewegen könnte.“

Ich wollte mich erheben; er legte mir schnell die Hand auf die Kniee und sagte in fast weinerlichem Ton: „Nichts auf der Welt?“

„Nichts!“

„Auch wenn – auch wenn – mein Gott, Sie setzen mir ja die Pistole auf die Brust! – auch wenn Sie in Ihrer Heimat Ihre – Ihre Frau Mutter wiederfinden würden?“

„Mein Herr –“

Ich war nun doch aufgesprungen, er war mir gefolgt.

Mich reute meine Heftigkeit. Was konnte der Mann, der da vor mir stand – mit einer Bestürzung in den Mienen, die sein Gesicht vollends albern machte – was konnte er wissen von dem Sturm, welchen sein Wort in meiner Brust entfesselt, was von dem Schmerz der Wunde, die er so jäh berührt hatte? Und hätte er’s gewußt – er handelte doch nur im Auftrage seines Gebieters.

„Verzeihen Sie mir,“ sagte ich. „Ich bin heute Abend mehr als billig erregt, und dies kam so unerwartet.“

„Aber ich bitte Sie,“ flüsterte er, „kein Wort, kein Wort!

Ich kann Ihnen das so nachfühlen! Ich bin selbst in kaum geringerer Erregung – mein Gott, es steht ja so viel auf dem Spiel. Ich hätte langsamer vorgehen sollen – diplomatischer. Aber ist uns denn Zeit gelassen? Drängt nicht Alles nach Entscheidung? Sie kennen seine heftige Gemüthsart, die seitdem nicht abgemildert ist – das weiß der Himmel! Und auch ein Ruhigerer als er – der übrigens schon seit Wochen mit Bestimmtheit vorausgesehene Tod der Herzogin – die Möglichkeit der Verwirklichung eines so lange und – wie es sich jetzt zeigt – so leidenschaftlich gehegten Wunsches – vielmehr zweier Wünsche, die Hand in Hand gehen, so daß sie entweder beide erfüllt werden, oder keiner – die Steigerung dieser Möglichkeit bis zur positiven Wahrscheinlichkeit –“

„Verzeihen Sie, Herr von Renten,“ unterbrach ich den Eifrigen; „aber es ist mir nicht möglich, Ihren Andeutungen zu folgen. Ich möchte auch gar nicht folgen können. Sie ahnen nicht, wie unsäglich peinlich mir dies Alles ist. Ich bitte Sie, lassen Sie uns abbrechen!“

Die Puppenaugen wurden wieder ganz gläsern.

„Abbrechen?“ murmelte er, „wo noch nichts entschieden ist, wo eben eine Entscheidung getroffen werden muß, während Sie noch nicht einmal wissen, worauf ich Sie vorbereiten wollte? Mag mir mein gnädiger Herr vergeben, wenn es jetzt der rechte Augenblick nicht ist; aber Sie lassen mir keine Wahl: Ihre Frau Mutter ist in Berlin. – O Gott, dachte ich es doch!“

Mein Gesicht mochte wohl für den Augenblick entstellt genug gewesen sein; aber ich faßte mich mit einer ungeheuren Anstrengung, und konnte nach einigen Sekunden verhältnißmäßig ruhig fragen:

„Seit wann?“

„Ebenfalls seit heute Vormittag.“

„Wo ist sie abgestiegen?“

Er nannte mir ein kürzlich eröffnetes großes Hotel.

„Haben Sie sie gesprochen?“

„Bevor ich hierher kam. Sie hatte die Güte, mich auf eine halbe Stunde zu empfangen. O, welch’ eine Frau ist dies!“

„Einen Auftrag von ihr an mich haben Sie nicht?“

„Nein. Ihre Frau Mutter meinte, es wäre besser so. Sie warnte mich sogar vor einer zu frühzeitigen Mittheilung des

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 638. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_638.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2023)