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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Sankt Michael liebt den Sturm und die Flammen,“ sagte Hertha lächelnd. „Ich bin immer sehr stolz darauf gewesen, daß gerade der Heerführer des Himmels, der mächtige Kriegs- und Schlachtenengel, der Schutzpatron unseres Hauses ist. Sie führen ja auch seinen Namen, gerade wie mein Onkel Steinrück.“

Valentin warf einen raschen, etwas besorgten Blick auf seinen ehemaligen Zögling, aber das Gesicht desselben blieb unbewegt, und er erwiderte mit voller Gelassenheit:

„Jawohl – zufälligerweise!“

„Der Tag des Heiligen steht ja nahe bevor,“ wandte sich die junge Gräfin an den Pfarrer. „Der Wallfahrtsort ist dann wohl zahlreich besucht, nicht wahr, Hochwürden?“

„Die Bewohner der benachbarten Dörfer pflegen dann allerdings zu kommen, aber das eigentliche hohe Kirchenfest unseres Wallfahrtsortes fällt in den Mai, auf den Tag, der Michael’s Erscheinung kündet. Da strömt das ganze Gebirgsvolk herbei, von den fernsten Höhen und aus den entlegensten Thälern, so daß Kirche und Dorf gewöhnlich nicht die dichtgedrängte Menge zu fassen vermögen. Die Legende läßt den Erzengel an jenem Tage noch immer unsichtbar von der Adlerwand niedersteigen und mit seinem leuchtenden Schwert die Erde furchen, wie es sichtbarlich vor Jahrhunderten geschah, als das Heiligthum gegründet wurde.“

Sie waren bei den letzten Worten stehen geblieben, an einem Krucifix, das sich hier einsam auf grüner Matte erhob und grade nach der Adlerwand hinüberblickte. Ein Wildrosenstrauch rankte sich an dem Stamme des Kreuzes empor, das er fast überwucherte. Die dichten, grünen Zweige überschatteten und umspannen das heilige Bild, wie ein lebendiger Rahmen, dessen Blüthenpracht freilich längst dahin war. Dennoch hatten die warmen sonnigen Herbsttage noch einige späte Knospen erschlossen, nicht duftend und farbenreich, wie ihre Schwestern drunten in der Ebene, blasse, wilde Gebirgsrosen, die, heute erblüht, morgen vom Sturme entblättert werden, und doch schimmerten sie rosig in dem dunklen Grün, wie ein letzter Gruß des scheidenden Sommers.

Ein junger Bauer näherte sich jetzt mit abgezogenem Hute und etwas schüchtern der Gruppe, er hatte eine Anliegen an den Herrn Pfarrer, den er schon im Dorfe gesucht hatte. Die Mutter sei wieder recht krank und begehre dringend den Zuspruch Seiner Hochwürden; das Häuschen liege ja ganz nahe, kaum zweihundert Schritte weit, und wenn Hochwürden nur auf einige Minuten kommen wolle, so werde die Kranke schon erfreut und getröstet sein.

„Da werde ich wohl mit dem Hies gehen müssen,“ sagte Valentin. „Ich lasse die Gräfin unter Deinem Schutze, Michael, wenn sie in das Pfarrhaus zurückehren will –“

„Nein, Hochwürden, wir erwarten Sie hier;“ fiel Hertha ein. „Der Blick auf die Adlerwand ist ja prachtvoll!“

„Ich komme auch bald zurück,“ versicherte der Pfarrer, indem er mit freundlichem Gruße das Haupt neigte und dann in Begleitung des Hies nach dem nahen Häuschen schritt, in dessen Thür sie beide verschwanden.

Das unerwartete Alleinsein, das erste, seit sie sich überhaupt kannten, schien die beiden Zurückgebliebenen in Verlegenheit zu setzen, denn das eben noch so lebhafte Gespräch verstummte plötzlich.

(Fortsetzung folgt.)

Ausstellungs-Briefe.

Von Hermann von Baudissin.0 Mit Originalzeichnungen von W. von Roeßler.
2.0 Das Fest der Künstler.

Schwertertanz.

Darf ich Ihnen heute noch einmal etwas von der Jubiläums-Ausstellung vorplaudern? Diesmal will ich von dem Künstlerfeste berichten, dem ‚griechischen Feste‘, welches uns in so wundervoller Pracht das Leben und Treiben des kriegstüchtigen und zugleich kunstfrohen Hellas auf wenige Stunden vorzauberte. – Als ich am Abend des 25. Juni den Ausstellungspark betrat – waren sämmtliche Tribünen bereits besetzt. Was sich in Berlin zur „Intelligenz“ rechnete und das Geld lose in der Tasche fühlte – zwischen zehn und dreißig Mark schwankten die Preise für die Eintrittsbillets – hatte sich eingefunden.

Schon gegen halb sechs Uhr waren alle Sitze vergeben, und selbst der Oberbürgermeister von Berlin, Herr von Forckenbeck, mußte sich mit einem Stehplatze an der Treppe des Pergamenischen Tempels begnügen.

Freilich befand sich hier der Beschauer in unmittelbarster Nähe alles Dessen, was sich in den folgenden Stunden abspielen sollte; denn der Zug, von dem Ausgangspunkt – der Stadtbahn – beginnend, erreichte auf dem Platze vor dem Tempel sein Endziel.

Eine allgemeine Bewegung machte sich bemerkbar, als mit dem Schlage sechs Uhr das kronprinzliche Paar mit seiner Begleitung eintraf.

Der Kronprinz war in blauer Dragoneruniform erschienen und ragte mit seiner Gestalt hoch unter den Mitgliedern des ihn bewillkommnenden Festausschusses hervor.

Nun säuberten die angestellten Beamten den großen Platz um den Obelisken, und der Aufzug begann.

Vorher erschien auf dem Altarplatz des Tempels der Herold. (Professor Hertel) und theilte mit laut vernehmbarer Stimme dem Publikum das Programm mit:

„Posaunen erwecken die alte Zeit,
Lebendig wird Längstvergangenes heut.
Zweitausend Jahre denket zurück,
Ihr Schaut die Tage von Pergamons Glück.
Barbaren bedrohten Reich und Land,
Der König schlug sie mit starker Hand.
Nun kehrt er heim, mit dem Siege geschmückt,
Die Seinen umjauchzen ihn hochentzückt. –
Zu opfern nahet dem Altar
Held Attalos mit Heeresschar.“

Tubenstöße verkündigten alsdann das Herannahen des Herrschers. Ein Zug von etwa 1500 Menschen setzte sich in Bewegung. In feierlichem Schritt erschien zunächst der Areopag, und hinter ihm scharten sich die Musiker mit bronzenen Riesentuben und antiken Pauken. Sodann wälzte sich ein etwa 100 Personen umfassender Volkshaufe, Männer, Frauen, Jungfrauen und Kinder heran, dem ein Treffen von Kriegern folgte.

Diesen reihten sich in einem nicht enden wollenden Zuge die Gefangenen: Parther, Indier, Syrier, sowie auch das nubische Kriegsvolk in einem wunderbar wirkenden Farbengemisch der Kostüme an. Hinter ihnen die Trophäenträger, Flötenbläser, Wagen mit Kostbarkeiten und Beute, umringt von rufendem, schreiendem und musicirendem Volk. Dann Mauerbrecher, Steinschleuderer in großen Haufen, abermals Wagen, nochmals Trophäen, Opferthiere, Schafe, Esel, Kamele begleitendes Kriegsvolk, gefangene Fürsten, Leibwache, Priesterinnen und Tänzerinnen, Knaben und Mädchen mit vergoldeten Körben und Blumen, Fackelträger, Wettkämpfer, gefangene Königinnen auf Pferden und Kamelen, auch ein antiker Wagen aus Cypressenholz, von Ochsen gezogen, und abermals Volk.

Und mitten unter diesem Gewirr von Thieren und Menschen, letztere in glitzernden Harnischen und rautenverzierten Helmen, in phantastischen Kostümen mit Lanzen, Waffen, Tigerfellen, Decken, Panther- und Wolfspelzen – mitten in diesem farbenprächtigen und lebendigen Wirrwarr – der von vier weißen, prächtig

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 540. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_540.jpg&oldid=- (Version vom 15.4.2023)