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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

als das, sogar eine herzliche Bitte an Sie richtet, für deren Erfüllung er Ihnen immer dankbar bleiben wird.

In Ihrem Hause lebt die Tochter meines leider zu früh verstorbenen Kommandeurs, Fräulein Antonie von Werthern. Ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich annehme, daß Sie, verehrte Frau, bei der jungen Dame Mutterstelle vertreten, und darum wende ich mich zunächst an Sie. Ich liebe Fräulein von Werthern schon lange; ihre liebliche Erscheinung hat es mir nicht minder angethan, wie ihr sanftes, allezeit freundliches Wesen, und wenn ich mich stets bescheiden im Hintergrunde hielt, ihr bisher kein Zeichen meiner Neigung gab, so geschah es, weil ich dem geliebten Mädchen nichts für die Zukunft zu bieten vermochte.

Vor zwei Wochen bin ich Hauptmann geworden, ich besitze ein kleines Vermögen und brauche nun nicht länger zu zögern, Fräulein von Werthern um ihre Hand zu bitten. – Sie schütteln vielleicht über die Thorheit den Kopf, im Kriegsgetümmel an Liebe und Freien zu denken, – aber gerade hier hat mich mächtiger denn je die Sehnsucht gepackt, ihr zu sagen, daß ich sie liebe; zu wissen, daß sie meiner freundlich gedenkt.

So lege ich beifolgendes Schreiben zunächst in Ihre Hände mit der Bitte, es Fräulein von Werthern zu überreichen. –“

Sie schwieg und ich auch. Mir schwindelte; es war ein neues mächtiges Gefühl für mich: Du wirst begehrt! Du wirst geliebt! Du, „Die Andere“! – Ist es denn möglich, mich hätte jemand bemerkt? Mich? fragte ich unbewußt halblaut.

Frau Roden stand auf und ging in das Nebenzimmer. Hastig griff ich nach dem Brief. Ja, da stand es, und da lag auch das andere Schreiben „an Fräulein Antonie von Werthern“. Mit einem Wohlgefühl ohne Gleichen nahm ich das schlichte Kouvert; es war nicht das himmeljauchzende Glück, das ein Mädchenherz empfindet, wenn es den Antrag des Mannes empfängt, dem ihr Herz gehört – daran dachte ich nicht; es war etwas Anderes. So muß der Blume zu Muthe sein, die unbeachtet unter Gestrüpp erblüht ist, und auf die plötzlich ein Sonnenstrahl fällt.

Ich war ihm so dankbar, dem Verfasser des Briefes, den ich ja tausendmal gesehen, ohne eine Ahnung von dem, was in seinem Herzen vorging. Deutlich stand der schlanke blonde Mann vor meinen Augen, still und ernst und immer höflich, unermüdlich um die Zufriedenheit seines Kommandeurs besorgt; und ich erinnerte mich auch der Thränen in seinen Augen, als er mir beim Begräbniß des Vaters die Hand drückte. Und der hatte mich lieb?

Ich stand und stand, ehe ich mich entschloß, den Brief zu erbrechen, und dann las ich treue herzliche Worte. Wie war es denn möglich?

Und nun ging ich endlich hinauf und zu Lotte. Sie hatte Licht angezündet und schrieb. „Wie siehst Du denn aus?“ fragte sie, mich erstaunt betrachtend. Und stockend erzählte ich ihr und zeigte ihr den Brief.

„Der Brenken? Herr des Himmels. Darum stand er auch immer so ewig lange auf dem Korridor herum! Nun, das ist ja ein großes Glück; ich gratulire Dir. – Und wenn ich mir’s recht überlege, Ihr paßt auch zusammen.“

Meine Gedanken bekamen auf einmal eine andere Richtung. „Ich kenne ihn nicht genug,“ erwiderte ich, „und ich liebe ihn nicht.“

„Ach, um Gotteswillen, fange damit nicht an,“ rief sie. „Es ist ja ein riesiges Glück für Dich, Tone.“

„Ich habe eben besondere Ansichten vom Glück,“ gab ich zurück.

„Du möchtest vermuthlich weit lieber ein Pensionat anlegen oder in einem Badeort möblirte Zimmer vermiethen?“

„Lieber, als einen guten braven Menschen belügen.“

„Was heißt denn das?“ fragte sie; „wieso würdest Du ihn belügen? Weil Du an den vom Himmel geschneiten Freier bisher gar nicht dachtest und ihn folglich auch nicht lieben kannst? Er liebt Dich ja, – das ist genug.“

„Ich kann Dir nicht alle meine Gründe sagen, Lotte; aber, bitte, nimm an, sie seien triftig; lasse mich ohne Dein Zureden handeln.“

Sie warf einen forschenden Blick auf mich, dann sagte sie langsam: „Sollte am Ende gar Dein Herz nicht mehr frei sein?“ – Und als mir heiß das Blut zum Kopfe empor wallte, nickte sie mit einem langgedehnten: „Ach so! – Aber überlege es doch recht ordentlich, Tone; ein Sperling in der Hand ist besser als eine Taube auf dem Dache. Frage nur Deine lebenserfahrene Gönnerin unten; sie wird es Dir sicher bestätigen.“

Ich antwortete ihr nicht, holte mir Tintenfaß und Feder und schrieb einen Absagebrief. Wie dankbar ich ihm war! Weßhalb ich seine Hand zurückwies – ich konnte es ihm natürlich nicht sagen, so wenig, wie ich sein ehrliches Herz betrügen wollte, indem ich ihm das meine gab, das auch nicht den allerkleinsten Platz mehr für ihn hatte. ich schrieb freundliche gute Worte und wünschte ihm aufrichtig ein anderes schöneres Glück.

Wie immer kamen wir um acht Uhr zum Abendbrot hinunter, Lotte und ich; und wie immer machte ich mich daran, den Thee einzuschenken. Fritz kam nicht zu Tische; er sei etwas angegriffen, sagte die Hausfrau, und wolle in seinem Zimmer speisen.

„Fritz geht im Januar nach Wiesbaden,“ erzählte sie dann, „der Doktor sagt, es wäre Zeit, weil die Wunden nun vernarbten. Ich hätte ihn gern begleitet,“ fuhr sie fort, „aber was soll aus der Wirthschaft werden, da tanzte wohl hier Alles auf den Köpfen herum; die Mamsell hat’s faustdick hinter den Ohren, und dem guten Müller pariren sie nicht.“

„Ich würde schon aufpassen,“ erwiderte ich.

„Ach Sie!“ sagte die alte Frau. „Nein, nein, Tonchen, so angehende Bräute, Leute mit Liebesgeschichten im Kopf, sind schlechte Wächter.“

Ich lachte; es mochte so herzlich klingen, daß Beide mich erstaunt ansahen.

„Liebste Frau Roden,“ begann Lotte, „da nun einmal das Gespräch auf diese Angelegenheit kommt, so setzen Sie doch Tone den Kopf ein wenig zurecht. Sie kennen ja unsere Lage – ist es nicht eine Thorheit, wenn sie sich da noch lange Bedenken macht, weil sie ihn nicht – liebt?“

Frau Roden sah plötzlich mit einem gänzlich veränderten Blick zu mir herüber. „Beim Heirathen soll man die Worte sparen, Frau Gräfin, es ist eine alte Lehre; das mögen die Zwei allein, und jeder für sich mit seinem Herzen ausmachen.“

Lotte schwieg; ich sah auf den Teller. Wenn sie gewußt hätte, daß eine ablehnende Antwort schon frisch und fröhlich auf dem Wege nach Frankreich dahin flog! Ich hatte keineswegs das Gefühl, eine Uebereilung begangen zu haben, und – Ueberlegen? Läßt sich damit Liebe schaffen? Schwindet sie denn vor – Ueberlegung? Wenn ich hundert Tage darüber nachgedacht hätte von Morgens bis Abends, die Sache wäre nichts anders geworden. Und weil ich ein armes Mädchen war, dem die Zukunft düster und schwarz vor Augen lag, darum sollte ich einem ehrlichen Menschen das Wort geben, das mir die Vernunft abgepreßt, sollte neben ihm gehen wie eine Heimwehkranke, die immer und immer wieder den Kopf nach dem Lande zurückwendet, wo ihr Herz geblieben ist? Die nicht einmal dahin denken dürfte, weil es Sünde wäre?

Nein, so vernünftig konnte ich nicht sein! Mich fror bei dem Gedanken. – Und warum sollte ich nicht allein durchs Leben gehen können? Immer doch besser, als zu Zweien – ohne Liebe. Ich konnte nicht traurig sein heute Abend, es war unmöglich.

Nach Tische, als Lotte hinaufgegangen war, pochte ich an Fritz Roden’s Thür, die frischen Binden in der Hand. „Die barmherzige Schwester ist da!“ rief ich neckend.

„Herein!“ erwiderte er, und Frau Roden erhob sich von dem Stuhle zur Seite des Sofa, um mir Platz zu machen, und ging hinaus.

Er sah mich so groß und forschend an, als ich nun neben ihm stand, daß ich roth wurde und die Augen niederschlug. „Und so plötzlich erfährt man es?“ sagte er, „so unvermittelt? Haben Sie gar nichts gewußt? Ich glaube, Mutter kränkt sich über Ihren Mangel an Vertrauen.“

Ich mußte lächeln wider Willen. „Sie konnten nicht erstaunter sein, als ich. Aber nun, bitte, Ihren Arm.“

„Ueberlegen Sie ernstlich!“ sagte er, eigenthümlich gepreßt.

„Ueberlegen?“ rief ich empört. „Was ist da zu überlegen?“ – Ich war in dem Wahne, er wolle zureden. Und der Sonnenschein, der mich umfangen hielt, wich plötzlich dem tiefsten Schatten;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_251.jpg&oldid=- (Version vom 17.11.2020)