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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Verzeihe!“ sagten; „ich hatte vergessen, daß Du mich – im guten Sinne, versteht sich –- nicht beleidigen kannst.“

„Auch habe ich Dich nicht beleidigen wollen,“ sagte ich, seine Hand ergreifend.

„Abgemacht!“ rief er, mir die Hand in alter Weise schüttelnd, daß ich den Schmerz, den er mir in meinem kranken Arme verursachte, nicht ganz zu verbergen im Stande war.

„Armer Kerl,“ sagte er, „das ist also doch geblieben! Nach so viel Jahren! Und ich – ah! ich richte Unheil an, wohin ich komme. Und ist doch so schön genug von der Sorte in der Welt. Du kannst davon mitsprechen. Dir haben Deine lieben Eltern das gleich bei Deiner Geburt besorgt.“

„Wenn es Dir recht ist: über dies Thema kein Wort weder jetzt noch in Zukunft.“

„Schade! Ich hätte ein gut Theil darüber zu sagen. Weißt Du, daß die Herzogin gestorben ist? In Mentone – vor drei Tagen?“

„Nein, diese Welt ist für mich versunken.“

„Manchmal tauchen auch versunkene Welten wieder auf.“

Ich erwiderte auf diese Bemerkung nichts. Die unerwartete Nachricht hatte mich doch seltsam getroffen. Ich hatte die Dame ja nie gesehen, aber nur Gutes von ihr gehört und ihr trauriges Schicksal im Stillen immer aufrichtig beklagt. Der Herzog war also auch nach dieser Seite frei vor der Welt und seinem Gewissen, wie er es in seinem Handeln ja stets gewesen war. Und plötzlich fuhr mir durch den Kopf, ob Weißfisch’s Besuch mit dem Ereigniß wohl in Zusammenhang stehen möchte?

Ulrich, der an den Tisch getreten war, hatte das Manuskript des „Münzer“ dort entdeckt und hob jetzt das Heft in die Höhe, rufend:

„Ei, der Tausend! Du bist der geheimnißvolle Verfasser der famosen Tragödie, die auf dem X-Theater aufgeführt werden soll, und von der heute der „Börsenkourier“ ein solches Tamtam macht? Also wirklich unter die Poeten gegangen? Nun, es war vorauszusehen. Das sollte Dein Freund Israel gewußt haben!“

„Wie kommst Du auf den?“ fragte ich verwundert über die seltsamen Sprünge, die unser Gespräch machte, nachdem es einmal aus der Bahn geschleudert war.

„Ich las das Blatt in seinem Komptoir,“ erwiderte er.

„Bin schon seit langer Zeit in Geschäftsverbindung mit ihm. Wollte, sein Vater wäre ein so ehrlicher Kerl gewesen wie er; die Nonnendorfer Aktien würden heute nicht so tief unter Pari stehen. Erzählte, mir auch gleich in der Freude seines Herzens von Deinen amerikanischen Beziehungen. Illimitirter Kredit! Wetter, wenn ich doch wenigstens einen limitirten hätte! War übrigens die Verschwiegenheit selbst. Behauptete, nicht zu wissen, wer der eigentliche Kreditgeber sei. Beruhige Dich! Ich machte ein ebenso dummes Gesicht wie er, hatte nicht die leiseste Ahnung davon, daß man von – na, Du weißt ja! – nach Berlin unter Anderem auch über New-York schreiben kann. Mein Gott, ich höre ja schon auf! Aber freilich, wenn ich nicht einmal in so zarten Andeutungen über gewisse Dinge reden darf, so wird unser Verkehr allerdings fast zur Unmöglichkeit. Und ich gebe Dich nicht auf, trotzdem wir an schlechte Behandlung nicht gewöhnt sind, – nicht wahr, Melac?– schon um Ellinor’s willen nicht. Und nun höre einmal ordentlich zu, um was ich Dich als mein alter Freund bitten will und jetzt bitten kann, nachdem Du mir für Deinen Ausfall von vorhin eine kleine Genugthuung schuldig bist – verstanden?“

Er hatte sich dicht vor mich hingestellt, mich beim Rockknopf ergriffen und fuhr in eindringlichem halblauten Tone fort:

„Was ich Dir vorhin über unsere Verhältnisse, besonders über das Mischen Astolf und Ellinor mitgetheilt, ist buchstäblich wahr. Eine glückliche Ehe wird’s nicht, aber es ist Ehrensache der Familie, daß sie zu Stande kommt, und zwar bald, oder sie kommt nicht zu Stande. Wohl aber anstatt dessen ein Skandal, nämlich der, daß, wenn der Onkel in seiner Opposition gegen die Regierung nicht einlenkt, vielleicht gar noch weiter geht, Astolf entweder selbst den Dienst quittiren muß, um Ellinor heirathen zu können, oder von der Bewerbung der Tochter eines offenbaren Revolutionärs zurückzutreten gezwungen ist. Das wäre dann wieder, da ihr Verhältniß zu Astolf in unseren Kreisen allbekannt ist, eine schauderhafte Blamage für Ellinor, in Anbetracht der Veranlassung des Bruches eine doppelte. Daß Ellinor heute selbst gekommen ist, den Onkel und Dich zur Tante einzuladen, mag Dir ein Beweis sein, wie klar sie die Situation sieht, und wie viel ihr im letzten Augenblicke daran liegt, die Sache zu einer raschen, endgültigen und glücklichen Entscheidung zu bringen. Deßhalb nun, wenn Du Ellinor einen ritterlichen und mir einen Freundschaftsdienst erweisen willst – der nebenbei auch in dem eigensten Interesse des Onkels ist, wie ich und noch andere Leute, die nicht auf den Kopf gefallen sind, es verstehen – mache, daß er zu der Gesellschaft kommt, die nur um seinethalben arrangirt ist, und in her Du gut und mit Auszeichnung aufgenommen werden wirst, ohne daß irgend Jemand Deinem Zartgefühl auch nur mit einem Hauch zu nahe tritt. Dafür übernehme ich die Bürgschaft. Wenn ich mir hinzuzufügen erlaube, daß es Dir, wie ich Dich beurtheile, nicht unlieb sein wird, die Gastfreundschaft, welche meine Eltern einst dem armen Handwerkersohn erwiesen haben, in Deiner jetzigen Lage durch einen großen der Familie geleisteten Dienst wett machen zu können, so habe ich, glaube ich, Alles gesagt, was zu sagen ist. Und nun, was gedenkst Du zu thun?“

„Ich werde den Einfluß, den ich etwa auf Deinen Onkel habe, aufbieten, ihn zu bestimmen, daß er kommt.“ .

„Und Du selbst?“

„An mir ist doch wohl nichts gelegen.“

„Im Gegentheil! So viel, daß, falls sich der Onkel nicht entschließen könnte, Du aber von seiner Seite mit freundlichen Erklärungen kämst, es vielleicht sogar genügen würde.“

„Dann werde ich jedenfalls kommen.“

„Abgemacht! Und nun verzeihe, daß wir Dich so lange belästigt haben. Komm, Melac!“

5.

Bis zu dem späten Mittagsmahl, welches ich stets mit dem Oberst einnahm, hatte ich noch mehrere Stunden. Ich sagte dem Burschen, daß ich inzwischen Besuche abzustatten habe, Und machte mich auf den Weg.

Zuerst zu Adele. Ich mußte in Erfahrung bringen, ob die außerordentliche Handlungsweise meiner Mutter auf ihre Anregung zurückzuführen sei.

Adele wußte von Nichts. Wie hätte sie zu einem solchen Schritt den Muth haben sollen, nachdem ich meinem Widerwillen dagegen einen so unzweifelhaften Ausdruck gegeben? Freilich hätte sie gewünscht, daß es so kommen möge; aber wie hätte sie nach meinen Mittheilungen hoffen dürfen, daß es so kommen werde? Nun indessen, da es gekommen, würde ich doch nicht so hartherzig und ein so ausbündigex Narr sein, die so liebevoll dargebotene Hand der Mutter und die reiche Gabe, die sie mir – gewiß nur als Abschlagszahlung künftigen Ueberschwanges mütterlicher Freigiebigkeit – bietet, zurückzuweisen. Sofort solle ich zu Herrn Israel fahren, meine Erklärung, von dem Kredit keinen Gebrauch machen zu wollen, zurücknehmen, vor Allem mir den ungelesenen Brief wiedergeben lassen!

Ich hatte mit dem lieben Wesen einen schweren Stand und verwünschte meine Thorheit, sie bei dieser Angelegenheit ins Vertrauen gezogen zu haben. Ihre einmal erregte Phantasie konnte nicht müde werden, die schönsten Schlösser zu bauen, zu denen die vollständige Aussöhnung mit meiner Mutter, welche für sie eine Thatsache war, das Fundament hergab. Den Tod der Herzogin, von dem ihr der Graf Mittheilung gemacht – sie selbst las grundsätzlich keine Zeitungen - erklärte sie für ein Ereigniß, welches Aussichten eröffne, die sie mir nicht weiter ausmalen wolle, denn wenn einer stockblind und nebenbei ein so störrischer Junge sei, so sei ihm eben nicht zu helfen. Das habe ich denn doch in der Angelegenheit mit Ellinor bewiesen. Sie wünsche zu wissen, wie eine junge Dame in ihrer Zuvorkommenheit noch weiter gehen könne, ohne dem Betreffenden demnächst um den Hals zu fallen. Nun scheine es ja ein Aufflackern von Vernunft, daß ich doch wenigstens für mich die Einladung angenommen und versprochen habe, auch dem Oberst zuzureden; aber wer könne wissen, ob dieser Funke nicht ebenso bald wieder verlöschen und der alten schwarzen Unvernunft Platz machen werde?

Ach, sie war wieder so gut, so schwesterlich, die Liebe, Holde, die da von ihrem niedrigen Mansardenfenster aus der engen, dürftigen Stube bunt schimmernde Seifenblasen in den rauhen Wintertag schickte für den geliebten Bruder, der die Kunst

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