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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

hoffe mehr: ich hoffe, und das ist mir ein gar lieber Gedanke, daß die Zeit kommt, wo Du mich für ihn entbehrlich machst, mich bei ihm ersetzest, und mehr als das. Was er braucht, ist ein Freund. Eine Freundin, eine Frau, und wäre sie zehnmal gescheiter und geistreicher, als ich arme unwissende, dumme Person, kann dem Geistreichen nicht folgen, wo er es am meisten braucht, am dringendsten verlangt, um nun seine Einsamkeit und, Verlassenheit erst recht und sich doppelt unglücklich zu fühlen.“

„Weil er sich unglücklich fühlen will,“ rief ich: „weil er aufhören müßte, sich als Herzog zu fühlen in dem Augenblicke, wo er sich nicht mehr einsam und verlassen wüßte, und deßhalb sorgfältig darüber wacht, daß dieser Augenblick doch nur niemals, komme! Und ich soll das Kunststück fertig bringen, das Du Dir nicht zutraust? Ich versichere Dich, daß ich nicht um ein Haar breit mehr Einfluß auf ihn habe, als Renten oder irgend Einer i von den Anderen; sogar weniger als sie, weil ich nicht so klug bin wie sie, und mit Ja und Nein und Nein und Ja Fangball spielen kann wie sie.“

„Das glaubst Du ja selbst nicht,“ sagte Adele; „aber ich habe Dich mit meinen albernen Geschichten aufgeregt und werde mich ein ander Mal besser vorsehen. Jetzt gehst Du nach Haus und schreibst eine Scene in Deinem ‚Münzer‘, so eine, in der es, recht fürchterlich über die armen Fürsten hergeht. Einen Handkuß erlaube ich Dir heute auch nicht mehr. Du bist unartig gewesen? ’Geh’!“

Und ich ging, Wuth und Verzweiflung im Herzen, mir zuschwörend, daß ich niemals wieder ihre Schwelle überschreiten wolle. Und dem Herzog schreiben wolle, zum Fürstendiener sei ich nun einmal nicht geschaffen, und zu einem Spielzeug halte ich mich für zu gut. Er solle sich ein anderes suchen und –

„Das glaubst Du ja selbst nicht,“ hörte ich in Adelens ruhig klarer Stimme.

Nun gut: dazu hatte ich vielleicht nicht den Muth. Aber eine Scene im „Münzer“ wollte ich schreiben und ihm zu lesen geben, die mir den Absagebrief ersparen sollte!

„Das glaubst Du ja wieder nicht,“ sagte die klare Stimme.

Nein, ich glaubte es wieder nicht. Er würde mich deßhalb so wenig fortjagen, wie er es gethan trotz aller ähnlichen Veranlassungen, die ich ihm bereits gegeben, und bei denen er nie den Herzog herausgekehrt hatte, sondern immer der großherzige geistreiche Mann und freundliche Berather geblieben war.

Oder log ich mir vielmehr das jetzt vor und legte mir die Dinge zurecht, wie sie liegen mußten, und sah die Personen, wie ich sie sehen mußte um Adele’s willen? Und wie sie nicht lagen und nicht aussahen, sobald ich Adele aus der Rechnung ließ, die dann auf keine Weise mehr stimmte?

Aber was war denn ich für sie, die mir Alles war und die Angel, in der sich für mich diese ganze höfische Welt drehte was war ich für sie? Ein Nichts, ein Pudel, mit dem man spielt und den man ins Wasser schickt, wo es für Einen selbst zu tief wird; ein lieber Junge im besten Fall, bei dem man sich ruhig ausweinen kann, weil er ja doch geduldig still hält, und dem man nachher zur Belohnung einen Kuß giebt. Einen Kuß, mit dem man eben – liebe Jungen küßt, nicht bloß im Abendschatten verschwiegener Bäume, nein! vor aller Welt küssen dürfte, vor den Augen auch des Mannes, den man liebt, und der ja besser weiß, wie ihre Küsse brennen, ihre wahren Küsse!

So in den Alleen, den verschlungenen Gängen des Parkes, über den bereits die Nacht herabsank, irrte ich ohne Rast und Ruhe. Schon ein paarmal war ich am Schlosse gewesen und immer wieder umgekehrt in den Park hinein auf ihre Villa zu, bis ich das Licht aus den Fenstern schimmern sehen würde. Arme unglückliche Motte, ich! Als ob ich mir nicht schon die Flügel so arg verbrannt hatte! Was wollte ich denn noch Ihre Verzeihung erbetteln? Nun, die würde sie mir wohl gewähren und, wenn ich gar sehr bettelte, noch einen Kuß! den ersten und – letzten! Das wußte ich! So hatte ich sie doch einmal geküßt, einmal an mein Herz gedrückt –

Nein, nein! auf diesem Wege lag Wahnsinn! Zurück- Un glücklicher, wenn Du noch einen Funken von Stolz in dir hast! wenn du dich nicht auf ewig verachten und hassen sollst, wie du dich ihr verächtlich und hassenswerth gemacht hättest!

Und bereits wieder – zum zehnten Male vielleicht – angesichts der Villa, aus deren Salon jetzt wirklich das Licht der Lampe von ihrem Arbeitstische schimmerte – ich kannte die Stelle so genau! -- kehrte ich um wie Einer, der ein Verbrechen begehen will und den plötzlich der Muth zur That verläßt. In halber Sinnlosigkeit war ich so schon eine Strecke fortgerannt, bevor ich merkte, daß ich nicht den Weg zum Schloß, sondern zur Stadt eingeschlagen hatte. Die Wege glichen sich freilich sehr und der eine war so einsam wie der andere. Es war ja auch ganz gleich, wohin ich ging. An Arbeiten war doch nicht zu denken. Der Herzog, der morgen in der Frühe auf acht Tage nach Berlin wollte und in sehr ungnädiger Stimmung war (er war es immer, wenn er nach Berlin mußte), hatte für heute Abend jede Gesellschaft abgesagt. Ich hatte eine dunkle Erinnerung an ein Rendezvous, das ich mir mit Renten und dem Lieutenant von Brink in einem Restaurant der Stadt gegeben. Also zur Stadt!

Plötzlich stand ich still. Auf dem immer noch völlig verlassenen Wege kam mir Jemand sehr raschen Schrittes entgegen. Es mochte Renten sein, der mich von Frau von Trümmnau abzuholen kam. Mit meinem schlechten Gewissen wollte ich aber gerade jetzt nicht von daher kommen; lieber mochte er sich dort sagen lassen, daß ich bereits seit einer Stunde fort sei. Dies und was es sonst noch war, ging mir durch die Seele, und in demselben Moment hatte ich mich, der ich so schon hart am Rande des Weges schritt, an den dicken Stamm eines Baumes gedrückt, bereit, im Falle mich Renten doch bemerken sollte, einen Scherz aus der Sache zu machen. Aber der da kam, bemerkte mich nicht, und es war nicht Renten. Als der Mann ein wenig an mir vorbei war, hatte ich in dem Dämmerschein des Mondes, der eben jetzt durch die Wipfel zu scheinen begann, seine Gestalt hinreichend deutlich gesehen. Es mußte ein Fremder sein. Ich kannte ja so ziemlich Jeden in der kleinen Stadt, und auch die Tracht war anders gewesen, wenigstens kein sommerlicher Promenadenanzug, eher ein Reisekostüm. Vor einer Viertelstunde hatte der Eilzug auf der großen Linie von Norden nach Süden die Stadt passirt. Jemand, der so schnell ging, wie der Fremde, konnte sehr wohl die Strecke vom Bahnhof durch die Stadt auf dem kürzeren, ja auch um die Stadt herum auf dem längeren Wege durch den Park zurückgelegt haben. Was aber suchte er hier, wo auf herzoglichem Terrain kein Haus mehr lag, nur noch Adele’s Villa?

(Fortsetzung folgt.)




Noch heute „das geheimnißvolle Grab“.

Neue Studien und alte Erinnerungen von Friedrich Hofmann.
(Fortsetzung.)


Für den Genuß der frischen Luft im Freien sorgte der Graf noch in anderer ebenfalls außerordentlicher Weise. Er miethete vom Pächter einen von Buschwerk und alten Weidenstämmen umgebenen Grasgarten unweit des Schlosses, den er mit Fichtenreisig und Dornbüschen noch dichter umgeben und durch eine acht Fuß hohe Brettereinfassung ringsum für jedes Späherauge unnahbar machen ließ. Der Weg vom Schloß führte über eine Brücke (über den Rodachbach) und einen Steg über einen alten Wallgraben zum Garteneingang. Der Thür gegenüber versperrte eine Hecke den Einblick in den Garten, in welchem zur Linken und Rechten Kieswege der Umzäunung entlang liefen. Einige Ziersträucher und Blumengruppen in der Mitte der Rasenfläche deuteten an, daß man sich in einem Garten befinde. Sollte nun die Promenade der Gräfin beginnen, so stellte die Botin sich vor die Schloßthür und schritt, sobald sie merkte, daß die Gräfin das Schloß verlassen hatte und hinter ihr stand, vorwärts, ohne sich umzusehen, bis an die Gartenthür. Diese schloß sie auf und nahm eine solche Stellung hinter der Thür ein, daß sie die in den Garten schlüpfende Gräfin nicht sehen konnte. Während der Gartenpromenade, die, je nach Jahreszeit und Witterung, ein bis zwei Stunden dauerte, stand der Graf mit Fernrohr und Gewehr am Fenster Wache. Wollte die Gräfin ins Schloß zurück, so warf sie ihr Taschentuch in die Höhe, der Graf gab der Botin ein Zeichen, und der Herweg wurde in derselben Weise wie der Hinweg zurückgelegt.

Wir kommen nun zu einem sehr dunklen Punkt, zu der Frage: womit beschäftigte sich das eingeschlossene, stets nur auf sich selbst angewiesene Weib in all den Stunden, welche nicht durch Schlafen, Essen und Trinken, Spazierenfahren oder die Gartenpromenaden ausgefüllt worden sind?

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_322.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2021)