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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

treu geblieben, auch er brachte regelmäßig zur Herbst- und Jagdzeit einige Wochen dort zu, da ihm seine militärische Stellung selten einen längeren Urlaub gestattete. Schwiegertochter und Enkel begleiteten ihn meist auf diesen Ausflügen, man empfing dann Gäste, veranstaltete Jagden, und das so öde, alte Bergschloß war eine kurze Zeit voll Lärm und Leben, bis es nach wenigen Wochen wieder in seine frühere Einsamkeit zurücksank.

Es war am Morgen nach der Ankunft des Grafen Raoul. Er befand sich in dem Zimmer seiner Mutter, und Beide waren in ein angelegentliches Gespräch vertieft, aber der Gegenstand desselben schien kein erfreulicher zu sein, Mutter und Sohn sahen ernst und verstimmt aus.

Gräfin Hortense Steinrück war jedenfalls eine blendende Schönheit gewesen; man sah noch jetzt die Spuren davon, wo sie die Mutter eines erwachsenen Sohnes war, und sie verstand es meisterhaft, noch immer anziehend zu erscheinen, wenn auch wohl die Kunst der Toilette einen hervorragenden Antheil daran hatte. Das geistvolle Antlitz, mit den dunklen, lebhaften Augen, besaß einen Reiz, der die Jugend zu ersetzen vermochte, und die etwas üppige Gestalt hatte sich die volle Grazie bewahrt.

Raoul zeigte eine auffallende Aehnlichkeit mit seiner Mutter, deren ganze Schönheit er geerbt hatte, auch nicht ein einziger Zug in dieser schlanken, jugendlichen Erscheinung erinnerte an den Vater oder Großvater, an das Steinrück’sche Geschlecht überhaupt. Es war ein herrlicher Kopf, mit dichtem, dunklem Lockenhaar, einer genialen Stirn und dunklen, sprechenden Gluthaugen, aber das Feuer, das sich in der Tiefe dieser Augen barg, konnte verzehrend auflodern, und selbst im ruhigen Gespräche brach es bisweilen daraus hervor wie ein heißer, versengender Strahl. So unbestritten die Schönheit des jungen Grafen war, es lag etwas darin wie ein halbverschleierter, dämonischer Zug, der sie freilich noch fesselnder machte.

„Also gestern Abend noch hat er Dich rufen lassen?“ sagte Hortense in erregtem Tone. „Ich wußte es, daß wieder ein Sturm heranzog, und versuchte, ihn abzuwenden, aber ich glaubte doch nicht, daß er gleich am ersten Abend losbrechen würde.“

„Ja, der Großpapa war äußerst ungnädig,“ erklärte Raoul, gleichfalls gereizt. „Er ging wegen einiger Tollheiten so streng mit mir ins Gericht, als ob es Staatsverbrechen wären. Ich hatte Dir ja schon gebeichtet, Mama, und hoffte auf Deine Fürsprache.“

„Auf meine Fürsprache?“ wiederholte die Gräfin bitter. „Du solltest doch wissen, wie machtlos sie ist, zumal wenn es sich um Dich handelt. Was gelten denn auch Mutterliebe und Mutterrechte einem Manne, der gewohnt ist, rücksichtslos Alles seinem Willen zu beugen und zu brechen, was sich nicht beugen will! Ich habe genug darunter gelitten, daß Dein Vater so völlig abhängig war, daß ich es nach seinem Tode bin, auch ich besitze ja nicht das geringste Vermögen, und man weiß uns festzuhalten an der Kette dieser Abhängigkeit. Wie oft schon haben mich diese Fesseln wund gedrückt!“

„Du irrst, Mama,“ warf Raoul ein. „Was mich zwingt, das ist nicht diese Macht des Großvaters, sondern seine Persönlichkeit. Es liegt etwas in seinem Auge, seiner Stimme, dem ich nicht trotzen kann. Ich will es nöthigenfalls mit der ganzen Welt aufnehmen, aber nicht mit ihm.“

„Ja, er hat Dich trefflich geschult! Das ist die Frucht einer Erziehung, die darauf berechnet war, mir jeden Einfluß zu rauben und Dich einzig an ihn zu ketten. Dir imponirt dieser Gebieterton, dieser Herrscherblick, ich sehe längst darin nur noch die Tyrannei, die ich von Anfang meiner Ehe an ertragen mußte, aber sie wird ja nicht ewig währen!“

Sie athmete tief auf bei den letzten Worten. Raoul erwiderte nichts, er stützte den Kopf in die Hand und sah zu Boden.

„Ich schrieb Dir bereits, daß Du Hertha und ihre Mutter hier finden würdest,“ hob die Gräfin wieder an. „Ich war überrascht von der Erscheinung Hertha’s, sie hat sich in dem Jahre, wo wir sie nicht gesehen haben, zu einer Schönheit ersten Ranges entwickelt. Findest Du das nicht auch?

„Ja, sie ist sehr schön – upd sehr verwöhnt und voller Laune! Ich habe das bereits gestern empfinden müssen.“

Hortense zuckte leicht die Achseln.

„Sie fühlt sich als reiche, gefeierte Erbin und überdies ist sie das einzige Kind einer grenzenlos schwachen Mutter, die ihr gegenüber nie einen Willen hatte. Du hast ihn, Raoul, und wirst ihn Deiner künftigen Frau gegenüber zur Geltung bringen, daran zweifle ich nicht, und ich bin hier einmal in dem seltenen Falle, ganz und rückhaltslos mit Deinem Großvater übereinzustimmen, der den gesammten Familienbesitz dereinst in Deiner Hand vereinigt wissen will. Die Einkünfte des Majorates sind sehr mäßig, dem Großvater ist nicht viel mehr als ein Jagdschloß vermacht worden, Hertha dagegen ist die Erbin der sämmtlichen Allodialgüter, und auch das reiche Witthum ihrer Mutter fallt dereinst an sie zurück. Ueberdies seid Ihr die beiden letzten Sprossen des Steinrück’schen Hauses, da ist eine Verbindung zwischen Euch eigentlich selbstverständlich.“

„Wenn Familienrücksichten allein maßgebend sind, allerdings – Ihr habt Euch ja beeilt, das festzustellen, als wir Beide noch Kinder waren,“ sagte Raoul mit einem Anfluge von Bitterkeit, der seiner Mutter nicht entging, sie sah ihn befremdet an.

„Nun, ich dächte, Du hättest allen Grund, mit dieser Familienübereinkunft zufrieden zu sein. Genügt sie doch selbst mir, die ich sicher die höchsten Ansprüche für Dich stellte. Du warst ja stets einverstanden, was soll denn jetzt die Wolke auf Deiner Stirn? Hat Dich eine bloße Laune Hertha’s so verstimmt? Ich gebe es zu, sie hat Dich gestern nicht besonders liebenswürdig empfangen, aber Du wirst Dich deßwegen doch nicht bedenken, mit der Hand einer schönen Frau einen Reichthum zu empfangen, um den Dich Tausende beneiden werden.“

„Das nicht, aber es widerstrebt mir, jetzt schon meine Freiheit zu opfern.“

„Freiheit!“ lachte Hortense auf. „Wagst Du es wirklich, das Wort in diesem Hause auszusprechen? Bist Du es nicht müde, mit Deinen fünfundzwanzig Jahren immer noch wie ein Knabe behandelt zu werden, dem man jeden Schritt vorschreibt? Ausgescholten zu werden, wenn Dein Betragen nicht genehm ist, um die Erfüllung jedes berechtigten Wunsches erst bitten zu müssen, und Dich demüthig zu fügen, wenn von höchster Stelle ein Nein erfolgt? Kannst Du auch nur einen Augenblick zögern, die Selbständigkeit zu ergreifen, die Dir geboten wird? Schon im nächsten Jahre geht laut Testament die Vormundschaft Deines Großvaters über Hertha zu Ende, dann tritt sie in ihre vollen Rechte und ihr Gemahl mit ihr. Mache Dich frei, Raoul, Dich – und mich!“

„Mama!“ sagte der junge Graf warnend, mit einem Blick auf die Thür, aber die erregte Frau fuhr nur leidenschaftlicher fort:

„Ja, auch mich! Was ist denn mein Leben in diesem Hause Anderes, als ein fortwährender Kampf und ein ewiges Erliegen? Du hattest bisher nicht die Macht, mich zu schützen gegen all die tausendfachen Kränkungen, die ich Tag für Tag erdulde, jetzt wirst Du sie haben, Du brauchst nur zu wollen. Ich flüchte zu Dir, sobald Du Herr auf eigenem Boden bist.“

Raoul erhob sich mit einer heftigen Bewegung. Die leidenschaftliche Beredsamkeit der Mutter blieb nicht wirkungslos, das sah man, und das Bild von Freiheit und Selbständigkeit, das sie ihm ausmalte, war verlockend genug für den jungen Mann, der eben noch so bitter die Strenge des Großvaters empfunden hatte. Dennoch zögerte er mit der Antwort, und es war etwas wie geheimer Kampf in seinen Zügen.

„Du hast ja Recht, Mama,“ sagte er endlich, „vollkommen Recht, ich widerstrebe ja auch nicht, aber wenn die Sache jetzt beschleunigt werden soll, wie es den Anschein hat –“

„So hättest Du doch allen Grund, Dich darüber zu freuen! Ich begreife Dich nicht, Raoul. Ich will doch nicht fürchten – Du hast Dich doch nicht etwa irgendwo gebunden?“

„Nein, nein!“ rief der junge Graf, hastig abwehrend, „davon ist keine Rede, ich versichere es Dir, Mama.“

Die Mutter schien durch diese Versicherung wenig beruhigt, sie war eben im Begriff, noch weitere Fragen zu thun, da wurde die Thür rasch, aber geräuschlos geöffnet, und die Kammerzofe der Gräfin rief mit gedämpfter Stimme: „Seine Excellenz, der Herr General!“

Sie hatte kaum Zeit, zurückzutreten, der General folgte ihr auf dem Fuße. Er blieb noch einen Augenblick auf der Schwelle stehen und streifte mit einem raschen forschenden Blick Mutter und Sohn.

„Seit wann ist denn diese strenge Etikette in unserer Familie eingeführt?“ fragte er. „Ich werde bei Dir gemeldet, Hortense?“

„Ich begreife Marion nicht. Sie weiß doch, daß die Meldung überflüssig ist.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 519. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_519.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2022)