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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

manche unserer Braven bringen es im Lauf eines Feldzugs zu einem Raffinement, um das jede Hausfrau sie beneiden könnte, und ich erinnere mich noch mit Vergnügen der zahllosen Variationen, durch die mein Bursche mir vor Paris den „ewigen Hammel“ genießbar zu machen wußte. Aber es giebt im Kriege auch häufig Situationen, in denen die Zeit fehlt, dem Soldaten die Zubereitung der ihm gelieferten Lebensmittel zu überlassen. Bei Bahntransporten z. B. ist dies stets unmöglich, und gerade hier stößt die ausgiebige, rechtzeitige Speisung der Truppen durch die schnelle Aufeinanderfolge der Züge und die mangelhafte Vorbereitung der Stationen oft auf erhebliche Schwierigkeiten. Auf einer zweigleisigen Bahn können z. B. die Züge in der Zwischenzeit von kaum 30 Minuten auf einander folgen; jeder Zug führt der Verpflegungsstation ein kriegsstarkes Bataillon, das heißt tausend hungriger Magen zu, und es ist ohne Weiteres einleuchtend, daß deren Befriedigung innerhalb des knapp bemessenen Aufenthalts keine leichte Sache ist. Auch hier heißt es: Probiren geht über Studiren; es haben daher im Laufe dieses Winters auf dem Tempelhofer Felde bei Berlin umfassende Versuche mit provisorischen Feldkücheneinrichtungen stattgefunden – Versuche, aus denen unser Künstler mit frischem Griffel einige packende Momente herauszugreifen gewußt hat. Rechts oben giebt er die Feldküche wieder mit ihren brodelnden Kesseln, dem mächtigen Küchentisch und dem emsig hantirenden Personal, unten die Speisung der Mannschaft selbst in unmittelbarer Nähe der zusammengesetzten Gewehre. Selbst der „Posten vor Gewehr“ fehlt nicht; mit sicher erheuchelter Gleichgültigkeit wendet er den schmausenden Kameraden den Rücken zu: sollte der Grenadier vielleicht gar bei dieser passenden Gelegenheit eine kleine „Strafwache“ absolviren? Nun, auch sie geht vorüber, und seine Portion ist ihm nicht verloren – ihm und allen den frischen Burschen aber möchte man herzlich zurufen: „Guten Appetit!“ x.     

Ein Späßchen. (Mit Illustration S. 240 und 241.) Es ist Sonntag; der Kronenwirth steht vor der Thür der Wirthsstube, in Hemdsärmeln, die Hände in den Taschen guckt er die feierlich stille Gasse entlang. Da kommen einige Bursche singend und johlend des Wegs daher, und der Kronenwirth denkt laut: „Jetzt, wo werde die einkehre? – Aber,“ unterbricht er seinen Gedankengang, „isch des nit bi Gott, er isch’s – Korle, he, Korle. was bringt Di schon Heim?“

Die Bursche kommen näher, sie lachen und schreien alle durch einander; der aber, der jetzt dem Kronenwirth die Hand zum Grüß Gott hinstreckt, der sauberste von allen, sagt statt jeder Antwort: „Wo isch se?“

Aber der Alt’ schüttelt den Kopf: „A biwahr, a biwahr, was Di heim bringt, Herr Soldat – drei Johr sin no nit um –“

„I bin halt Dispositions-Urlauber,“ entgegnet der Bursche, thut einen lauten Juchzer und wiederholt, den Kopf zur Thür hinein streckend: „Wo isch se?“

„Wart – wart – wart ä bisle,“ schreit der Kronenwirth und fährt in seinen weißen Rock und setzt den Dreimaster auf, „se sin alle drübe bi der Aeltscht – ’s isch jo der Xaverle ihr Geburtstag –“

Damit rennen sie mit einander über die Gasse, der Alt’ und der Bursche sich fortwährend den Vorrang ablaufend, die Andern vergnügt schwatzend hinter drein.

Am Haus der „Aeltscht“, vor der Stubenthür giebt aber der Kronenwirth dem ungestüm drängenden Burschen einen Stoß: „Nur z’ruck bliebe – z’erscht kumm i, i bin der Vadder –“ Und sachte öffnet er die Thür – da sitzen sie beim Kaffee, das Xaverle mit dem Rücken gegen die Eintretenden – schnell springt der Alt’ auf das sich eben umwendende Mädel zu, schließt ihr die Augen und schreit ihr in die Ohren: „Nu roth’, wer kummt?“ Der Bursch bleibt unter der Thür, er will dem Alten den Spaß nicht verderben, und so steht er, schaut seinen Schatz an und lacht mit dem ganzen Gesicht, die sich neugierig vordrängenden Kameraden zurück haltend. Die „Aeltscht“ und ihr Mann sagen kein Wort, sind von Herzen vergnügt über das Ereigniß – nur des Kronenwirths Jüngste, die grad das Brot anschneidet, schaut bald ein bisle überrascht nach dem Alten, bald ein bisle zaghaft nach den lustigen Burschengesichtern.

Aber der „Vadder“ haltet auch das Xaverle gar so lang fest – schon eine ganze Weil ist’s her, daß sie „Jesus Maria“ geschrien hat – nun aber lacht sie – und wie lacht sie! Denn, wenn sie ihn auch nicht sieht, den Burschen an der Thür – sie fühlt’s: er isch’s – er isch’s!H. Villinger.     

Eine dramatische Dichtung von Ernst Scherenberg. Ernst Scherenberg, unseren Lesern seit vielen Jahren als Lyriker wohlbekannt, bereitete uns vor Kurzem eine litterarische Ueberraschung, indem er unter dem Titel „Germania“ (Verlag von Baedeker in Elberfeld) eine dramatische Dichtung veröffentlichte. Ein überaus warmer idealer Zug weht durch dieses meisterhaft komponirte Werk.

In einer verwüsteten Landschaft aus der Zeit gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges sitzt trauernd die Idealgestalt Germania, welcher der Genius der Geschichte erscheint, um die Muthlose zu stärken und ihr durch die Genien der Freiheit, Macht, Kunst, Wissenschaft, des Reichthums und des Glaubens den richtigen Weg zur Erhebung zu weisen. Das Wirken dieser Mächte auf die Geschicke der Völker wird in drei glanzvollen Bildern dargestellt: Auf dem Kampfplatz von Olympia erscheinen Gestalten aus dem Zeitalter des Perikles, in welchem die Freiheit und die Kunst der Hellenen zur höchsten Blüthe gelangten; im goldenen Palast des Kaisers Nero spiegelt sich der sinnberückende Einfluß von Macht und Reichthum auf das weltbeherrschende Rom; und in den Wunderhallen der Alhambra schauen wir den letzten Maurenkönig von Granada, welcher dem Glauben und der Wissenschaft den Emporgang und den Fall seines Reiches verdankte. Trotz des blendenden Glanzes, der aus den drei Scenen uns entgegenstrahlt, bemerkt man in allen schon den Keim des Unterganges, welcher die hier auftretenden Völker und Reiche bedroht. Die einzelnen Genien streiten um die Palme. Alle wollen sie als die einzigen Beglücker der Nationen gelten. Aber Germania spricht in überzeugenden Worten aus, daß nur ihre Gesammtwirkung dauernd ein Volk zu heben vermag, und empfängt den Segen sämmtlicher Genien.

Die Dichtung schließt mit einer Prophezeiung auf Deutschlands künftige Größe und einer Vision des neuen Kaiserreichs.

Trotz der Kürze der einzelnen Bilder ist es Scherenberg gelungen, die leitenden Gedanken mit außerordentlicher Klarheit und poetischer Schönheit durchzuführen, sodaß diese Dichtung, die uns als Buch ungemein fesselt und anregt, auch auf der Bühne sicher eine große Wirkung erzielen würde. Wir feiern so gern nationale Jubiläen; in unserer Litteratur dürften sich nur wenige Werke aufweisen lassen, welche bei derartigen Anlässen wegen ihrer patriotischen Tendenz und poetischen Schönheit sich so zu glanzvollen Festvorstellungen eigneten, wie Scherenberg’s „Germania“. *     

Winter-Ausflüge. Zur Ergänzung unserer S. 200 veröffentlichten Notiz über die Winter-Ausflüge der Sektion Wienerwald des Oesterreichischen Touristenklubs wird uns Folgendes geschrieben:

Schon seit 1868 unternimmt der Taunus-Klub Frankfurt am Main Gesammt-Ausflüge während der Winterzeit. Der Klub ward am ersten Sonntage im Januar des genannten Jahres auf dem Großen Feldberge 881 Meter überm Meere inmitten von Schnee und Eis in dem damals noch kleinen Bergwirthshause gegründet. Seit dieser Zeit wurden jeden ersten Sonntag im Januar und am letzten Freitag im November, mochte das Wetter sein wie es wollte, Ausflüge auf die höchsten Spitzen des Taunus veranstaltet. Diese Touren fanden solchen Anklang, trotzdem der Schnee um diese Zeit meistens 50 bis 70 Centimeter hoch liegt, daß nun seit drei Jahren auch im Februar und März ähnliche Ausflüge ausgeführt werden, woran sich durchschnittlich 50 bis 70 Personen, darunter dann und wann auch Damen, betheiligen. Zu den Januartouren kommen auch die Genossen der Taunus-Klubs Wiesbaden, Idstein und Schmitten, theilweise aus einer Entfernuug von vier bis fünf Stunden, zu Fuß herbei. Im Feldberghause wird ein gemeinsames Mittagsmahl eingenommen, bei dem ein köstlicher Humor herrscht. Ueberhaupt ist die Stimmung bei den winterlichen Ausflügen stets animirter als sonst zu anderer Jahreszeit. J. A. F.     

Die Ausnützung der Ebbe und Fluth. Seit Jahrzehnten beschäftigt die Ingenieure lebhaft das Problem, die durch Ebbe und Fluth veranlaßten periodischen Bewegungen der Meereswogen als Kraftquelle für technische Zwecke zu verwerthen. Die Lösung dieser Aufgabe scheint im kleineren Maßstabe Herrn Le Dantée gelungen zu sein, der eine Maschine durch Meereswogen in Bewegung setzen lassen will, um mit Hilfe derselben die Leuchtthürme mit elektrischem Licht zu versorgen.*     

Auflösung der Geometrischen Komponir-Aufgabe auf Seite 236:


Kleiner Briefkasten.

(Anonyme Anfragen werden nicht beantwortet.)

D. K. in E. Sie werden die gewünschte Aufklärung am besten in dem bezüglichen Werke von Professor Dr. Herman Semmig: „Die Jungfrau von Orleans und ihre Zeitgenossen“ (Leipzig, 1885) finden können. Die Arbeit ist eine außerordentlich tüchtige und verbindet mit Zuverlässigkeit der Daten eine ansprechende, fesselnde Darstellung. Hervorragende Bedeutung sichern diesem Werke die neuen Resultate der geschichtlichen Forschung, namentlich über Agnes Sorel. Der Verfasser hat alle seine Nachforschungen über die Person und die Schicksale der „Jungfrau“ an Ort und Stelle ihrer Erlebnisse gemacht. Urtheile aus Paris gestehen, daß dieses Werk selbst für Franzosen viel durchaus Neues enthalte.

A. L. in Wien. Eines der besten Bismarck-Portraits ist der im Verlage von Riefbold u. Comp. in Berlin erschienene Aquarelldruck von Gustav Kirmse. Sowohl in Betreff der Aehnlichkeit als der künstlerischen Ausführung verdienst dieses Bild das uneingeschränkte Lob. Gustav Kirmse hat schon früher durch seine trefflichen farbigen Reproduktionen der Madonnen der Dresdener Galerie (Sixtina und Murillo-Madonna) die Aufmerksamkeit der Kunstkreise auf sich gelenkt.

„Dornröschen in Cöslin“. Besten Dank. Leider nicht geeignet.


Inhalt: Die Lora-Nixe. Novelle von Stefanie Keyser. S. 237. – Ein Zukunftsmusiker. Illustration. S. 237. – Wie erhält man dem Kinde einen gesunden Knochenbau? Von Sanitätsrath Dr. L. Fürst (Leipzig). S. 242. – Was will das werden? Roman von Friedrich Spielhagen (Fortsetzung). S. 245. – Die Andere. Von W. Heimburg (Fortsetzung). S. 250. – Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit: Der Erfinder des Telephons. Mit Abbildung. Das Lick-Observatorium. S. 254. – Blätter und Blüthen: Vermißten-Liste. (Fortsetzung aus der 1. Beilage zu Nr. 5.) S. 254. – Der zerstreute Frosch. Illustration. S. 255. – Speisung der Truppen auf dem Tempelhofer Felde bei Berlin. S. 255. Mit Illustration S. 249. – Ein Späßchen. Von H. Villinger. S. 256. Mit Illustration S. 240 und 241. – Eine dramatische Dichtung von Ernst Scherenberg. – Winter-Ausflüge. – Die Ausnützung der Ebbe und Fluth. – Auflösung der Geometrischen Komponir-Aufgabe auf S. 236. – Kleiner Briefkasten. S. 256.


Verantwortlicher Herausgeber Adolf Kröner in Stuttgart. Redakteur Dr. Fr. Hofmann, Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger, Druck von A. Wiede, sämmtlich in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_256.jpg&oldid=- (Version vom 24.2.2024)