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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Weißfisch dieser Bote sein solle. Wer wäre zu einem solchen Auftrage geeigneter gewesen, als der Kluge, Vielgewandte, um so mehr, als ich weder Zeit noch Ruhe hatte, Lamarque mein Anliegen in einem ausführlichen Briefe vorzutragen.

Das mochte gegen neun Uhr gewesen sein; jetzt ging es bereits stark auf Mittag, und Weißfisch war noch immer nicht zurück. Meine Unruhe hatte den höchsten Grad erreicht. Wenn er Lamarque nicht fand oder dieser ihn heute nicht sprechen konnte, so ging ein kostbarer Tag verloren, und für die hereindrohende Entscheidung blieb nur noch der morgende, der leicht ebenso ohne Ergebniß verlief. In meiner arbeitswidrigen Stimmung hatte ich ein kostbares Brett völlig verschnitten zum großen Ergötzen des „gelernten Tischlers“ und zu nicht minderer Bestürzung Otto’s, der darüber so tief und anhaltend seufzte, als sei ihm von Stund an der gänzliche Verfall des Geschäftes nur noch eine Frage der allernächsten Zeit. Endlich watschelte Rudolphchen in die Werkstatt, „draußen sei Einer, der Onkel Lothar zu sprechen wünsche.“ Es war natürlich Weißfisch, welcher gute Kunde brachte.

Er habe Herrn Lamarque in seiner Wohnung getroffen, als derselbe im Begriff gewesen sei, zur Probe zu gehen, wohin er ihn dann begleitet, um ihm unterwegs und hernach hinter den Koulissen in gelegentlichen Pausen der Probe die betreffenden Mittheilungen zu machen. In Folge dessen habe sich der verwickelte Auftrag nicht so schnell erledigen lassen. Er brauche wohl kaum zu sagen, daß Herr Lamarque, sobald er (Weißfisch) nur meinen Namen genannt, wie elektrisirt gewesen sei und sich bereit erklärt habe, was nur immer in seinen Kräften stehe, in der fraglichen Sache zu thun.

„Um die Sache möglichst zu expediren,“ fuhr Weißfisch fort, „glaubte ich noch ein Uebriges thun zu sollen. Der Schwerpunkt der Frage schien mir darin zu liegen, ob die junge Dame sich überhaupt zur Schauspielerin eigne. Ich fragte deßhalb Herrn Lamarque, ob ich ihm noch heute die junge Dame zuführen dürfe?

,Es würde ihm nichts lieber sein' erwiderte er; wir einigten uns auf die Stunde vor dem Anfang des Theaters. Ich begab mich nun in das Geschäft, in welchem Fräulein Hopp arbeitet, ließ die junge Dame herausrufen – ich mache mein Kompliment, gnädiger Herr, eine remarquable Beanté! – verständigte mich mit ihr und werde sie heute Punkt sechs Uhr zu Herrn Lamarque begleiten, in einem geschlossenen Wagen selbstverständlich. Ich bin überzeugt, daß das Resultat der Prüfung ein günstiges sein wird.

In jedem Fall bat Herr Lamarque um die Ehre und das Vergnügen, Ihnen darüber mündlich Bericht erstatten zu dürfen, und schlug zu diesem Zwecke eine Entrevue in dem Theatercafe in der X.-Straße – ganz dicht bei dem Theater – vor. Ich glaubte im Interesse der Sache, ohne erst Ihre Erlaubniß einzuholen, Herrn Lamarque Ihr gütiges Erscheinen zur bestimmten Stunde zusichern zu sollen.“

Weißfisch verbeugte sich und fragte, ob der gnädige Herr noch sonst Befehle für ihn habe? Ich erwiderte, wider meinen Willen über den närrischen Menschen lachend, daß ich ihn einfür allemal bäte, diese Possen in Zukunft zu lassen. Im Uebrigen sei ich ihm für seine Bemühungen, durch die er mir einen großen Dienst erwiesen habe, aufrichtig dankbar. Zu dem Rendez-vous würde ich mich selbstverständlich einfinden.

„Die Dankbarkeit und zwar die alleraufrichtigste, innigste,“ erwiderte Weißfisch, „kann in dem Verhältnisse von Ihnen zu mir immer nur auf meiner Seite sein.“

Weißfisch zog den Hut – die Unterredung hatte auf dem Hofe stattgefunden – und entfernte sich mit langen bedächtigen Schritten.

7.

Ich besaß von meiner Theaterzeit her noch einen guten und kleidsamen Anzug, welchen ich für heute Abend herausgesucht hatte, um Lamarque nicht in Verlegenheit zu bringen, wenn er sich an der Seite eines einfachen Handwerkers in einem eleganten Café sehen lassen müßte.

Bis zu dem fast am entgegengesetzten Ende der Stadt gelegenen Lokal hatte ich einen langen Marsch, war aber doch der Erste auf dem Plan und hatte Muße, mich in meiner stillen Ecke an Tage zu erinnern, die nun schon so lange hinter mir lagen und die, auch nur ähnlich, für mich nie wiederkehren würden.

War es, daß das Lokal wesentlich dem glich, in welchem die Kavaliere des herzoglichen Hofes zu Verkehren pflegten, – meine Phantasie schwebte, wie ein Schmetterling von Blume zu Blume, so von Bild zu Bild, die alle aus jener Zeit in meiner Erinnerung blühten – frisch, als hätten sie sich gestern erst erschlossen – und von denen mir doch eines das so weitaus theuerste war! Wo weilte sie jetzt, die Liebe, Gute, Schöne? Adele! Wenn doch einmal die Gestalten meiner alten Freunde in meinem neuen Leben wieder auftauchen sollten, warum nicht auch ihre holde Gestalt? Sie, die ich jetzt mit einer besseren Liebe lieben würde, als damals: die Schwester, Wahlverwandte und Genossin in demselben Schicksal; sie, die sich, wie ich, mit Aufopferung von Allem, was die künstlerisch angelegte Seele entzückt und dem für das Schöne aufgeschlossenen Sinn Balsam ist, losreißen mußte, wie von einem Zauber der Hölle, um des höchsten Gutes theilhaftig zu werden, ohne welches alle anderen Erdengüter Staub und Asche sind: des Himmelsgutes der Freiheit.

Seltsam! habe ich mit den Kleidern von ehemals den Menschen von ehemals angezogen? Oder ist das nur wieder das Spuken des alten Hochmuthsteufels, der sich herauswagt, weil du deine sichere Burg mit ihrem soliden Leim– und Holzgeruch verlassen hast, um für eine Stunde einmal wieder Billardbälle klappern zu hören und den Rauch türkischer Cigaretten einzuathmen? Beim Himmel, er soll mir nichts anhaben, der schnöde Teufel, und käme er auch da in der zierlichen Gestalt mit dem leichten Schritt und dem gewinnenden Lächeln Joseph Lamarqne’s!

Er hatte mich umarmt und auf jede Backe geküßt so schnell, daß, glaube ich, keiner der Gäste die ungewöhnliche Begrüßung hätte beschwören können, und hielt jetzt meine beiden Hände gefaßt, während seine schwarzen Feueraugen jede Linie meines Gesichtes zu mustern schienen. Das Resultat mochte ihn nicht befriedigen; er schüttelte kaum merklich den Kopf.

„Ich bin inzwischen ein alter Kerl geworden,“ sagte ich lachend.

„Damit hat es keine Noth,“ erwiderte er; „man sieht nur, daß Sie lange keine Komödie gespielt haben. Aber wie sollten Sie nach dem, was mir Ihr Bote von Ihrem Leben der letzten Monate erzählte! Ist denn das wirklich Alles wahr?“

„Ich weiß nicht, was er Ihnen erzählt hat –“

„Es wird schon wahr sein; wenigstens stimmt es mit dem, was Sie mir damals von Ihren Zukunftsplänen vorphantasirten. Ich hielt es für Phantasien. Wie konnte ich glauben, daß Sie aus einer so wunderlichen Grille blanken baren Ernst machen würden! Und Ihre Poesien! Ihre Novellen! Ihre Dramen! Ihr ,Thomas Münzer' in erster Linie! Das war doch ein famoses Stück trotz alledem – ich meine trotz einiger Längen und dramatischer, vielmehr theatralischer Unmöglichkeiten. Und mit dem sich bei nur einigermaßen guter Besetzung ein Erfolg erzielen ließe, und vielleicht ein großer.“

„Wollten Sie es etwa zur Aufführung am X-Theater annehmen, Herr Regisseur?“

„Zweifellos! Abgemacht!“

Und er streckte mir über das Tischchen, an welchem wir unterdessen Platz genommen, die Hand entgegen.

„Sie sind toll!“ rief ich mit einem Lachen, das mir nicht von Herzen kam.

„Gar nicht,“ erwiderte er. „Ich brauche ein neues Stück, in dem viel Handlung, Massenwirkung, Scenenwechsel, Dekorationsspektakel – kurz ein Stück wie Ihren ‚Münzer‘, das mir dazu die Möglichkeit gewährt, mich – in der Titelrolle natürlich – dem Publikum von einer Seite zu zeigen, von der es mich eigentlich noch gar nicht kennt. Seit Wochen geht mir das im Kopf herum, und hätte ich Ihre Adresse gewußt, beim Himmel, ich würde nicht auf Ihren Boten bis heute Morgen gewartet haben. Also ich bekomme den Münzer’?“

„Nicht eine Zeile!“

„Auch nicht, wenn es die Bedingung sine qua non ist, unter der ich mich verpflichten will, Ihre junge Schutzbefohlene auch meinerseits zu protegiren?“

„Seit wann sind Sie denn –“

„Ein Jude geworden? Lieber Freund, glauben Sie, ich hätte es so weit gebracht, wenn ich nicht von Hause aus einer wäre?“

„Lassen wir den Scherz bei Seite, Lamarque! Mit der Angelegenheit des armen Mädchens ist es mir bitterer Ernst; und ich weiß, daß Sie um unserer alten Freundschaft willen auch ohne

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