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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

auch waren sie augenscheinlich von den verschiedensten Berufen, wie sie im Wald und auf der Landstraße ihr Wesen treiben: ein paar Forstläufer mit dem Jagdzeug und den Hunden, die sich unter die Tische drückten; Holzhauer, Wegeknechte; alte Frauen und selbst Kinder; Botengänger, Tabuletkrämer, Handwerksburschen, Fuhrleute und so mancher verkommene Gesell, dessen Heim im Sommer der Wald sein mochte und im Winter irgend ein Arbeits- oder Krankenhaus.

So saßen und standen sie neben und durch einander, und der verdrießliche Wirth und seine Leute hatten wenig zu thun. Kaum daß hier und da vor einem der Schweigsamen ein Glas Bier stand, welches so lange vorhalten zu sollen schien wie das Unwetter. Man durfte wohl annehmen, daß die Anderen sich aus traurigen Gründen selbst diesen kärglichem Genuß versagen maßten. Und wie nun mein Blick wieder und wieder diese schweigsame Versammlung in dem düsteren Raum durchlief, glaubte ich mich plötzlich die Jahrhunderte zurückversetzt in die Zeit meines „Thomas Münzer", als der „Bundschuh" durch das Land ging, und „der arme Konz" sich zusammenrottete, ob es nicht doch geschehen könne, daß man sich der Dränger und Peiniger erwehre und das neu verkündete himmlische Evangelium zu einer irdischen Wahrheit mache. Wie hatte der Herzog gesagt? „Die Zeit kommt nicht wieder; der Bauer ist jetzt zu klug, um sich auf eine Revolution einzulassen, bei der er nur verlieren könnte, und der letzte Vagabund hat es jetzt besser, als der bestsituirte Bauer von damals." Nun, er hatte wohl nie - und wie sollte er auch? - eine Gesellschaft gesehen wie diese hier. Sie würde ihn gelehrt haben, daß der arme Konz mit nichten gestorben war, sondern noch heute umging in seinem Walde und auf der Landstraße, von der sein. Fiskus den Zoll nahm. Dies waren dieselben Jammergestalten, dieselben verkümmerten, vor der Zeit gealterten Gesichter, dieselben dumpfen grollenden Mienen, dieselben stumpfen Augen, die nur vom Widerschein brennender Burgen und Klöster aufleuchten mochten, oder vor grausamer Lust, wenn sie den Ritterlein am Bauernspieß verzucken sahen. Und da waren auch die dornigen Knittel, die ihre Dienste thun mochten, bis man es zu einer Hellebarde brachte, und die Aexte, die ihr Werk besser verrichteten, als das beste Schwert. Nein, nein, Herr Herzog, es steht nicht Alles ganz so gut in der Welt, wie du glaubst und Andere glauben machen möchtest! Das Elend iinr, das hier in diesem engen Raum zusammengepfercht ist, wiegt so schwer, daß es deine ganze Herrlichkeit in die Luft schnellt, und doch ist’s nur ein Tropfen in dem Meer von Elend, das über die ganze Erde sich breitet und steigt und steigt – –

Das Unwetter begann nachzulassen; es dauerte nicht lange, so war die Wirthsstube zur Hälfte geleert; dann folgten auch die Zaghafteren; zuletzt war kaum noch Jemand drinnen, außer den Fuhrknechten, die jetzt näher zusammen gerückt waren und ihre Unterhaltung fortsetzten.

Ich hatte dem Aufbruche der Leute, die hier der Regensturm so plätzlich von allen Seiten zusammen getrieben, und die nun nach allen Seiten ebenso plötzlich wieder aus einander stoben, mit Interesse zugeschaut. Es war, als ob Tauben einzeln, zu Paaren und haufenweise einen geöffneten Schlag verlassen, nur daß das ein lustiges Bild ist, und dies der armen, frierenden, verregneten Menschen, die sich und ihren Packen Elend so weiter in den Regen schleppten, Alles in Allem recht traurig war.

Auch ich hatte jetzt meine leichte Tasche wieder umgehangen und wollte eben das Haus verlassen, als der Wirth zu mir trat. Ob ich nicht das gänzliche Aufhören des Regens abwarten wolle? ob ich noch weit für heute habe? Ich hielt es nicht für nöthig, ihm zu sagen, daß mir der Herzog sein Lustschloß Bellevue am Fuße des Gebirges zum Ziel meiner Wanderung bestimmt hatte, sondern nannte einen bekannten Ort in der Nähe desselben. Dahin könne ich eine Stunde früher gelangen, wenn ich einen Richtweg verfolge, der gerade von diesem Punkte anfange, um tiefer unten wieder auf die Landstraße zu treffen. Derselbe sei nicht zu verfehlen, wenn man nur die ersten Abzweigungen und Kreuzungen der Pfade hinter sich habe. Ob er mir bis dahin das Geleit geben solle?

Ich nahm das Anerbieten dankend an. Er mochte mich für einen Studenten halten, der einen Ausflug in die Berge gemacht habe; wenigstens mußte ich das aus seinen weiteren Fragen schließen, die ich denn auch in diesem Sinne, wenn auch mit einiger Unbestimmtheit, beantwortete. Dann war er, ich weiß nicht wie, aus die Noth der Leute „auf dem Walde“ und den Herzog zu sprechen gekommen.

„Die Sache ist eben," sagte er am Schlusse seiner Ausführung, „der Herzog ist nicht beliebt. Er gilt für einen harten Herrn der für den kleinen Mann kein Herz hat und auch sonst nicht für das Land sorgt, immer bloß für sich, wie in der Domainensache, wo er auch nicht gefragt hat, was ist gut für den Fiskus, sondern was ist gut für deine Tasche? - So, nun kann der Herr nicht mehr fehlen. Jetzt noch an die tausend Schritte immer gerade aus durch den Wald. Dann kommen der Herr heraus, zusammen mit dem Bache, den Sie verfolgen bis zur Mühle. Wenn Sie den Müller von mir grüßen und ein bischen Zeit daran wenden wollten, der konnte Ihnen auch eine Geschichte erzählen, die so vor ein Jahrer neunzehn oder zwanzig bei ihm passirt ist. Ja, ja, lieber Herr, es hat seine Gründe, wenn die Leute nun mal partout nicht gut von Hoheit denken und reden mögen. Aber ich darf den Herrn nicht länger aufhalten.“

Der gesprächige Mann verabschiedete sich, ohne mir einen anderen Dank zu verstatten, als das Versprechen, ihn gelegentlich wieder zu besuchen. Ich hatte die größte Mühe gehabt, bei seinen Erzählungen scheinbar unbefangen zu bleiben. Nun, da ich wieder allein war, beschleunigte ich meinen Schritt, als könne ich so den bösen Dingen entrinnen, die ich soeben gehört. Vergebens, daß ich mir sagte, diese Aufregung, die mir jetzt die Thränen in die Augen trieb, sei doch ganz thöricht und sinnlos. Wußte ich denn nicht schon von lange her - aus des Kammerherrn, aus Weißfisches Munde, daß der Herzog kein Heiliger sei? Hatte er selbst sich je für einen solchen ausgegeben? Und hatte er nicht selbst die unglückselige Geschichte, die an der Mühle gespielt hatte, noch an dem letzten Abend auf das Tapet gebracht, als wollte er mich vorbereiten aus das, was ich hier oben zu hören bekommen würde?

Schneller, als ich gedacht, war ich an die stelle gekommen, die mir der Wirth bezeichnet hatte. Aus dem Walde heraustretend, blickte ich hinab auf ein allmählich sich erweiterndes Thal, durch das sich ein Bach schlängelte, der mit mir aus dem Walde kam und an dessen Rande der Fußpfad weiter lief. Vorerst durch sanft absinkende Wiesen bis zu einer Stelle, wo aus Baum und Busch die Dächer eines Gehöftes blickten - die Unglücksmühle jedenfalls, von welcher der Wirth gesprochen. Ueber das Gehöft schweifte der Blick in die Ebene - nicht allzu weit, denn die Sonne, welche im Untergehen war, sandte ihre röthlichen Strahlen darüber weg, alle Einzelheiten in Glast hüllend und mir die Augen blendend, daß ich erst jetzt einen Giebel des Schlosses wahrnahm, rechter Hand unterhalb der Mühle und jenseit des Baches aus massiven welligen Baumgruppen ragend, während linker Hand die einförmige Mauer des Waldsaumes, den Senkungen des Terrains folgend, zur Ebene hinabstieg, bis sie sich in dem röthlichen Flimmer verlor.

Da stand ich denn oben und schaute, auf meinen Wanderstab gebogen, in die entzückende Landschaft wie in ein Bild, das in feinem Rahmen noch einmal all die Herrlichkeit zeigen zu wollen schien, in der ich so lange geschwelgt hatte und die nun zu Ende ging - für mich zu Ende ging und für immer. Ja, es war herrlich gewesen, und ich schämte mich der Thränen nicht, die mir, im Gedenken daran, jetzt stromweis über die Wangen liefen. Aber -- „Und scheint die Sonne noch so schön" wer hat dich zuerst gesungen, du Kinderweisheitswort, das doch das ganze Menschenlos in sich faßt, seines Glückes ganze jauchzende Seligkeit und all sein dunkles Weh - den unaussprechlichen Schmerz der Trennung von den Lieben und ach, von der Liebe, die unseres Lebens Sonne war, und mit der, wenn sie nun doch verlöschen will, das Leben gern verlöschen mag!

Als ich wieder aufschaute, glühte eben noch der Rand der Sonne über dem Horizonte. Bläuliche Schatten deckten schon die Ebene und zogen das Wiesenthal heraus; jetzt erblich auch die Gluth, die noch in den Tannenwipfeln rings um mich her gebrannt hatte. Nur ein Bogenfenster im Schloßgiebel schimmerte, vom letzten Strahl der Sonne schräg getroffen - wie ein Leuchtthurmlicht.

Ein warnendes Licht, kein gastliches! Denke dessen, du einsamer Schiffer. Oder du zerschellst an eben dem Felsen, vor

welchem es dich warnen wollte!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 371. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_371.jpg&oldid=- (Version vom 2.12.2018)