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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

gesund bleiben, so altert man von selbst ruhig in Ehren und Würden hinein.“

Ehren und Würden sind ihm in reichem Maße zu Theil geworden, Geld und Erfolg ebenfalls. Und doch glaube ich, seine glücklichsten Stunden werden nicht die gewesen sein, wo die Verlegerbriefe mit der Meldung neuer Auflagen oder die Kistchen mit Dekorationen kamen, sondern die, wo er einsam schweifend im Wasgau, in Tirol, in Franken die Stätten vergangenen Lebens aufsuchte, unter den Burgtrümmern den Hochwald rauschen hörte und die Gestalten tausendjähriger Vergangenheit herauf beschwor. Denn das höchste Glück liegt doch nur in der Bethätigung des innersten Wesens, und die Zwiesprache mit dem eigenen Genius ist ein feineres Ding, als der Widerhall vom Lobgeschrei der großen Menge ...

Aber allgemach mußte der rastlose Wanderer die Fahrt einstellen. Stärker und stärker kamen seit fünf Jahren die Mahnungen ans Ende. Jährliche Badereisen nach Kissingen vermochten wohl noch Linderung zu bringen, aber Anzeichen verhängnißvoller innerer Störungen waren unverkennbar, und vom vorigen Jahr an sind es nur noch kurze Zeilen, die als Antwort auf fragende und theilnehmende Briefe kamen. Vor mir liegt als Letztes eine Karte mit zitternden Zügen der sonst so festen und wunderschönen Handschrift, datirt Heidelberg vom 19. Februar d. J., ein kurzer Dank für die Geburtstagsgratulation, „leider gar zu krank und schreibunfähig.“

Und hier schließe ich den Bericht über den seltenen Geist, den merkwürdigen Dichter, der ein so treuer Freund seiner Freunde war. Was der arme, gequälte Körper noch Furchtbares zu leiden hatte, was der junge Sohn und die Freunde blutenden Herzens mitlitten, das gehört nicht hierher. Zum Schlusse mögen die Worte stehen, welche Scheffel selbst vor Jahren zum Trost für Andere bei schwerem Trauerfall schrieb:

„Ich bin fest überzeugt, daß die unsterbliche Seele diese letzten Schmerzen nicht mehr mitempfindet, sondern sich schon zur Auswanderung in lichtere und leichtere Sphären bereit hält.“

Möchte das an ihm selbst wahr geworden sein!

München. R. Artaria.     


Blätter und Blüthen.

Praterfahrt in Wien am 1. Mai. (Mit Illustration S. 328 und 329) Das festliche Treiben, mit welchem die Wiener den Mai begrüßen, entbehrt nicht eines historischen Hintergrundes. Schon zur Zeit der Herzöge wurde in der schönen Donaustadt das Veilchenfest gefeiert, an welchem selbst der Landesfürst teilnahm. Jener Brauch ist mit der Zeit, wie so vieles Andere, verschwunden, aber als Ersatz für ihn blieb die Sitte, am 1. Mai nach dem Prater, dem großen Park der heiteren Kaiserstadt, zu wallfahrten. Unser Zeichner hat ein Augenblicksbild der gegenwärtigen Praterfahrt festgehalten. Wagen und Reiter und Fußgänger tummeln sich hin und her, und im Mittelpunkte erscheint die Equipage des Kaisers Neben den vornehmsten sieht man die einfachsten Leute, neben dem Officier den ranglosen Soldaten, neben der Modedame das arme, alte Mütterchen, und sogar der „Strizzi“ mit der Virginiacigarre im Munde und einer undefinierbaren Kopfbedeckung auf dem Haupte fehlt nicht.

Früher war das Schauspiel glänzender; die österreichische Aristokratie setzte einen Ehrgeiz darein, bei der Praterfahrt am 1. Mai die elegantesten Wagen, Pferde, Lakaien und — was eigentlich zuerst hätte erwähnt werden sollen — die prächtigsten Damentoiletten zu zeigen. Den Equipagen eilten die Läufer voran, die erst durch das Jahr 1848 in ihrem Laufe gehemmt wurden. Berühmte Reiter, wie der vielgenannte Sportsmann Graf Sandor, vollführten ihre merkwürdigsten Reiterkunststückchen. Den Hauptreiz auf die Bevölkerung übte aber das vollzählige Erscheinen des Hofes aus. Der Kaiser, die Kaiserin, alle Erzherzoge und Erzherzoginnen nahmen an der Praterfahrt Theil; der Vater des Kaisers, der vor acht Jahren verstorbene Erzherzog Franz Karl, fuhr, einer alten Gewohnheit gemäß, in einer sechsspännigen Equipage mit Vorreitern, und im „Kaisergarten“, einem dem Hofe reservirten Theile des Praters, bewirthete er am 1. Mai die gesammte kaiserliche Familie mit einem Diner.

Aber auch heute noch bietet der 1. Mai dem Besucher des Praters ein sehenswerthes, farbenreiches Schauspiel, welches beweist, daß Wien all’ das besitzt, was zu der frühlingsfrohen Fahrt nöthig ist — nicht zu vergessen: die schönen Frauen und die heiteren, in der Frühlingssonne himmelhoch aufjauchzenden Leute, die — wie es im Volksliede heißt - „ka Traurigkeit g’spüren“ lassen, was auch über sie hereinbrechen mag. - o -     

Mit Onkel auf Reisen. (Mit Illustration Seite 337.) Es giebt Onkel , welche eigentlich nur den Namen Oheim verdienen , da sie im Grunde nichts weiter bedeuten als einen Verwandtschaftsgrad: Onkel mit Familie, welche jeden Pfennig ihrer Einkünfte benöthigt, Onkel, welche sich um ihre Neffen und Nichten etwa in so weit kümmern, als sie dann und wann einmal zu Besuche erscheinen und wohl auch zum Besuche einladen. Man begrüßt sie als Onkel, freut sich, sie wiederzusehen, und gratuliert ihnen zu Familienfesten wie zu Neujahr. Das ist Alles. Der wahre, ideale Onkel stellt ganz etwas Anderes dar. Er ist wohlhabend bestenfalls unverheirathet, mindestens kinderlos, voraussichtlich Erbonkel, womöglich Goldonkel. Er ist ein munterer Herr, welcher mit Neffen und Nichten auf dem Neckfuße und auf dem Geschenkfuße steht und gewissermaßen ein Theil seiner socialen Aufgabe darin erblickt, da, wo Papa sich seinen Sprößlingen versagen muß, für ihn einzutreten. Er muß oft heikle Dinge ordnen, versöhnen. Ein richtiger Onkel ist für den Bruder Studio ebenso unschätzbar, wie unter Umständen für ein Fräulein Nichte, welche mit ihrer Herzensangelegenheit nicht ohne seine Beihilfe ins Reine kommen kann. Dafür ist sein Lohn kein geringer: der Neffe breitet seinen Ruhm aus, die Nichte — und was für bezaubernde Nichten gibt es! — umschmeichelt ihn mit Liebkosungen wie mit Sammet. Es mag vorkommen, daß Letzteres nicht ohne einen gewissen wehmütigen Beigeschmack bleibt; selbst bei dem Onkel auf unserem Bilde ist diese Möglichkeit, trotz seines geistlichen Charackters und seiner überreifen Jahre, wohl kaum ausgeschlossen — jedenfalls ist derselbe ein echter Onkel, von Genugthuung erfüllt, als Führer und Beschützer einem Flug in die schöne Welt hinaus, verhelfen zu können, und das strahlende Gesichtchen da sagt es: er hat das „Profit!“ redlich, das ihm auf der Rast von rosigen Lippen zugetrunken wird!V. B.     

Visp. (Mit Illustration S. 341) Im schweizerischen Kanton Wallis liegt an der natürlichen Pforte zu den interessanten Thälern des Monte Rosa die kleiner Ortschaft Visp. Gewaltige Gletscher bilden hier den Hauptschmuck der Landschaft, und ihre zahlreichen zu Thal eilenden Abflüsse vereinigen sich im Visperthale zu einem starken Bergstrome, der nach kurzem ungestümen Laufe als Vispbach in die Rhone mündet. In der Nähe von Visp zieht sich über den Rücken des Matterhorns des St. Theodule-Paß, einer der mächtigsten Pässe in Europa, mit einer entzückenden Aussicht auf schneebedeckte Felsenberge, wilde Eiskahrs und mächtige Gletscher. Die Scheffel’sche Zeichnung, die uns Bisp vorführt, stammt aus dem Jahre 1852. Seitdem hat sich die Physiognomie des Städtchens verändert, denn dasselbe wurde im Sommer 1855 von einem Erdbeben heimgesucht, welches einen großen Theil der Gebäude in Trümmer legte.*      

Der große Schachwettkampf in Nordamerika, über den wir neulich berichteten, ist jetzt entschieden worden; das Resultat zeugte von der Wandelbarkeit des Schlachtenglücks auch auf den Schachfeldern; denn während Zuckertort in New-York vier Partien gewann hat und Steinitz nur eine Gewinnnummer gezogen hatte, gelang es dem Letzteren, an der zweiten Station des Kampfes, in Saint-Louis, seinen Gegner einzuholen, so daß der Match hier bei einer Remispartie 4 zu 4 stand. Nun ging’s den Mississippi immer abwärts in das Schachpalais von New-Orleans: dort fielen die Würfel der Entscheidung, aber gänzlich zu Ungunsten Zuckertort’s, der hier nur noch eine Partie gewann, 6 verlor und 4 remis machte. So ist jetzt Steinitz, der in Amerika eine große Schachzeitung herausgiebt und, obschon ein geborener Deutsch-Oesterreicher aus Mähren, sich jenseits des Oceans heimisch gemacht hat, nicht bloß der transatlantische Schachkünstler, sondern er wird Anspruch erheben, diese Würde in beiden Hemisphären zu behaupten. G.     

Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. Schon im Jahre der Gründung der Gesellschaft, 1866, wies die „Gartenlaube“ in einem Artikel auf die menschenfreundlichen Absichten und Bestrebungen derselben hin, und seitdem sind noch mehrere Artikel — der letzte 1881 (S. 230.) aus der Feder des Kontre-Admirals a. D. Reinhold Werner - erschienen, welche sämmtlich mit warmen Worten auf die Gesellschaft aufmerksam zu machen und stets neue, reichlichere Hilfsmittel für sie zu werben suchten. Heute bildet der großartige Erfolg, den sie während ihres nun zwanzigjährigen Bestehens aufzuweisen hat, sicher den beredtesten Fürsprecher für ihre der ausgedehntesten Theilnahme würdige Wirksamkeit: Von 1866 bis 1885 einschließlich verunglückten an den deutschen Nordseeküsten 938, an den deutschen Ostseeküsten 811 Schiffe, also zusammen 1749 Schiffe oder im Durchschnitt jährlich deren 87. Hierbei waren im Ganzen nachweislich 9524 Personen gefährdet, von denen aber nicht weniger als 8755 Personen, das sind etwa 92 Prozent aller dieser Schiffbrüchigen, durch die opferwillige Thätigkeit der Gesellschaft gerettet wurden! D. Th.     


Kleiner Briefkasten.

G. M. in München. Den Schriftstellernamen Emmy von Rhoden führte die im v. J. verstorbene Gattin des Schriftstellers Friedrich Friedrich. Ihre letzte Erzählung hat den Titel „Der Trotzkopf“ (Stuttgart, Gustav Weise), ein sehr empfehlenswerthes Jugendbuch, welches binnen Jahresfrist in zweiter, mit dem Portrait der verstorbenen Verfasserin geschmückter Auflage erscheint.

Otto Geb ... in Wien Wir bitten um Angabe Ihrer Adresse, worauf wir Ihnen brieflich antworten werden.



Inhalt: [Verzeichnis der Beiträge in Nr. 19 der Gartenlaube 1886; wird hier z. Zt. nicht dargestellt.]



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 344. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_344.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2024)