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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

den ,Münzer' für die Unglückliche thun werden, was in Ihren Kräften steht. Sie haben sie jetzt gesehen, gesprochen. Glauben Sie, aus ihr eine Schauspielerin machen zu können?“

In Lamarque’s lebhaften Zügen zeigte sich ein entschiedener Unmuth. Er erwiderte trocken:

„Mau kann aus jedem hübschen und nicht dummen Mädchen eine Schauspielerin machen, wenn keine gute oder gar große, so doch eine Schauspielerin. Hübsch genug ist die junge Dame, und dumm scheint sie gar nicht zu sein.“

„So wäre also mir noch die Frage, ob Sie sich ihrer annehmen wollen. Kommen Sie, Lamarque, seien Sie gut! Ich – ich gebe Ihnen auch den ,Thomas Münzer’.“

„Topp!“ rief Lamarque mit einem geradezu blendenden Lächeln, mir abermals die Hand entgegenstreckend, in die ich mit einem sehr schlechten Gewissen die meine legte. – „Wann kann ich das Manuskript haben?“

„Wann Sie wollen. Und nun sagen Sie mir aufrichtig, wie haben Sie Christine Hopp gefunden? Hat sie Talent?“

„Zuerst eine Frage, die sehr indiskret scheint, die ich aber doch beantwortet haben möchte aus verschiedenen Gründen. Ist das Mädchen Ihre Geliebte?“

„Nein. Aber was hat das mit der Sache zu thun?“

„In schauspielerischen Dingen sind die Sachfragen auch fast immer Personenfragen – das sollten Sie doch wissen. In diesem Falle befreit mich Ihr offenherziges Nein von allen möglichen und unmöglichen Rücksichten, die ich sonst Ihrethalben hätte nehmen müssen, zum Beispiel gleich bei der Beantwortung Ihrer Frage, die Sie nun klipp und klar haben sollen. Ja, das Mädchen hat Talent, – zweifellos, und ich glaube bestimmt: ein sehr bedeutendes, das aber, wie jedes Talent, nur gedeihen kann, wenn es im Stande ist und die Kraft hat, sich mit Hintansetzung aller übrigen Interessen ganz seinen Aufgaben zu widmen. Begreifen Sie jetzt die Berechtigung meiner indiskreten Frage?“

Ich reichte dem klugen energischen Manne stumm die Hand.

„Damit ist nun gar nicht gesagt, daß sie nicht einen Anderen liebt,“ fuhr er fort, „und, offen gestanden, ich hatte und habe die Ueberzeugung: dem Mädchen rumort eine Liebe in Kopf und Herzen; aber gilt diese Liebe nicht Ihnen, macht sie mir schon weniger Bedenken.“

„Warum?“

Um des Schauspielers feine bartlose Lippen zuckte ein schalkhaftes Lächeln.

„Sie erlauben, daß ich, um Ihre mir bekannte Bescheidenheit nicht zu verletzen, diese Frage unbeantwortet lasse. Sehen Sie, Sie werden schon roth! Im Uebrigen: die Sache ist abgemacht. Ich nehme das Mädchen als meine Schülerin unter meine besondere Protektion und komme, um auch den Punkt zu erledigen, für alle Kosten auf. Auch für die, welche es voraussichtlich machen wird, sie aus ihrem augenblicklichen Verhältnisse zu lösen. Sie müssen nämlich wissen, daß die Inhaberin des Putzgeschäftes, die ihr gestern gekündigt hatte, heute wieder anderen Sinnes geworden ist und eine so schöne und geschickte Person unter keiner Bedingung weglassen will, was ich ihr ja so weit auch nicht verdenken kann. Wir werden also einen Druck üben, nöthigenfalls die Frau mit Geld abfinden müssen. Auf jeden Fall will ich die Sache noch heute Abend mit dem Vertreter unsers Theater–Anwaltes besprechen, den ich gebeten habe, mir hier ein Stelldichein zu geben. Ich wundere mich, daß er nicht schon hier ist. Der Mann ist sonst die Pünktlichkeit selbst. Nun, er wird schon kommen. Und eh’ ich’s vergesse: wer um aller Heiligen willen ist denn der Mensch, den Sie mir da heute Morgen geschickt haben? Ich bin aus dem Kerl nicht klug geworden; so viel ist sicher, daß er in seinem Leben schon mit allen Hunden der Welt gehetzt ist.“

„Ich weiß eigentlich nicht, ob ich es Ihnen sagen darf, da er es Ihnen selbst nicht gesagt hat,“ erwiderte ich lächelnd. „Er ist der, von dem ich Ihnen damals ein gut Theil erzählt habe: mein ehemaliger Lehrer, Weißfisch.“

Der Schauspieler schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn.

„Daß ich darauf nicht selbst verfallen bin!“ rief er. „Ich werde wirklich mit jedem Tage dummer! Freilich Schwarzbach, wie er sich nannte, und Weißfisch! Als ob ich von Hause aus Lamarqne hieße! Also das ist der famose Weißfisch! Nun begreife ich, weßhalb der Mensch mit allen Theaterdingen Bescheid wußte, als hätte er sein Lebtag auf den Brettern gestanden! Ich habe es ihm auf den Kopf zugesagt, während er hartnäckig dabei blieb, er habe nur in besseren Tagen ein lebhaftes Interesse an diesen Dingen genommen, ohne jemals vom Metier gewesen zu sein.“

„Und darin hat er eigentlich nicht gelogen,“ erwiderte ich. „Schauspieler ist er wirklich höchstens ganz vorübergehend gewesen. Aber das Theaterwesen freilich kennt er durch und durch. Und wenn Sie ihn irgendwie an Ihrem oder an einem anderen Theater unterbringen können – als Inspicient, Sekretär, Souffleur, Deklamirmeister – er kann das Alles, ist das Alles – so würden Sie sich einen Gotteslohn verdienen an dem armen Kerl, dem es furchtbar schlecht geht; und mir nebenbei einen großen Gefallen erweisen, der ich gegen den Mann Schulden der Dankbarkeit habe, welche abzutragen mir meine Verhältnisse nur in einem sehr beschränkten Maße verstatten.“

„Ihre Verhältnisse?“ rief Lamarque. „Was wissen Sie von Ihren Verhältnissen? Die werden Sie erst kennen an dem Tage, an welchem ich Ihren ,Thomas Münzer’ auf die Bühne bringe. Sie haben nie Vertrauen zu sich selbst gehabt, und dieser eine Fehler verdirbt alle Ihre übrigen Prachtvollen Eigenschaften. Würde Sie verderben, wenn es nicht noch andere Leute gäbe, die Gott sei Dank besser wissen, was von Ihnen zu halten ist. Zum Beispiel eben Ihr Schwarzbach-Weißfisch. Ich will es Ihnen nur gestehen: ich habe den Mann, der ja augenscheinlich in schwerem Dalles war und so offenbar in und an ein Theater gehörte, eindringlich gefragt, ob ich nach dieser Seite nichts für ihn thun könne. Und was hat er mir geantwortet? Er sei sehr dankbar und wolle es auch nicht für alle Zeit verreden. Vor der Hand und bis auf Weiteres betrachte er sich im persönlichen Dienste seines ,gnädigen Herrn’ – beim Styx, so hat er gesagt! Und als ich ihn darauf hin doch Wohl ein wenig verwundert anblickte, fügte er, den großen Ludwig vom Gendarmenmarkt wirklich meisterhaft kopirend, hinzu: ,Die Zeit ist aus den Fugen. Schmach und Gram, daß ich zur Welt, sie einzurichten, kam!’ Aber verzeihen Sie, da ist der Doktor. Bleiben Sie sitzen! Ich hole ihn her. Sie werden einen interessanten Mann an ihm kennen lernen.“

Lamarque hatte sich rasch erhoben und eilte leichten Schrittes zwischen den Tischen durch nach dem vorderen Raum, in welchen die Eingangsthür von der Straße führte, und wo sein scharfes Auge den Eingetretenen bemerkt haben mußte. Ich bog mich wieder über mein Punschglas mit brennender Stirn. Sollte er nun doch in Erfüllung gehen, der Traum meiner Jugend, den ich zuerst geträumt in der kleinen Giebelstube, vor dessen Fenster der kahle Kornelkirschbaum stand, da oben in der dunklen Hafenstadt? der Traum, den ich für immer ausgeträumt zu haben glaubte? Sind wir Menschen denn wirklich „ein Spiel von jedem Drucke der Luft“ ? Aber durfte ich Nein sagen, als er es so von mir forderte? Muß man nicht, wenn bessere Einsicht und Mitleid im Streit liegen, der sanfteren Stimme folgen? Mußte man es nicht, so mußte ich es. Das ist die Konsequenz und Charakterfestigkeit; der kleinen Leute; zu einem Adalbert wird man freilich auf diese Weise nicht.

„Hier bin ich wieder, lieber Lorenz. Darf ich die Herren mit einander bekannt machen: Herr Referendar Doktor Adalbert von Werin, Herr Lothar –“

Weiter kam Lamarqne nicht: ich hatte mich, einem unwiderstehlichen Dränge folgend, Adalbert in die Arme gestürzt, nicht wie vorhin der Schauspieler mich umarmt hatte: bühnenmäßig, sondern im heißen Dränge eines Herzens, das von Rücksichten auf Zeit und Ort nichts weiß. Adalbert war bei diesem Wiedersehen, das für ihn ein in jeder Weise unvorbereitetes war, kaum weniger bewegt als ich; Lamarque stand da, mit den schwarzen Augen, die ganz starr geworden waren, von dem Einen auf den Anderen blickend.

„Nun,“ sagte er, „das ist ja wie in einem dritten A't, bloß daß wir es so echt doch nicht herausbringen.“

„Die Wirklichkeit spielt sich eben ohne Proben ab,“ erwiderte Adalbert heiter. „Ich glaube wahrhaftig, Lothar, es ist das erste Mal, daß wir unseren gegenseitigen Empfindungen einen so theatralischen Ausdruck gegeben haben. Aber wie kommst Du hierher? Bist Du auch -“

„Wollte Gott, er wär’s auch, oder noch, oder wieder, oder wie Sie sonst wollen!“ rief Lamarque lachend. „Aber nun darf ich die Konfidenzen, die Ihnen beiderseitig auf der Zunge prickeln,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 512. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_512.jpg&oldid=- (Version vom 12.8.2021)