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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Da er empor blickte, sah er dem ersten Stern ins Auge, der über dem alten Bergfried von Falkeneck aufstrahlte.

Da wandte er sich und stieg den Pfad zu der Stammburg derer hinauf, auf welche er heute im Gottesdienst die Losung der Brüdergemeine bezogen hatte: „Ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen; Du bist mein.“




Für Heino’s Angehörige war der Nachmittag einförmig hingeschlichen. Als auch bei der Abendpromenade manche der alten Bekannten gefehlt hatten, sagte Frau von Blachrieth verdrießlich, als sie nach Hause kamen: „Es ist doch auffallend, daß sich gar kein Verkehr für Dich finden will. Auch Ravensburgk läßt sich nicht sehen. Du hast ihn hoffentlich nicht beleidigt. Das könnte Heino schaden.“

„Beruhige Dich, Tantchen,“ tröstete Hedwig, indem sie die Spiritusflamme unter der Theemaschine anzündete. „Herr von Ravensburgk geleitete ganz freundschaftlich mit Heino Fräulein Paloty, als sie nach Himmelgarten ritten.“

Der Name verdarb der alten Dame vollends die Laune. „Vielleicht heirathet sie Ravensburgk. Das wäre eine brillante Partie für diese – wie heißt sie doch? Der älteste Name des Landes. Und ein Mann, der sich in seiner Jugend ausgetobt hat, wird immer ein guter Ehemann.“

„Ich glaube nicht, liebe Tante,“ warf Hedwig lächelnd ein, „daß diese Kombination richtig ist.“

„Ich weiß, was Dein Lächeln bedeuten soll,“ antwortete Frau von Blachrieth empfindlich; „aber da führt Dich Deine Unkenntniß von dem, was ein Dichter bedarf – und vielleicht noch etwas Anderes irre,“ fuhr sie mütterlich nachsichtig fort. „Heino hat Recht, wenn er sagt, dieses sich Abschließen von der Welt mache einseitig. Und anstatt ihn zu verdächtigen, solltest Du Dir ein Beispiel an ihm nehmen. Sonst gehst Du ganz in der Prosa des Lebens auf.“

Hedwig schwieg. Die arme Tante! dachte sie. Wenn sie doch nur einmal ganz genau wüßte, was sie will!

Das arme Kind! dachte Frau von Blachrieth. Da hat sie ihren hübschen Korallenschmuck angelegt. Die rothen Nadeln sehen wirklich allerliebst aus in den dunklen Zöpfen. Und nun sieht es Niemand.

„Herr Hauptmann Aufdermauer wünscht der gnädigen Frau seine Aufwartumg zu machen,“ meldete der Diener.

„Nun wird der sich den ganzen Abend zu uns setzen und von seinen Rehböcken und Weinbergen erzählen,“ sagte Frau von Blachrieth, auf dem Gipfel alles Mißvergnügens angekommen, leise zu Hedwig, während ein lautes: „Sehr angenehm!“ ihm die Erlaubniß zum Eintritt gab.

Und Georg machte allerdings Anstalt, den ganzen Abend bei den Damen zu bleiben, sprach aber weder von Jagd, noch von Weinbau.

Sichtlich erfreut nahm er die Einladung zum Thee an und folgte mit dem Ausdruck des lebhaftesten Vergnügens Hedwig, die Thee aus der Büchse von chinesischem Porzellan in die silberne Kanne schüttete, die Tellerchen und Eierbecher ordnete, das Kabaret mit kalten Fleischspeisen auf den Tisch stellte.

Frau von Blachrieth erklärte ihm Heino’s Abwesenheit mit dessen ernsten Studien zu einem neuen poetischen Werk.

Georg versicherte, daß er dasselbe jedenfalls seiner zukünftigen Frau zum ersten Weihnachten schenken würde, wenn er so glücklich sei, sich eine solche zu erringen.

Hierauf hatte Frau von Blachrieth nur ein herablassendes Lächeln. Es war bedeutungslos, ob auf dem Tisch einer Frau Aufdermauer Heino’s unsterbliche Werke lagen.

Georg bemerkte die überhebende Miene der guten Dame nicht. Er war beschäftigt, den heiß gewordenen Griff des Kessels mit seinem Handschuh zu umwickeln, daß Hedwig sich nicht die Finger verbrannte.

„Es fehlt doch etwas auf dem Theetisch, wenn es keine gerösteten Kastanien giebt,“ sagte er. „So schön der Sommer bei uns ist, der Herbst ist doch noch viel gemüthlicher, wenn das erste Feuer im Ofen flackert und auf der heißeu Platte die Kastanien aufgetragen werden.“

„Bei uns daheim giebt es statt Maronen Kartoffeln, aber diese in vorzüglicher Qualität,“ erwiderte Hedwig.

„Die schönsten Kastanien werde ich für Sie auslesen und Ihnen schicken,“ versicherte Georg. „Meine Bäume tragen dieses Jahr sehr reichlich.“

„Nun, da wir keine Kastanien haben, darf ich Ihnen Weißbrot mit Butter anbieten?“ fragte sie heiter. „Oder ziehen Sie Zuckerbrezelchen vor?“

„Um Goueswillen nicht,“ rief Georg. „Aber ein Butterbrot nehme ich dankbar an, vorausgesetzt, daß Sie die Gnade haben, es selbst für mich zu streichen. Ich möchte doch wissen, ob dann mein Fabrikat nicht noch einmal so gut schmeckt. Ja, gnädiges Fräulein, da ist meine Gabel auf der Butter. Ich schäme mich ordentlich, daß ich mich mit dem Produkt meines Gutes von Ihnen bewirthen lasse.“

„Dieser Butter braucht sich Niemand zu schämen,“ erwiderte Hedwig mit sachverständigem Blick auf die schön modellierte Butterscheibe und griff nach einem Messer, um ihr Werk zu beginnen.

„Sie werden doch nicht so unbarmherzig gegen Ihren zukünftigen Mann sein,“ rief Georg, ihre Hand zurückhaltend, „und ihn noch zu siebenjährigem Warten zwingen?“

„So schneiden Sie den Weck an,“ erwiderte Hedwig und suchte unter einem Lachen ihre Verlegenheit zu verbergen.

„Das werde ich bleiben lassen,“ antwortete Georg.

„Nun, damit dem Streit ein Ende gemacht wird, will ich die Butter anschneiden,“ entschied Frau von Blachrieth. „Aber ich hätte nicht von Ihnen erwartet, Herr Hauptmann, daß Sie sich vor einem ganzen Butterweck fürchten würden.“

„Vor sieben Jahren Einsamkeit in dem alten Hause Aufdermauer fürchte ich mich barbarisch,“ erklärte Georg. „Es ist gar zu traurig, allein in dem großen Gebäude zu sitzen. Ich denke es mir so hübsch, wenn in der tiefen Fensternische ein Nähtischchen stünde, wenn ein paar zierliche Füßchen durch die hallenden Korridore trippelten. Unter den Händen einer Frau gewinnt Alles eine würdigere Gestalt, vom kleinen Kaffeetisch an bis zum großen Jagddiner. Ihr zartes Gefühl versteht zu mildern, wo der stäte Verkehr mit einer Arbeiterschar schroff und derb macht, ihr beweglicher Geist kann das Interesse wach erhalten für Dinge, die außerhalb des eigentlichen Berufes liegen und doch von keinem gebildeten Menschen ungestraft vernachlässigt werden dürfen.“

„Was thust Du, Hedchen?“ rief Frau von Blachrieth. „Du gießest das heiße Wasser in den Sahnentopf, statt in die Theekanne.“

„Ach nein, ich schüttete nur daneben; Verzeihung,“ entschuldigte sich das junge Mädchen, roth wie eine Kirsche.

„Wie kommt es denn aber,“ fragte Frau von Blachrieth, „daß Sie bei diesen Ansichten noch unverheirathet sind?“

„Gnädige Frau,“ erwiderte Georg lächelnd, „die Liebe hat gar lange nichts von mir wissen wollen; mein Herz stand noch leerer als mein Haus. Lachen Sie nicht,“ fuhr er fort, und seine dunklen Augen hefteten sich durchdringend auf Hedwig. „Wenn nicht bald sich Jemand zum Einziehen entschließt, so zerfällt es in Ruinen wie alle unbewohnten Gebäude.“

Frau von Blachrieth nahm in kleinen Schlucken ihren Thee und ertheilte dazu ihre Rathschläge.

„Sie müssen sich eine lebendige Weltdame nehmen, damit Sie nicht zu einseitig werden. Ein Frauchen, das Ihnen keine Ruhe daheim läßt, gerade weil Sie sich allzuwohl dort fühlen – Sie werden sonst zu bequem –, die Ihr Haus umbaut; ein Schweizerhaus wäre viel schöner als das graue Gebäude.“

Georg sah sie ganz starr vor Staunen an. Dann rief er mit zornig gerunzelter Stirn:

„Wenn eine Frau mir solche Zumuthungen stellen wollte, hätte ich gar nichts mehr für sie übrig.“

Hedwig lachte.

„Sie lieben und hassen Ihre Frau schon ohne sie zu haben.“

Jetzt besann sich Georg und begann ebenfalls zu lachen. Dann aber fuhr er ernst fort:

„Ich mache vielleicht zu große Ansprüche. Ich will einer Frau Alles sein. Gesellige Freuden, Triumphe in der Welt muß sie im Stiche lassen. Und,“ fuhr er fort, seinen Bart nachdenklich kräuselnd, „wer ginge so ohne alle Bedenken in diese Einsamkeit, die nur während der Badesaison durch gleichgültige Touristen belebt wird, in welcher man von den Weltereignissen nur durch Zeitungen und Bücher etwas erfährt?“

Er sah Hedwig forschend an. Sie wurde dunkelroth.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_311.jpg&oldid=- (Version vom 8.2.2021)