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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

er, könne so nicht sprechen. Ich glaube, Sie, gnädiger Herr, und ich haben in diesem Fall ein kompetenteres Urtheil. Auf jeden Fall wollte ich mir verstatten, Sie persönlich und dringend zu bitten, auf die Vorschläge, welche der Herr Oberregisseur in einem längeren Begleitschreiben beigefügt hat, nicht einzugehen; und diese Bitte vorzubringen, war der Grund, weßhalb ich Herrn Lamarque – der in der That gerade jetzt übermäßig in Anspruch genommen ist – ersuchte, mich mit der Mission zu betrauen.“

Er hatte während der letzten Worte das blane Packet geöffnet, mir mein Manuskript und Lamarque’s Brief überreichen wollen und, da ich mich nicht rührte, beides auf den Rand des großen Arbeitstisches gelegt, worauf er wieder in seine Stellung zurücktrat, leicht geneigten Hauptes, mit niedergeschlagenen Augen meiner Antwort gewärtig.

„Ich werde Herrn Lamarque schriftlich erwidern,“ sagte ich; „im Uebrigen danke ich Ihnen.“

„Der Dank, gnädiger Herr, ist diesmal wie immer auf meiner Seite.“

Er hatte sich abermals tief verbeugt und war, ohne mich noch einmal anzublicken, zum Zimmer hinaus.

Ich hörte die Flurthür gehen und rief den Burschen.

„Sie lassen diesen Herrn nicht wieder herein – unter keinem Vorwande!“

„Zu Befehl!“

Ich ging mit ungleichmäßigen Schritten im Zimmer hin und wieder, trotz meiner Aufregung sorgfältig die Stelle vermeidend, wo die breiten platten Füße des Mannes gestanden. Wie hatte er es nach dem, was zwischen uns vorgefallen, wagen können, sich wieder vor mir sehen zu lassen? Wie hatte ich ihn mit dieser Lammesgeduld anhören mögen, ihn, der mich wie ein böser Dämon durch das Leben verfolgte? Hatte ich noch immer nicht genug von ihm? War das nicht wieder eine Teufelei – das dicke Manuskript da und der dicke Brief? Die Scene zwischen Münzer und dem Herzog streichen? Eine Scene, die für das Stück war, was für ein Portrait der Lichtpunkt im Auge? Sah denn Lamarque nicht, daß das Stück eigentlich für diese Scene geschrieben war? Aber freilich die Scene schien den Schluß aufzuhalten, die schon zum Klatschen bereiten Hände des Publikums zu lahmen, den Hervorruf des Helden in Frage zu stellen – also: weg damit! Nein, verehrter Herr Oberregisseur! die Scene bleibt! Kein Wort, kein Buchstabe davon wird geopfert! Oder das Stück wird nicht aufgeführt, mögen Sie denn, so gut Sie können, vor Apoll und den neun Musen verantworten, was Ihr Unverstand – Ich schlug mich vor die Stirn.

Das war denn doch die ausbündigste Narrheit, mich über Dinge zu ereifern, die tausend Meilen weit hinter mir lagen, wenigstens liegen sollten. Mein väterlicher Freund würde die schönen Augen seltsam weit aufmachen über diese Bescherung da auf seinem Arbeitstisch zwischen den gelehrten Folianten und Karten und Plänen. Und doch, wenn Einer im Stande war, die Frage zu entscheiden – es war ja keine Frage für mich – aber doch von ihm zu hören, daß ich Recht habe, daß Lamarque ein Esel, und Weißfisch, trotzdem er im Grunde nur ein ungebildeter Kerl – was giebt’s schon wieder?

Diesmal war es Jemand, den Johann nicht Wohl hatte abweisen können: ein Postbote mit einem eingeschriebenen Briefe. Sollte es Lamarque so eilig – aber das war nicht Lamarque’s Hand. Und doch kannte ich die Hand, nur mußte es schon längere Zeit her sein, daß ich sie nicht gesehen.

Ich hielt den uneröffneten Brief noch immer so vor mich hin, auf die Adresse starrend, und sagte plötzlich laut: „Ich will Hans heißen, wenn das nicht von Emil Israel ist!“

Das Lächeln, mit welchem ich die Worte begleitet, erstarb mir auf den Lippen. Ich hatte auch jetzt, obgleich ich es Wohl gekonnt hätte, den alten Freund nicht aufgesucht, auch seine Mutter und Schwester nicht, trotzdem ich gegen die beiden Letzteren eine schwere Schuld der Dankbarkeit abzutragen hatte; womit ich um so weniger hätte zögern dürfen, als ich von Maria, die noch immer mit den beiden Frauen in einiger Verbindung stand, erfahren, daß Jettchen schon seit längerer Zeit schwer an der Auszehrung leide und wohl kaum das Frühjahr erleben werde. Hatte Maria, wie ich annehmen mußte, in jenem Lager meine Adresse mitgetheilt? Kündigte mir Emil den Tod der Schwester an? War die Gute aus dem Leben geschieden, ohne daß ich ihr noch einmal in die sanften braunen Augen geblickt, ihr die zarte wohlthätige Hand gedrückt hatte?

Indessen, was half die zu späte Reue! Es mußte ja sein, und ich erbrach den Brief.

Aber aus dem heimlichen Beben wurde ein krampfhaftes Zittern, als ich den Inhalt las:

„Lieber alter Freund!

Durch Fräulein Maria von Werin, welche meiner armen Schwester noch von damals her eine gnädige Freundin geblieben ist, hatte sie – und wir, Mutter und ich, durch sie – bereits von Deiner Anwesenheit hier gehört. Wenn wir dennoch gezögert haben, Dir uns in Erinnerung zu bringen, so wolle es, bitte, einzig dem Umstände zuschreiben, daß wir nicht wußten, ob Dir diese Erinnerung eine angenehme sein möchte. Heute bin ich nun in der Lage, diesen Zweifel hintanstellen zu müssen, da ich Dir die geschäftliche Mittheilung schuldig bin, daß Dir von der New-Yorker Kommandite unseres Hauses ein vorläufig unbeschränkter Kredit bei uns eröffnet ist, zu welchem aufrichtig Glück zu wünschen ich mir erlaube, ohne Bezugnahme auf den näheren Zusammenhang, der Dir natürlich geläufig ist, eventuell in dem beigeschlossenen, uns zur sofortigen Besorgung anvertrauten Briefe aus New-York mitgetheilt werden dürfte.

Ich darf Wohl, ohne zu kühn zu sein, annehmen, daß ich bald das Vergnügen haben werde, Dich auf unserem Komptoir persönlich zu begrüßen. Von einer Einladung in unser Haus müssen meine Frau, die sich Dir unbekannterweise bestens empfiehlt, und ich Wohl vorläufig leider Abstand nehmen. Andernfalls bedarf es wohl nicht der Versicherung, wie hoch Du uns willkommen wärest, und wie sehr sich Mutter und Schwester durch das Wiedersehen eines alten lieben Freundes beglückt fühlen würden.

Um eine Empfangsbestätigung des New-Iorker Briefes bittend mit hochachtungsvoller Empfehlung seitens meines Kompagnons und Schwagers und besten Grüßen meinerseits

Dein ganz ergebenster
Emil Israel
(in Firma: Israel, Löbinsky und Komp.).“

Großer Gott, was hieß das? Ein Kredit, eröffnet von einem New-Yorker Hause, von dessen Bestehen ich keine Ahnung hatte und für das doch ich dasein mußte? Es konnte ja nicht sein. Es konnte doch nur ein Scherz von Adele gewesen sein, die Drohung, sich für mich an meine Mutter wenden und – wie ich es genannt hatte – einen Bettelbrief schreiben zu wollen, auf welchen – der da die Antwort war! Beim Himmel, lieb wie ich Adele hatte, das konnte ich ihr nimmer verzeihen! Ob man den Bittsteller mit einer Hand voll Geld oder einer Tonne Goldes abgefunden – oder abfinden wollte, das blieb sich gleich. Von dieser Hand nahm ich nichts – von dieser Hand, deren Schrift – o grausame Ironie! – der Verstoßene zum ersten Male in seinem Leben sah!

Nur auf dem Umschlag. Den Brief selbst würde ich nicht lesen. Er sollte so an den Absender zurückgehen. Von dem Kredit würde ich keinen Gebrauch machen und betrachtete denselben als für mich nicht vorhanden.

Das hatte ich in wenigen Zeilen an Emil geschrieben und hinzugefügt, ich würde in den nächsten Tagen bei ihm und seinen Damen, die ich vorläufig bestens von mir zu grüßen bitte, vorsprechen. Und ich hatte es so eilig mit der Antwort, daß ich Johann beauftragte, dieselbe sofort direkt in das Komptoir des Herrn Israel zu tragen.

Ich hatte auch alsbald an Adele schreiben und sie zur Rede stellen Wollen. Aber ich überlegte, es möchte jetzt härter herauskommen, als es die Gute verdiente. Ich wollte es ihr mündlich sagen. Ich wußte, daß ich nicht hart sein konnte, wenn ich ihr in die Augen sah.

Ich war mit mir zufrieden, und erhobenen Hauptes ging ich in dem großen Gemache auf und nieder, als draußen an der Flurthür geschellt wurde. Der Oberst konnte es nicht wohl sein, aber, wer es auch war, ich konnte ihn da nicht zum dritten Male schellen lassen, wie er es zum zweiten bereits gethan. So ging ich zu öffnen. Es war eine Dame, wie ich durch die ziemlich dichte Gardine der Fensterthür bemerkte, ohne die Harrende erkennen zu können. Zweifellos Adele – wer sonst? Ich öffnete schnell.

Ellinor stand vor mir.

(Fortsetzung folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 591. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_591.jpg&oldid=- (Version vom 30.4.2018)