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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

egoistischen Herzen fand, hatte ich an mich selbst gedacht und, da ich sie nun doch einmal nicht zu retten vermochte, wenigstens mich selbst zu retten gesucht.

Es war mir mißlungen: er hatte mich nicht weggejagt: hatte mir zum Lohn für meine unerhörte Keckheit die Wangen gestreichelt wie ein Lehrer einem lieben Schüler, fast wie ein Vater seinem Sohne, dem er nicht zürnen kann trotz alledem. Und wenn ich mich so entwaffnen und wieder in Ketten schmieden ließ, so war es nicht sowohl, weil mir der Muth zu weiterem Widerstande gebrochen war, sondern weil ich schon in demselben Moment fühlte und wußte, was Adele mir heute Morgen schrieb: daß meine Hand in der That viel mächtiger sei, als ich irgend geahnt, daß ich dem Herzoge sagen mochte, was ihm kein Anderer zu sagen wagte, und also auch nicht daran verzweifeln durfte, ihn für die Geliebte umzustimmen, wenn auch der erste Angriff abgeschlagen war.

Nein, ich brauchte nicht in den Wald zu ziehen, um meine Liebe wiederzufinden, meine ganze und volle Liebe, nur daß sie im Walde, mir selbst zu einem Wunder, dessen sanfter Gewalt ich nicht widerstreben mochte, ein anderes Antlitz zeigte.

Ein Antlitz voll stiller, wehmuthsvoller Melancholie, das wundersam harmonirte mit der ahnungsvollen, aus Licht und Schatten mystisch gewobenen Dämmerung in den hohen Hallen unter dem Gewölbe in einander verschwiegener Buchenkronen; dem feierlichen Rauschen des Windes durch die unsichtbaren Wipfel zu meinen Häupten; dem süß-leisen Gesange der Vögel; dem Kinderlied, das die Quelle in ewig wiederkehrenden Refrains murmelte, sich den Weg zu kürzen zwischen bemoostem, farnkraut- überwuchertem Gestein; dem großen glänzenden Auge des Rehs, das in der Lichtung friedlich äßte und, zu dem nahe Wanderer furchtlos aufblickend, zu fragen schien: Was willst du hier in unserem Frieden, du friedloser Mensch?

Ja, gieb mir Frieden, heilige Waldesruhe! Laß mich theilhaben, du stilles Waldesleben, an deinem seligen Genügen, deinem frommen Verzichte auf Alles, was du nicht selbst bist, nach Anderem trachtet, als das ewige Gesetz will, das du in dir trägst! Siehe das zarte Vergißmeinicht an der Quelle: es will sich nicht zur Höhe der krausen Farnbüschel über ihm heben; die Farnbüschel bescheiden sich, unter dem Weißdornstrauch zu wehen; der Weißdornstrauch will sich nicht messen mit der schlanken Birke; die Birke läßt gern der Buche ihre trotzige Kraft; das Reh stutzt, wie jetzt die Krähe aus der Buchenkrone ruft, und folgt gehorsam dem Warner, aber neidet ihm nicht die sichere Freiheit da oben im luftigen Revier!

Und mein Gebet wurde erhört und der Friede kam über mich.

Nicht auf einmal. Allmählich, tiefer, erquicklicher mit jedem neuen Morgen, wenn ich nach nächtiger Rast in waldumragtem Forsthause, von meiner Lagerstatt am schwälenden Kohlenmeiler fürbaß zog in das grüne Revier, auf ein Streckchen begleitet von dem Förster, dem Köhler, damit ich auch den rechtem Pfad nicht verfehle durch die Wildniß.

Denn ich suchte die einsamsten Pfade und tauchte in die Oede, nur der gegebene Weisung folgend und meiner Karte vertrauend, in welcher ich mit einer Sicherheit las, die sich mit jedem Tage vermehrte. Und ging ich einmal vollständig in die Irre, mir war es recht. Mochten Weg und Steg doch verschwinden, wenn sich mir dafür die Pforte zum Allerheiligsten des Waldes aufthat, wo, während mein Fuß lautlos uber den fußdicken Moosteppich glitt, ich das Athmen des großen Pan zu vernehmen glaubte und die stille Antwort des Uralten auf die bange Frage des klopfenden jungen Menschenherzens.

Ach, mein junges Herz hatte noch gar viel zu fragen, jetzt, nachdem der wilde Kampf in meiner Brust geschlichtet war und die mahnenden Stimmen vernehmbar wurden, die sein Lärmen übertont hatte.

Mein Leben der legten Monde, das wie ein einziger rosiger Traum an mir vorübergeglitten, begann sich in Wochen und Tage zu sondern, die vor mich traten ernsten Antlitzes und Auskunft begehrten, was ich mit ihnen begonnen. Ich, der Sohn des Sargtischlers, der schon als Knabe seine bitteren Thränen geweint hatte, daß er das kärgliche tägliche Brot nicht mit seiner Arbeit verdiente; dessen Sinnen und Trachten, sobald er so viel Einsicht in das Menschentreiben gewonnen, darauf gestanden, sich frei zu machen von der Güte der Befreundeten und von dem Mitleide der Fremden; der eben darum keine Erholung gekannt hatte als in der Arbeit und heimlich lächeln mußte, wenn ihn die Lehrer als Muster des Fleißes hinstellten, ohne zu ahnen, wie scharf die Skorpionen waren, mit denen der Fanatismus des Stolzes und des Dranges nach Unabhäbhangigkeit ihn zur Arbeit geißelten! Wohin der Stolz? wohin der Drang? Seine Tage vertändeln an der Schürze eines schönen Weibes; seine Stunden verzetteln im Geschwätz mit müßigen Kavalieren über tausend und eine nichtsnutzige Kleinigkeit; zu Roß, zu Wagen, auf der Jagd junkerlichen Sport treiben; sich anrühme lassen, wie herrlich man doch zu aller und jeder ritterlichen Uebung veranlagt sei, und diesen billigen Ruhm mit langen Thorenohreli einfangen; an üppiger Tafel hinter der Flasche sitzen, die immer wieder erneuert werden muß, und sich Geschichten erzählen lassen und zu Geschichten lachen, von denen die Seele sich abwendet, wenn auch die Wange zu erröthen verlernt hat - heißt das Arbeit? Und was man so nennen möchte, was ist es wieder, als abermals Tändelei, nur jetzt nicht mit einer schönen, zu Scherz und Neckerei allzeit aufgelegten Frau, der leicht gefallen ist, sondern mit der ernsten Muse, der man jede Gunst mit heißem Mühen abringen muß?

Ich hatte das schön gebundene Büchlein mit den Gedichten des Herzogs in der Reisetasche gefunden, in die er es, wie mir Holzbock berichtete, mit eigener Hand gelegt. Wiederholt hatte er davon gesprochen, daß er, bevor er sie drucken ließ (selbstverständlich nur für den kleinen Kreis Auserwählter) , mir die Gedichte zur Durchsicht, zur Kritik geben wolle. Ich dürfe unbedenklich streichen, was mir nicht gefallen würde. Er hatte es nicht gethan. Ich wußte von Adele, daß er jene Auswahl nun selbst vorgenommen, die Kritik selbst geübt habe, mit dem Resultate sehr zufrieden sei und sich schon im Voraus des Eindrucks freue, den die Sammlung, nachdem sie so auf die Hälfte ihres zuerst geplanten Umfanges gebracht, gerade auf mich machen werde. Jedenfalls sollte die Ueberreichung des Büchelchens die Ueberraschung sein, die er mir an jenem Abend zugedacht und von der er dann doch gesagt, daß er sie lieber in petto oder in der Tasche behalten wolle. Vielleicht war ihm die erregte Stimmung, in die wir uns hineingesprochen, nicht als der rechte Augenblick erschienen, um im Glanze des Poeten vor den Uebelgelaunten hinzutreten.

Wie dem auch sein mochte: ich führte das Büchelchen in meiner Reisetasche mit mir; und wiederholt, wenn ich im Forste am murmelnden Bache oder auf dem Moosteppich zu Füßen der schattenden Buche Rast machte, hatte ich es hervorgenommen und darin zu lesen versucht. Ich war niemals weit gekommen. Hier störte mich ein uneiner Reim, dort ein schlecht gebauter Vers; hier ein hinkender Vergleich, dort ein schiefes Bild; hier die Flüchtigkeit, dort die Weitschweiftgkeit, mit der das Thema behandelt war; und nicht selten war es das Thema selbst, das auch für ein harmloses Lied doch gar zu dürftig schien, ein anderes Mal wieder einen Umfang und eine Bedentung hatte, die es auf die dürre Heide der Spekulation, aber nicht in das blumige Reich der lyrischen Muse wiesen. Nicht als ob sich bei allen diesen Mängeln der reiche und vielgewandte Geist des Mannes verleugnet hätte! Auf jeder Seite, ja fast in jedem Gedichte war seine Spur unschwer zu finden; aber zum Dichter gehört eben mehr als bloß gewandt und geistreich sein, und - der Mann war kein Dichter. In der schlichten Prosa des Vaters, wenn er mir in meiner Kindheit selbsterfundene Märchen erzählte, oder später, was sein klares Kinderauge aus Wald und Flur oder dem Menschentreiben in Dorf und Stadt herausgeschaut, oder er an sich selbst erlebt und erfahren - um, ach! jede Erfahrung mit seinem Herzblute zu bezahlen - in dem Allem war tausendmal mehr Poesie, als in diesen anspruchsvollen Versen. Deßhalb, weil in Allem das warme Herzblut des besten, liebevollsten der Menschen pulsirte, und in der Brust des Fürsten von Gottes Gnaden schlug kein warmes Herz, und so konnte er kein Dichter von Gottes Gnaden sein.

Seltsam! Ich konnte die beiden Gestalten in meinen Gedanken nicht mehr so weit sondern, daß ich nicht der anderen hätte gedenken müssen, sobald ich an die eine dachte. Und zu meinem Erstaunen sah ich, wie mit jedem Tage das Bild des Fürsten neben dem des Mannes aus dem Volke verblasste, wie

ein Werk der Schule neben dem des Meisters. Ja, beim Himmel,

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